Prozess gegen Rote Zora beginnt

Im Dezember tauchten zwei Mitglieder der „Roten Zora“ aus der Illegalität auf. Jetzt stehen sie vor Gericht, unter anderem wegen der Beteiligung an Sprengstoffanschlägen

„Wir mussten uns entscheiden, den Rest des Lebens in der Illegalität zu verbringen“

BERLIN taz ■ Erfolgreich entzog sich Adrienne G. 19 Jahre lang dem Zugriff der deutschen Ermittlungsbehörden. Diese suchten sie vergeblich wegen der Mitgliedschaft in der „Roten Zora“ und Beteiligung an zwei Sprengstoffanschlägen in den 80er-Jahren. Doch Anfang Dezember letzten Jahres stellte sich die 58-Jährige gemeinsam mit ihrem ebenfalls von der Polizei gesuchten Lebensgefährten Thomas K. (58) der Bundesanwaltschaft (BAW) in Karlsruhe. Mit Einwilligung der BAW setzte der Bundesgerichtshof die Haftbefehle gegen Auflagen außer Vollzug. Dem in Westberlin aufgewachsenen Thomas K. will die BAW in einem gesonderten Verfahren „Rädelsführerschaft“ in den „Revolutionären Zellen“ (RZ) vorwerfen.

Morgen beginnt vor dem Berliner Kammergericht in der Elßholzstraße der auf drei Verhandlungstage angesetzte Prozess gegen die Lehrerin und Fotografin Adrienne G. Konkret klagt die BAW sie an, „mindestens von Herbst 1986 bis Juni 1987“ Mitglied der „Roten Zora“ gewesen zu sein, deren Selbstverständnis selbst die BAW als „sozialrevolutionäre, feministische Befreiungsbewegung“ beschreibt. Zuerst als autonomer Teil der RZ, später ganz eigenständig, bekannte sich die „Rote Zora“ zwischen April 1977 und Februar 1988 zu insgesamt 45 Brand- und Sprengstoffanschlägen. Meist ging es um frauenpolitische Themen. An zwei dieser Anschläge soll laut Bundesanwaltschaft Adrienne G. beteiligt gewesen sein. Zum einem bei dem versuchten Sprengstoffanschlag am 17. Oktober 1986 auf das Gentechnische Institut in Berlin und zum anderen am 21. Juni 1987 auf ein Gebäude des Bekleidungskonzerns Adler in Aschaffenburg.

Die „Rote Zora“ begründete den Anschlag mit der Unterstützung eines Streiks in einer Textilfabrik des Konzerns in einer Freihandelszone in Südkorea. Dort forderten die überwiegend weiblichen Beschäftigten höhere Löhne und bessere Arbeitsbedingungen. „Die deutsche Firmenleitung setzte daraufhin Militärpolizei und private Schlägertrupps gegen die streikenden Frauen ein“, schreiben „Zora“-Mitglieder in ihrem Bekennerschreiben. Mitte August 1987 folgte eine Anschlagsserie der „Roten Zora“ auf neun Filialen von Adler, wobei Sachschaden in Millionenhöhe entstand. Daraufhin lenkte die Firmenführung gegenüber den Streikenden ein.

Als Beweismittel gegen Adrienne G. führt die BAW vor allem Fotos beim Kauf eines von den RZ und der „Roten Zora“ als Zeitzünder benutzten speziellen Weckers an. In einer großangelegten Überwachungsaktion hatte damals das BKA bundesweit flächendeckend sämtliche Exemplare nummeriert und Käufer und Käuferinnen heimlich fotografiert. Doch da insbesondere die „Rote Zora“ damals weit über das eigene linke Umfeld hinausgehende Sympathien besaß, warnte unter anderem die Ehefrau eines Kölner Kriminalbeamten die observierten Frauen. Aufgrund eines weiteren Warnanrufs konnte sich Adrienne G. ebenso wie Thomas K. durch rechtzeitige Flucht der eilig vorverlegten bundesweiten Razzia des BKA am 18. Dezember 1987 entziehen. Wer sie in den letzten beiden Jahrzehnten unterstützte und wo sie sich aufhielt, möchte Adrienne G. gerne für sich behalten. „Es ist uns nicht schlecht gegangen in diesen 19 Jahren“, sagt Adrienne G.

Schon gar nicht, wenn man es mit den Umständen der Mehrzahl derjeniger vergleiche, die in dieser Zeit aus ähnlichen Gründen illegal in Europa lebte. „Wir hatten Platz zum Wohnen und Gelegenheit zum Arbeiten, wir hatten Geld zum Leben und Papiere zum Reisen, wir hatten uns, wir waren nicht krank und hätten es vermutlich noch eine Weile durchhalten können.“ Doch aufgrund der nicht enden wollenden Verjährungsfristen „mussten wir uns entscheiden, den Rest unseres Lebens in der Illegalität zu verbringen, oder nach Möglichkeiten suchen, zu vertretbaren Konditionen zurückzukehren“, führt die 58-Jährige weiter aus. „Damit meinen wir vor allem, dass wir dabei nicht unsere Authentizität aufs Spiel setzen werden.“ Aber auch dieser neue Lebensabschnitt sei nicht ohne Risiko.

Denn in den letzten Jahren gab es mehrere Prozesse gegen vermeintliche und ehemalige Mitglieder der „Revolutionären Zellen“ und „Roten Zora“: Manche Verfahren endeten gegen eine Einlassung der Angeklagten mit Bewährungsstrafen. 2004 endete in Berlin ein sich drei Jahre hinziehender Prozess mit Haftstrafen von bis zu über viereinhalb Jahren. Aktuell befindet sich wegen des Vorwurfs der Mitgliedschaft in der „Roten Zora“ nur noch die 56-jährige Juliane B. aus Duisburg auf der Flucht. CHRISTOPH VILLINGER