Alles Große kommt von oben

In Abu Dhabi ist die neue, ehrgeizige Buchmesse zu Ende gegangen. Sie ist Auftakt zu weiteren ambitionierten Vorhaben, zu Museums- und Übersetzungsprojekten. Doch Künstler aus Abu Dhabi beklagen den Mangel an kultureller Infrastruktur

Scheich Mohammed Bin Sajed forderte die Araber auf, sich von Verschwörungstheorien zu verabschieden

VON MONA NAGGAR

Niemand, der auf der Autobahn zwischen dem Flughafen von Abu Dhabi und der Stadt unterwegs ist, kann die neue riesige Messehalle übersehen. In der Nähe der amerikanischen Botschaft, die auf den ersten Blick wie ein halbversunkenes Kriegsschiff aussieht, schimmert die längliche, in Rautenform gebaute Halle silbrig in der Sonne. Am Haupteingang prangt das Logo der Buchmesse: vier aufrecht stehende Bücherrücken in Blau, Ocker, Gelb und Braun, die dominierenden Farben in diesem am Meer gelegenen trockenen Land. Im klimatisierten Innern der Halle schlendern Frauen, Männer und Kinder zwischen den Ständen. Sie kaufen arabische, englische und zum ersten Mal auch deutsche Bücher. Mitten in der Halle ist für Kinder ein Spiel- und Lesebereich eingerichtet. Mädchen und Jungen sind damit beschäftigt, einen Papagei auszumalen. An den Ständen stehen Verleger, manchmal auch Angestellte, und versuchen die Wünsche der Kunden zu erfüllen: Klassiker der arabischen und internationalen Literatur, Ratgeber oder Kochbücher.

Bei dem renommierten libanesischen Verlag Dar al-Adab ist der neu erschienene Roman „Liebe in Saudi Arabien“ von Ibrahim Badi besonders gefragt. Nabil Nawfal, der Verkaufsleiter des Verlages, nimmt seit vielen Jahren an der Buchmesse in Abu Dhabi teil, so auch im vergangen Jahr, als die Bücherschau noch in einem riesigen Zelt mitten in der Stadt abgehalten wurde. Nawfal kritisiert die um das Vielfache gestiegene Standkosten dieses Jahr und findet sie ungerechtfertigt. Das Preis-Leistungs-Verhältnis stimme einfach nicht. Auch der Umzug auf das neue Messegelände erkläre nicht die Steigerung. Kontakte mit den wenigen anwesenden internationalen Verlegern haben sich für ihn nicht ergeben.

Die Kritik des Vertreters von Dar al-Adab ist kein Einzelfall. Viele arabische Verleger zeigen wenig Verständnis für den enormen Preisanstieg. Der Quadratmeterpreis ist von 40 US-Dollar auf 150 bis 290 US-Dollar gestiegen. Die Buchmesse von Abu Dhabi ist nun die teuerste in der arabischen Welt, obwohl sie vom Verkauf her bei weitem nicht die lukrativste ist. Da es in der arabischen Welt keine funktionierenden Vertriebsstrukturen gibt, sind Buchhandlungen, öffentliche Bibliotheken und Leser auf die in verschiedenen Ländern stattfindenden Buchmessen angewiesen. Und für die meisten Verleger stellen die Messen eine unerlässliche Einkommensquelle dar.

Jumaa al-Kubaisi, Direktor der Buchmesse von Abu Dhabi, zeigt sich wenig beeindruckt vom Unmut der Aussteller über die gestiegenen Standpreise und meint lakonisch, dass die arabischen Verleger sich sowieso immer beschweren würden. Auch Juergen Boos, Direktor der Frankfurter Buchmesse und in diesem Jahr Kooperationspartner der Buchmesse von Abu Dhabi, kann die Kritik an den Kosten nicht nachvollziehen. Er verweist auf das reichhaltige professionelle Angebot zu den Themen Copyright, Vertrieb oder Marketing und auf den neuen Standort. Und zum ersten Mal gebe es schließlich einen umfassenden englischen und arabischen Katalog der Aussteller. Die Verantwortlichen für die Buchmesse in Abu Dhabi haben im Vorfeld angekündigt, die Messe neu auszurichten. Sie soll arabischen und internationalen Verlegern eine Plattform zum Kennenlernen und ein Forum zum Austausch von Ideen und Erfahrungen bieten. Jumaa al-Kubaisi will keinen „Bücherbasar“ mehr abhalten, sondern die bestorganisierte Messe in der arabischen Welt verantworten. Um dieses Vorhaben umzusetzen, sind die Kulturfunktionäre aus Abu Dhabi eine Kooperation mit der Frankfurter Buchmesse eingegangen.

Diese Konzeption der Buchmesse von Abu Dhabi und die Zusammenarbeit mit der Frankfurter Buchmesse sind Teil der neuen Kulturpolitik im Emirat Abu Dhabi. Seit Scheich Sajed, der Staatsgründer und Regent von Abu Dhabi, im November 2004 verstarb, wurden zahlreiche ehrgeizige Pläne in Angriff genommen, die das Bild des reichsten und größten Emirats in der Föderation der sieben Emirate nachhaltig verändern werden.

„Das neue Regime bringt neue Leute, die sich an den Entscheidungen beteiligen. Und diese jüngeren und dynamischeren Leute haben auch andere Ideen“, sagt Frauke Heard-Bey vom Zentrum für Dokumentation und Studien in Abu Dhabi, eine langjährige Kennerin der Vereinigten Arabischen Emirate. Der starke Mann im Emirat ist Scheich Mohammed Bin Sajed, Kronprinz von Abu Dhabi und stellvertretender Oberbefehlshaber der Streitkräfte, der es sich nicht nehmen ließ, die Buchmesse persönlich zu eröffnen.

Das bekannteste Projekt, das auch international für Furore sorgt, ist die Entwicklung der Insel Saadijat, die 500 Meter von Abu Dhabi entfernt liegt. Die Insel soll bis zum Jahr 2018 neben Hotels, Jachthäfen und Wohnanlagen auch einige Museumskomplexe beherbergen, unter anderem den „Louvre Abu Dhabi“ und das Guggenheim Museum. Zum neuen Kulturpaket gehört auch ein Übersetzungsprojekt, das jährlich 300 bis 400 Titel aus allen Sparten den arabischen Lesern zur Verfügung stellen soll. Der „Sheikh Zayed’s Book Award“ im Gesamtwert von knapp zwei Millionen Dollar, der in diesem Jahr zum ersten Mal verliehen wurde, zeichnet verschiedene kulturelle Leistungen aus. Und Abu Dhabi soll mit seiner Buchmesse zum Verlagszentrum in der arabischen Welt werden.

Die Ambitionen von Abu Dhabi im kulturellen Bereich sind neu. Bisher galt Sharjah, eines der erdölarmen Emirate mit Scheich Sultan al-Kasimi an der Spitze, als kulturelles Zentrum des Landes. Einige Museen, Theaterfestivals, die Sharjah Biennale und eine Buchmesse sind die Aushängeschilder. Dubai wartet mit einem internationalen Filmfestival auf und versucht sich als Plattform für den internationalen Kunsthandel zu etablieren. Ein Wettbewerb um kulturelle Prestigeobjekte scheint zwischen den Emiraten entbrannt zu sein. Frauke Heard-Bey sieht durchaus Parallelen zum Wettbewerb zwischen deutschen Städten im 18. Jahrhundert. „In Berlin, Mannheim oder Dresden, überall gab es Theater. Und die Fürsten, auch die Bischöfe, die Hansestädte, jeder war mit den anderen in Konkurrenz um die besten Künstler. Sie haben sich gegenseitig und dem allgemeinen Publikum ihre neusten Projekte präsentiert. Ich würde sagen, dieser Geist ist denen hier auch nicht fremd.“

Aber der kulturelle Ehrgeiz der reichen Sultanate, Scheichtümer und Königreiche am Persischen Golf sollte auch vor dem Hintergrund der Veränderungen dieser Länder in den letzten Jahren gesehen werden. Sie verstehen sich schon lange nicht mehr als kulturelle Entwicklungsländer im Vergleich zu den klassischen Zentren in der arabischen Welt wie Beirut, Kairo oder Bagdad. Die Machthaber verfügen über schier unerschöpfliche Geldmittel, haben Kultur als Image förderndes Mittel entdeckt und haben eine relative politische Öffnung zugelassen.

Dass die Machthaber bei den Kulturprojekten hin und wieder auch eine gesamtarabische Perspektive im Auge haben, zeigt auch die prägnante und erstaunlich knapp gehaltene Rede von Scheich Mohammed Bin Sajed bei der Preisverleihung des „Sheikh Zayed’s Book Award“. Er verwies auf den UN-Bericht zur menschlichen Entwicklung in der arabischen Welt aus dem Jahr 2003, in dem die Neuerscheinungen in der arabischen Welt zu den niedrigsten weltweit gehören. Er forderte die Araber auf, sich nicht länger auf Verschwörungstheorien zu berufen, um das eigene Unvermögen zu verschleiern. Den Preis versteht er als Beitrag zur Förderung des unterentwickelten arabischen Geisteslebens.

Was nun halten einheimische Schriftsteller, Künstler und Filmemacher von der Idee, aus Abu Dhabi ein Verlagszentrum für die arabische Welt zu machen? Was halten sie von den bombastischen Plänen, den Louvre oder das Guggenheim Museum in Häusern mit atemberaubender Architektur an den Persischen Golf zu holen? Mohammed Ahmad Ibrahim gehört zu den bekanntesten Künstlern der Vereinigten Arabischen Emirate. Auf der Anfang April eröffneten Sharjah Biennale ist er mit einer Installation vertreten. Er weist auf die absurde Situation hin, dass es in den Emiraten an den Schulen keinen Kunstunterricht gibt: „Die Emiratis haben in der Regel sehr wenig Vorwissen in Sachen Kunst. Erst Kunstereignisse wie die Biennale führen die Menschen an Kunst heran. Alle großen Projekte kommen von oben, und man kann nur hoffen, dass sie die Verantwortlichen dazu bewegen, bald eine wirkliche Infrastruktur zu schaffen.“

Der Filmemacher Masud Amrallah findet alle Kulturprojekte erfreulich und wichtig, aber auch er vermisst in vielen Bereichen die notwendige Infrastruktur: „Wir gehen die Dinge vom Ende an und machen riesengroße Sprünge. Das finde ich beängstigend.“ Seit vielen Jahren fordern Amrallah und andere Filmemacher aus den Emiraten die Gründung einer Filmakademie, vergebens. Staatliche Unterstützung für einheimische Produktionen gibt es nicht: „Diese Generation von Filmemachern bezahlt alles aus eigener Tasche, wenn sie irgendwann resigniert aufgeben, dann wird es keine Filme mehr aus den Emiraten geben. Ich weiß nicht, ob nächstes Jahr überhaupt ein Film entstehen wird.“ Aber Amrallah versucht auch, Verständnis für sein junges Land zu gewinnen, in dem das Verhältnis zur Kultur nicht mit Gesellschaften zu vergleichen sei, die eine Jahrhunderte dauernde Entwicklung durchgemacht haben.

Der Dichter Ahmad Rashid Thani – er ist auch Mitarbeiter der Cultural Foundation in Abu Dhabi – verweist auf die unterentwickelte private Verlagsbranche in den Emiraten. Sämtliche einheimischen Industriezweige würden gefördert, nur die Verlagsbranche werde stiefmütterlich behandelt, klagt Thani. Solange Abu Dhabi aber kein nennenswertes Verlagswesen und lebendige Buchhandlungen hat, kann sich Thani das Emirat nicht als Verlags- und Buchzentrum in der arabischen Welt vorstellen.

Es ist noch zu früh, ein endgültiges Urteil über das neue Konzept der Buchmesse von Abu Dhabi abzugeben. Aber eines ist sicher: Viele arabische Verleger müssen noch für die Idee der Schaffung einer professionellen Plattform und von der Einschränkung des „Bücherbasars“ gewonnen werden. Mehr Überzeugungsarbeit und weniger von oben angeordnete Änderungen wären dabei sicher hilfreich.