Auf der Chaussee der Spione

Die Chausseestraße wirkt zweigeteilt wie im Kalten Krieg: hier schicke Bars und Läden, dort Tristesse und Leerstand. Jetzt wirbelt der Bau der BND-Zentrale alles durcheinander. Doch nur ganz Gewiefte empfangen die Agenten mit offenen Armen

VON KONRAD LITSCHKO

„Ach, die hätten mal in Bayern bleiben sollen. Ausgerechnet hier vor unserer Tür bauen die.“ Wolfgang Müller schüttelt sein lichtes Haar, zerrt seinen kleinen Wuschelhund zu sich zurück. Stattliche 27 Jahre wohnt er nun schon an der Chausseestraße in Mitte. Weiter nördlich, Höhe Wöhlertstraße. Nicht im hippen Süden der Straße mit ihren Bars, Galerien, Internetagenturen, der Kunstfabrik „Schlot“, dem Brecht-Haus. Müller wohnt oben, Richtung Wedding, wo die Chausseestraße plötzlich Leerstand, verwaiste Baustellen und zugenagelte Fenster umgibt.

Ab 2011 wird sich das radikal ändern. Dann macht sich ein neuer, dicker Nachbar breit – der Bundesnachrichtendienst BND. Der Geheimdienst baut seine neue Bundeszentrale auf dem Gelände des ehemaligen Stadions der Weltjugend. Seit Oktober wird hier abgerissen, gebuddelt, geplättet. 10 Hektar Fläche, 720 Millionen Euro Gesamtinvestition, fünf Jahre Bauzeit. Allein für die Baugrube für das künftige Hauptgebäude werden 370.000 Kubikmeter Boden abgefahren – das könnte locker das Olympiastadion füllen. Zu Spitzenzeiten sollen hier 200 Lastwagen täglich über die Chausseestraße rollen. Der BND sorgt für Berlins größte innerstädtische Baustelle und eines der aufwendigsten Einzelbauvorhaben seit 1945.

Was ab 2011 in dieser verlassenen Ecke Mittes stehen soll, ist heute noch schwer vorstellbar: Ein 280 Meter langes und 30 Meter hohes Verwaltungsgebäude mit 2.800 Räumen. Rund 4.000 Geheimdienstler sollen darin ihren Dienst tun. Dazu gibt es ein internes Schulgebäude, ein Besucherzentrum, einen Park und ein eigenes Heizkraftwerk – alle Hauptgebäude sind sicher in eine drei Meter tiefe Senke und hinter einem ebenso hohen Zaun verpackt. Videokameras werden das Gelände umgeben und überwachen, für Autos herrscht davor absolutes Halteverbot. Schon heute dürfen nur deutsche Bauarbeiter auf die Baustelle – nach eingehender Sicherheitsüberprüfung.

Für Anwohner Wolfgang Müller klingt das alles mächtig abgedreht. „Ich sag Ihnen eins: Wir, die hier wohnen, sind nicht dafür. Das war bisher ein Gelände, wo die Kinder spielen konnten, das für alle da war.“ In den ab kommendem Jahr wahrscheinlich leerstehenden Flughafen Tempelhof hätten die Geheimdienstler gehen sollen, in brachliegende Kasernen, wer weiß wohin. Nur nicht ausgerechnet hierher. „Und wer weiß, was mit den Mieten passiert.“ 50 Quadratmeter hat die Wohnung des 57-Jährigen mit dem Kaiser-Wilhelm-Schnauzer. Für den Hartz-IV-Empfänger zahlt das Amt die Miete. „So eine Wohnung müsste ich dann erst mal finden, die das Amt bezahlt.“

Agenten gegen Anwohner

Wolfgang Müller ist mit seiner Meinung nicht allein in der Chausseestraße. Die Berliner Grünen bezeichnen den BND-Bau inmitten eines Wohngebiets als „überflüssig, überteuert und eine städtebauliche Zumutung“. Auch andere Anwohner halten wenig von ihrem kommenden Nachbarn. Viele können sich noch gar nicht ausmalen, was mit ihrem verschlafenen Straßenabschnitt in den nächsten Jahren passieren wird. Die meisten wollen es auch gar nicht. Vielmehr überwiegt Skepsis vor diesem großen Unbekannten. Angst, dass alles anders wird.

Vereinzelte Bagger und Planierraupen schieben sich über die braune Brachfläche. Dem letzten Gebäude auf dem Gelände, der alten Turnhalle, haben sie die Nordfront weggerissen, die Basketballkörbe hängen noch. Ein Laster wirbelt Staubwolken über das kahle Gelände. Hochbetrieb sieht anders aus.

Vor der Baustellen-Einfahrt ein Hauch von BND: Auf staksigen Stangen nehmen Überwachungskameras und Scheinwerfer heranbrausende Baufahrzeuge ins Visier, der Schlagbaum öffnet sich erst nach erfolgter Kontrolle, laut einem Schild herrscht Handyverbot auf dem Gelände. Und Fußgänger sollen bitte die andere Straßenseite benutzen.

Dort ist wenig los, trotz Mittagszeit. Rentner glotzen vom Balkon, Hunde werden ausgeführt, Passanten eilen zum U-Bahnhof Schwartzkopfstraße. Sarah Freier kommt mit ihrem Fahrrad von der Arbeit, einer WG für psychisch erkrankte Senioren in der Chausseestraße 50. Nein, auch sie sei gegen den Neubau. Ihre Betreuten sowieso. Protestiert habe man, den RBB eingeladen. Ein lärmendes Umfeld, blaulichterne Staatsbesuche, verschlechterte Verkehrsanbindung, der Verlust von Grünflächen – das wäre zu viel für die alten, labilen Frauen und Männer.

Von offizieller Seite habe sich niemand um ihre Sorgen gekümmert. „Wer weiß, vielleicht kommen sie ja, wenn alles fertig ist, und dann passen wir plötzlich nicht mehr ins Konzept.“ Cafés, wie im Süden der Straße, hätte sich die junge Frau gewünscht. Dass daraus nichts werden wird, habe sie „einfach verdrängt“.

Bernd sieht die Sache differenzierter. Schwarze Hornbrille, 26 Jahre, Grafikdesigner in Mitte. In die Sonne hat er sich gesetzt, um ein Buch zu lesen, direkt an der Straße, gegenüber die Bagger. „Ich hätte mir ja viel lieber das DDR-Prunkstadion angesehen. Aber das ist eben Berlin-Style, erst mal abreißen, dann weitergucken.“ Das Stadion der Weltjugend war das DDR-Prunkstadion, das größte in Ost-Berlin. Bis zu 70.000 Besucher fasste die ursprünglich nach dem Obergenossen Walter Ulbricht benannte Arena. Nach der Wende hatte sie ausgedient. 1992 begann der Abriss; hier sollte für eine mögliche Olympiade 2000 in Berlin eine Mehrzweckhalle errichtet werden. Aus Olympiade und Halle wurde nichts. Zurück blieb die Brache, die übergangsweise als Golfplatz und „Nike“-Sportpark zwischengenutzt wurde, ehe der BND kam.

Mit Antonius Garyfallakis hat sich hier am Ende der Straße auch einer der vielbeschworenen jungen Kreativen Mittes installiert. Hinter den zwei leeren Schaufensterscheiben schneidert er seit Januar 2007 für Hauptstädtische Designer. Die Miete war günstig. Auch er kann dem BND nicht viel abgewinnen. „Ich könnte mir vorstellen, dass wenn alles fertig ist, hier kein Leben mehr stattfindet, alles eintöniger wird.“ Garyfallakis’ Mitarbeiterin nickt. „Eine gute Zukunft kann ich mir hier nicht denken.“ Sie wollen nicht lange bleiben.

Unser Mann in Mitte

Andreas Kübler weist solcherlei Kritik zurück. Der Mann vom Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung (BBR), dem Bauherrenvertreter für den Neubau, wurde eigens als Ansprechpartner für die Anwohner eingesetzt. „Wir werden in einer städtebaulichen Brache ein geschlossenes, lebendiges und architektonisch anspruchsvolles Quartier schaffen“, verspricht Kübler. Das sähen die Anwohner im Grunde genauso – zumindest hätten ihm wenige bisher Gegenteiliges zugetragen. Im September vergangenen Jahres habe man eigens eine Informationsveranstaltung mit mehreren hundert Anliegern abgehalten.

Inzwischen erreichen Kübler noch rund drei Anwohneranfragen pro Woche: „90 Prozent davon betreffen Verkehrsprobleme durch die Baustelle“, sagt er. Lkw-Wendemanöver im Wohngebiet, falsch geschaltete Ampeln, Bauabfälle auf der Straße. Kübler bemüht sich, jeder Anfrage flink nachzugehen, mahnt die Baufirmen bei Vergehen, stellt Antworten auf die größten Anwohnersorgen ins Internet. „Ich bin der direkte Blitzableiter“, sagt er lachend. Und lobt seine Chausseestraßler: „Es ist erstaunlich, wie besonnen und verständnisvoll die Anwohner hier reagieren.“ Neben deren Anrufen kämen immer wieder auch „Exotenanfragen“, freut sich Kübler. Zuletzt habe sich das Filmstudio Babelsberg bei ihm gemeldet. Ob man auf der Baustelle einen Krimi drehen dürfe? Kübler hat nichts dagegen. „Noch ist hier doch nichts geheim.“

Auch ein anderes Grüppchen erwartet bereits sehnsüchtig den BND: die wenigen verbliebenen Gewerbetreibenden im Norden der Chausseestraße, die Kneipen und Imbisse. Rabia Akbaba zum Beispiel. Die gemütliche 53-Jährige stellt ihren XXL-Kaffeepott auf den einzigen Tisch im Geschäft ihres winzigen „Chaussee-Imbisses“. Draußen am Tisch rauchen sie Shisha. „Das wird hier alles besser und sicherer machen“, spricht die blau-beschürzte Türkin bedächtig. „Deutschland braucht mehr Sicherheit.“ Könnten der Lärm und Dreck der Baustelle ihre Kunden vertreiben? Sie schüttelt den Kopf. „Ich hab Stammkundschaft.“

Dass sich an der Straße etwas fundamental ändern wird, haben andere dagegen schon längst erkannt. Am nördlichen Zipfel haben sich ganz Gewiefte niedergelassen – in einer stylischen, kleinen Bäckerei. Lederhocker, dunkle Holzregale, Muffins und Mandelecken. Der „Cappuccino-im-Becher“-bestellende Bauarbeiter will hier nicht so recht reinpassen. Man hofft offensichtlich auf potentere Kundschaft. Seit Dezember habe das Geschäft erst geöffnet, verrät die Verkäuferin. Ja, das mit dem Namen sei ein Gag gewesen: „B ’n’ D“. Oder halt „Bakery and Deli“.