Ostern kein Friedensfest für die Grünen

Die Parteispitze wirft der Friedensbewegung „Schwarz-Weiß-Malerei“ vor. Einige Grüne ergreifen daraufhin in einem offenen Brief Partei für die Ostermärschler – und wünschen sich von ihren Führungsgremien „mehr Eindeutigkeit“ in der Friedenspolitik

AUS BERLIN KATHARINA KOUFEN

Der Streit schwelt schon lange, gestern kam es wieder einmal zu einer Eruption. Die Grünen streiten um die richtige Friedenspolitik. Wie verhält man sich zu Militäreinsätzen im Ausland? Was ist wichtiger – die Nähe zur Friedensbewegung oder zu möglichen Koalitionspartnern?

Jüngster Auslöser des Krachs ist die Kritik der Parteivorsitzenden Claudia Roth und des Verteidigungsexperten Winfried Nachtwei an den Ostermärschen. „Der Blick verengt sich zu oft allein auf die pauschale Ablehnung des Militärischen“, heißt es in einer Stellungnahme am Osterwochenende. Die UNO und die zivilen Mittel der Krisenbewältigung kämen in den Aufrufen der Friedensbewegung so gut wie gar nicht vor. „Ein friedenspolitisches Armutszeugnis“, kritisieren Roth und Nachtwei. Sie werfen der Bewegung „Schwarz-Weiß-Malerei“ vor. Friedenspolitik brauche „mehr neues Denken und Differenzierung“.

Nicht nur aus der Friedensbewegung selbst folgten prompt empörte Reaktionen. Auch einigen Grünen missfällt die Kritik. Neun Parteimitglieder aus der Grünen Jugend und aus Landes- und Kreisverbänden antworteten gestern in einem offenen Brief: „Eure massive Kritik weisen wir zurück. Wir wollen angesichts Eurer Forderung nach ‚mehr Differenzierung‘ in den Stellungnahmen der Friedensbewegung unseren Wunsch nach ‚mehr Eindeutigkeit‘ in den Stellungnahmen unserer Führungsgremien Ausdruck geben.“ Die Unterzeichner des Briefes erinnern ihre Parteispitze auch an das grüne Grundsatzprogramm. Bündnisgrüne Außenpolitik soll unter anderem den Werten des Friedens verpflichtet sein. „Wenn wir unsere Politik nach diesen Werten gestalten wollen, ist die Friedensbewegung keine Gegnerin, sondern Verbündete.“

Für Arvid Bell von der Grünen Jugend, Mitunterzeichner des offenen Briefes, bedeutet die Kritik von Roth und Nachtwei „eine weitere Provokation“. Schon vorher habe man sich über die Parteichefin „gewundert“. Roth weigert sich, einen Aufruf zur Demonstration gegen den G-8-Gipfel zu unterschreiben – ebenfalls mit dem Hinweis auf die undifferenzierte Argumentation der Organisatoren. „Das unterscheidet sich komplett von dem, was die Mehrheit der Basis der Grünen denkt.“ Die Grüne Jugend und Parteimitglieder, die mit dem Kurs ihrer Führung unzufrieden sind, wollen in den nächsten Tagen ihren Unmut auch in einem Aufruf an die Partei kundtun.

„Ein solcher Brief trifft mich als alten Ostermarschierer besonders“, sagte Nachtwei gestern der taz. Ihm sei Streit aber lieber als „diese ständige Stille“ zwischen etablierter Politik und Bewegung. In den 80er-Jahren, als Grüne und Friedensbewegung noch Hand in Hand marschierten, ging es vor allem um atomare Bedrohung und Abrüstung. In den 90er-Jahren hätten sich die Konfliktkonstellationen geändert – „Stichwort Ruanda, Balkan“. Nachtwei verweist auf die friedenssichernde Aufgabe der UN-Blauhelmmissionen. „Offenbar gibt es erheblichen friedenspolitischen Klärungsbedarf.“

Der Grüne Winfried Hermann sagte der taz dagegen, er habe sich „dieses Jahr auch über die zum Teil dümmliche Parolen aufgeregt und deshalb nicht an den Ostermärschen teilgenommen“. Da würden keine Unterscheidungen mehr getroffen zwischen UN-Friedensmissionen und imperialistischen Kriegen. Im Übrigen, erklärte Hermann, seien die Ostermärsche von der Linkspartei übernommen worden: Auf manchen Friedenskundgebungen waren „alle drei Hauptredner Mitglieder der WASG oder der Linkspartei“.

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