1.000 Palästinenser gegen 1 Israeli

Bei den Verhandlungen über die Freilassung des israelischen Soldaten Schalit lehnt die Regierung die Namensliste von Hamas über die Freizulassenden ab. Einigkeit scheint darin zu bestehen, dass über 1.000 Palästinenser in israelischer Haft freikommen

AUS JERUSALEM SUSANNE KNAUL

Der geplante Gefangenenaustausch zwischen der Hamas und der israelischen Regierung verzögert sich. Dabei geht es nicht um die Zahl der Inhaftierten, deren Freilassung die Islamisten fordern, sondern um die konkreten Personen. Die Namensliste der Palästinenser, die im Gegenzug für den im Juni letzten Jahres nach Gaza entführten israelischen Soldaten Gilad Schalit auf freien Fuß gesetzt werden sollen, löste bei Premierminister Ehud Olmert „Enttäuschung und Zurückhaltung“ aus. Selbst die Armee hält die Liste für „inakzeptabel“, da sie die Namen von Frauen und Männern umfasst, die des Mordes an Israelis überführt und zu langjährigen Haftstrafen verurteilt worden waren.

Israel will jedoch die mit ägyptischer Vermittlung geführten Verhandlungen fortsetzen. Einig ist man sich offenbar über die Anzahl der Häftlinge, die, unterschiedlichen Quellen zufolge, zwischen 1.300 und 1.400 Personen liegt. Damit würde der bisher größte Gefangenenaustausch von 1985, als 1.150 Palästinenser gegen drei israelische Soldaten getauscht wurden, noch deutlich übertroffen werden – auch, was die Verhältnismäßigkeit anbelangt. Seit Beginn der Geiselaffäre bewegt sich die israelische Regierung, die zunächst Verhandlungen mit den Entführern kategorisch ablehnte, immer stärker auf einen Kompromiss zu, während umgekehrt die Geiselnehmer ihre Forderungen stetig hochschrauben. Schon macht sich in Israel Kritik über den geplanten Handel Luft.

Die „Organisation israelischer Terroropfer“ erinnerte daran, dass in den vergangenen fünf Jahren „177 Israelis“ von Palästinensern getötet wurden, die zuvor aus israelischen Gefängnissen entlassen worden seien. Schlomo Engel von der auflagenstärksten Tageszeitung Yediot Achronot fragt unter der Überschrift „Nicht für jeden Preis“, ob der Handel „die Situation verschlechtern und schon den Boden für die nächste Entführung ebnen könnte“. Trotz des „großen Schmerzes“ für den Entführten und seine Familie dürften keine Gefangenen „mit Blut an den Händen“ freikommen.

Unter diesen in Israel üblichen Terminus fallen bislang sowohl die Ausübenden als auch die Planer eines Gewaltaktes, wobei es in der Vergangenheit Ausnahmen gegeben hat und die Regierung bereits Zugeständnisse signalisierte. Für die Israelis spielen bei der Zusammenstellung einer eigenen Liste, die es vorläufig noch nicht gibt, auch mögliche Konsequenzen für die palästinensische Innenpolitik eine Rolle. Ginge es nach der Regierung in Jerusalem, dann sollte die Entlassung der Häftlinge zu einer Stärkung der Fatah-Fraktion von Palästinenserpräsident Machmud Abbas führen.

Unklar bleibt, ob der frühere Fatah-Chef im Westjordanland, Marwan Barghouti, auf der Liste steht, wie israelische Medien gestern berichteten. Der aufgrund seiner Mitverantwortung an mehreren Attentaten zu fünfmal lebenslänglicher Haftstrafe verurteilte Barghouti gilt spätestens seit seiner Verhaftung als einer der populärsten palästinensischen Politiker und ist damit schon mit Blick auf mögliche Neuwahlen von großem Wert für Abbas. Seine Entlassung könnte umgekehrt in den Reihen der Fatah, die ohnehin von schweren internen Machtkämpfen zerrüttet ist, für einen weiteren Erdrutsch sorgen.

Olmert hatte kürzlich erklärt, solange Hamas an der Regierung beteiligt sei und Schalit nicht freikomme, könnten kaum Fortschritte bei den Verhandlungen über einen Palästinenserstaat erzielt werden. Olmert und Abbas sollen auf US-Initiative künftig alle 14 Tage zu Gesprächen zusammenkommen. Das erste Treffen ist für Sonntag geplant.