STEFAN KUZMANY über GONZO
: Spitze Gegenstände

Wie Freunde mein Leben bereichern. Und warum ich neue Gabeln brauche

Es klingelte. Das musste er sein. Schon seit Wochen hatte er davon gesprochen, den Fernseher mitzubringen. Ein Geschenk seines Onkels. Aber er habe ja nur eine kleine Wohnung, sagte mein Freund, da wolle er keinen großen Fernseher.

Zu großer Fernseher? Zu kleine Wohnung? Seltsam. Aber gut. Endlich ein großer Bildschirm. Wir schlossen ihn sofort an. „Ich muss dir gleich etwas zeigen“, sagte ich zu meinem Freund, und schob eine DVD in den Player, Gerhard Polts „Fast wia im richtigen Leben“, alle Folgen in einer Box, großartig. Hatte ich mir gerade gekauft. Das Bild war grün und verwackelt. „Ach so“, sagte mein Freund, „der Anschluss für den DVD-Player geht nicht.“ „Seltsam“, sagte ich. „Lass uns ein Bier trinken gehen.“

Leider hatte mein Freund kein Geld dabei, so dass ich ihm zwei Hefeweizen und Tabak finanzieren musste. Dann gingen wir wieder heim, meine Freundin hatte Sushi gemacht und es sollte noch eine Freundin zum Essen kommen. Der Abend nahm seinen Lauf. Leider schmeckte meinem Freund das Sushi nicht, und er erzählte von einem Laden, wo es viel besseres Sushi gab. Wir tranken Wein. Der Abend schritt voran. Wir versuchten noch mal, die DVD zu betrachten. Polt wackelte. Wir schalteten ins normale Programm. Das Bild flimmerte. „Ach ja“, sagte mein Freund, „der flimmert.“ „Sag mal“, sagte ich, „wenn der Fernseher funktionieren würde, dann hättest du ihn doch behalten?“ „Ja“, sagte mein Freund. „Und was sollte das dann mit der zu kleinen Wohnung?“ „Äh“, sagte mein Freund. Wir tranken mehr Wein. Der Abend schritt fort.

Mein Freund erzählt gerne von sich, mit fortgeschrittenem Alkoholpegel auch Dinge, die man so genau gar nicht wissen will. So wie jetzt. „Also, damit mir einer abgeht, muss ich mich mit einem spitzen Gegenstand stimulieren“, sprach mein Freund in die mehr oder weniger interessierte Runde. Das sei schon seit frühester Jugend so. „Soso“, sagte ich. Ich kannte die Geschichte schon. Sie scheint ihn sehr zu beschäftigen. Da kam mir ein beunruhigender Gedanke. „Sag mal, wenn du bei uns übernachtest, äh, machst du das dann auch hier, mit den spitzen Gegenständen?“ „Ja“, sagte mein Freund. „Was nimmst du denn da so?“ „Na, Gabeln gehen zum Beispiel. Oder hier, diese Essstäbchen.“ Wir blickten betreten auf die Essstäbchen, mit denen wir gerade das Sushi verspeist hatten. Wir tranken einen Schnaps. Der Abend nahm seinen Lauf.

„Wohin genau steckst du dir diese spitzen Gegenstände?“, wollte die Freundin meiner Freundin wissen. Mein Freund wollte es gerade erklären, aber ich ging dazwischen. „Wir könnten dir in Zukunft einige spitze Gegenstände bereitlegen, damit du nicht mehr unser Essbesteck benützen musst“, sagte ich. Nein, sagte mein Freund, das wolle er nicht. Die Suche und Auswahl des Gegenstandes mache einen großen Teil des Reizes aus. Wir tranken mehr Schnaps. Der Abend neigte sich dem Ende zu.

„Kannst du mir ein Taxi rufen? Ich habe aber kein Geld“, sagte mein Freund. Ich gab ihm meine letzten 20 Euro. Er steckte sich den Tabak ein, dazu mein Feuerzeug. Dann ging er.

Am nächsten Tag räumten wir auf. Der Fernseher war eingeschaltet, das Flimmern verging nicht. Wir warfen unser Besteck weg. „Warum bist du eigentlich mit dem befreundet?“, fragte meine Freundin. „Weil er so ehrlich ist“, sagte ich.

Fragen zur Ehrlichkeit? kolumne@taz.de Morgen: Bettina Gaus über FERNSEHEN