Fehlt noch das Orchester

In Hamburg klopfen sich jetzt alle auf die Schulter: Die Elbphilharmonie wird ein Aushängeschild der Hansestadt werden – als Gebäude. Ob sie auch erstklassig bespielt wird, steht aber in den Sternen

Fast scheint es, als sei in Hamburg die Qualität der Konzerte angesichts der spektakulären Architektur eine Nebensache

VON PETRA SCHELLEN

Sie ist Kathedrale und gläserne Wundertüte zugleich: Zu den zehn besten Konzertsälen der Welt soll die Hamburger Elbphilharmonie, deren Grundstein Anfang dieser Woche gelegt wurde, dereinst zählen. Mit der Oper von Sydney soll das vom Architekturbüro Herzog & de Meuron entworfene Gebäude, das auf ein Speichergebäude der 60er-Jahre gesetzt wird, konkurrieren. Und kaum verhohlen sprechen Hamburger Politiker vom Bilbao-Effekt des hoch über den Hafen aufragenden Zeltdach-Baus, der 2010 eröffnet werden soll.

Seinen Kern soll ein 2.150 Plätze fassender Konzertsaal bilden, für dessen Akustik der japanische Akustiker Yasuhisa Toyota bürgt. Für die Bespielung des Saals hat man Christoph Lieben-Seutter, den Leiter des Wiener Konzerthauses, gewonnen – einen findigen Kulturmanager, der es schaffte, die Zuschauerzahlen binnen zehn Jahren beträchtlich zu steigern. In der Hamburger Elbphilharmonie will er einen Mix aus Klassik, Jazz und Weltmusik, „aber auch mal Vicky Leandros“ präsentieren; die Akteure: lokale und internationale Orchester.

Doch weiter reichen die Vorstellungen zur Bespielung und Finanzierung des Hauses bislang nicht. Das allerdings überrascht kaum: Die Hamburger Politiker haben ihr vermeintliches Soll mit Baubeginn erfüllt; privates und öffentliches Geld für den Bau wurde großzügig akquiriert. Und um die Bespielung sollen sich dann bitte Intendant und Rolf Beck, der Leiter des NDR-Sinfonieorchesters, kümmern. Letzteres wurde bereits vor Lieben-Seutters Berufung zum orchestra in residence ernannt. Als „Mieter“ der Elbphilharmonie wird es seine Programme völlig autonom erstellen.

Eine unglückliche Konstruktion, zumal Lieben-Seutter, derart zur Marionette degradiert, das NDR-Orchester bereits als „nicht erstklassig“ bezeichnet hat. Wenn man mit den Musikern, die in der Elbphilharmonie gastieren werden, mithalten wolle, müsse man sich ins Zeug legen, räumt auch Beck ein.

Wie das aber konkret geschehen soll, sagt niemand. Denn die Förderung des Orchesters obliegt dem NDR. Die Politiker fühlen sich nicht zuständig und haben hier bislang weder Ehrgeiz noch Problembewusstsein entwickelt. Man habe wunderbare Orchester, und die Programmatik werde „in den nächsten Monaten geklärt“, sagt Hamburgs Kultursenatorin Karin von Welck kryptisch. Fast scheint es, als sei sie froh, das Problem delegiert zu haben, und als sei die Qualität der Konzerte angesichts der spektakulären Architektur eine Marginalie.

Das bekommt derzeit auch der hinter den Kulissen hart kämpfende Lieben-Seutter zu spüren. Wie hoch der auf den Konzertbetrieb anfallende Teil des Budgets sei, wisse er noch nicht, hat er kürzlich erklärt. Auch von den Festivals, die er einst im Kopf hatte, rückt er, verschreckt durch den Hamburger Geiz, bereits ab; in Wien hatte er für eine Aboreihe des Klangforums Wien zusätzliche Subventionen bekommen. In Hamburg fehlt offensichtlich der politische Wille für solche Maßnahmen. Irritierend nur, dass auch die Kultursenatorin mit dem Status quo zufrieden scheint und den musikalischen Ruf der Elbphilharmonie so leichtfertig aufs Spiel setzt. Von einer Erhöhung des Kulturetats zwecks hochklassiger Bespielung des Hauses ist jedenfalls nirgends die Rede.

Stattdessen ergeht sich von Welck in Träumen von der musikpädagogischen Arbeit der Elbphilharmonie. Solche Angebote würden der Jugend den Zugang zur Musik erleichtern, betont sie immer wieder. Aus der Sicht kulturferner Sparer ist das sogar konsequent: Wenn man lange genug bei den Basics verharrt, kommt man bei Hochklassigem gar nicht erst an. Eine Vogel-Strauß-Politik, die bei mittelgroßen Häusern tragen mag. Für ein Haus wie die Elbphilharmonie taugt sie definitiv nicht.