„Wir sind billiger als das Gefängnis“

Stefan Utsch vom Ausbildungswerk Zukunftsbau bereitet Jugendliche mit Problemen auf die Arbeitswelt vor. Viele werden von der Gerichtshilfe vermittelt und müssten vor einer Lehre erstmals Pünktlichkeit und Zuverlässigkeit lernen

taz: Herr Utsch, laut IHK soll es bald für alle Berliner Jugendliche ein Ausbildungsangebot geben. Freut Sie das?

Stefan Utsch: Nun ja, das Wort „Angebot“ kann vieles bedeuten, etwa eine Form der beruflichen Qualifizierung. Dass es für jeden Schulabgänger in der Stadt eine echte Lehrstelle gibt, bezweifle ich. Selbst wenn es so wäre: Unsere Jugendlichen würden davon sowieso nicht profitieren, sie haben leider weder auf dem ersten Arbeitsmarkt Chancen noch bei den Maßnahmen des Arbeitsamts.

Warum nicht?

Zu uns kommt, wer aus der Hauptschule geflogen ist. Die häufigsten Gründe sind psychische Probleme, Aggressivität, Lernschwierigkeiten, Drogen. Häufig kommen die Jugendlichen aus benachteiligten Familien. Im Schnitt sind sie 15 Jahre alt, wenn sie zu uns kommen. Meist durch das Jugendamt, wenn die Eltern einen Antrag auf Erziehungshilfe gestellt haben. Oder nicht ganz freiwillig, über die Jugendgerichtshilfe. Wir leisten ein Jahr Berufsvorbereitung, danach vermitteln wir sie in Maßnahmen des Arbeitsams weiter. Oder wir bilden sie in unserem Haus aus, die Kosten zahlt das Jugendamt.

Was kostet die Ausbildung?

Der Tagessatz beträgt 42 Euro für die Berufsvorbereitung und 60 Euro für die Ausbildung. Auf vier Jahre gerechnet ist das nicht billig. Das Jugendamt hat bereits drastisch eingespart. Vor fünf Jahren betreuten wir noch 40 Jugendliche pro Jahr, jetzt nur noch 20, den Fachbereich Koch/Gastronomie samt Ausbildungsrestaurant mussten wir ganz schließen. Was bei solchen Entscheidungen nicht bedacht wird, ist, dass wir eine billige Alternative zum Gefängnis oder lebenslanger Sozialhilfe sind. Dort landen die, die es nicht zu uns schaffen.

Was tun Sie für die Zukunft der Jugendlichen?

In der einjährigen Berufsvorbereitung vermitteln wir Grundfertigkeiten wie Pünktlichkeit und Zuverlässigkeit. Die müssen erst erlernt werden, um die anschließende dreijährige Ausbildung durchzuhalten. Wir bilden in den Berufen Bürokauffrau, Tischler, Konstruktionsmechaniker, Gebäudereinigung, Maler und Trockenbauer aus. Jeder wird dabei einzeln betreut, neben der fachlichen Ausbildung arbeiten wir auch an den persönlichen Problemen, damit die Jugendlichen in einem späteren Arbeitsverhältnis bestehen können.

Wie stehen die Chancen auf ein solches Arbeitsverhältnis?

Wir stehen in Kontakt mit Betrieben und Ämtern, um nicht am Bedarf vorbei auszubilden. Den Maurer haben wir beispielsweise abgeschafft, dieser Beruf hat keine Zukunft mehr. Trockenbauer und Tischler sind aber weiterhin stark gefragt. Wer bei uns die Gesellenprüfung schafft, hat gute Chancen, in einem normalen Betrieb zu landen. Leider bricht etwa ein Drittel vorher ab.

Viele Betriebe und die IHK beklagen, dass es nicht an Lehrstellen, sondern an ausreichend qualifizierten Bewerbern fehle. Bräuchten auch Hauptschüler mit Abschluss eine Betreuung à la Zukunftsbau?

Wenn Sie mich fragen, ja. Das Bildungsniveau von Hauptschulabgängern ist katastrophal. Viele beherrschen kaum die Grundrechenarten, können sehr schlecht Deutsch, von Grammatik ganz zu schweigen. Die Hauptschulen sind ein Sammelbecken für Probleme: 8 bis 10 Prozent eines Jahrgangs werden einfach aufgegeben. Ob man so eine Situation wirklich will, das muss letzten Endes die Politik beantworten.

INTERVIEW: NINA APIN