Treitschke kann endlich verschwinden

Nun fordert die FDP die Umbenennung der Steglitzer Treitschkestraße. Statt eines Judenhassers soll eine Katholikin geehrt werden, die zu NS-Zeiten einem jüdischen Ehepaar das Leben rettete. CDU als Einzige für Beibehaltung des Straßennamens

VON PETER NOWAK

Es kommt Bewegung in die heftig geführte Auseinandersetzung um die Treitschke-Straße im Bezirk Steglitz-Zehlendorf (taz berichtete). Neben SPD und Grünen ist nun auch die FDP-Fraktion in der Bezirksverordnetenversammlung (BVV) für eine Umbenennung der Straße. Damit hätte dieses Vorhaben eine Mehrheit. Der nationalkonservative Historiker Heinrich von Treitschke (1834–1896), der mit dem Ausspruch „Die Juden sind unser Unglück“ unrühmlich bekannt geworden war, ist einer der Stichwortgeber des deutschen Antisemitismus.

Viele Jahre haben sich daher SPD und Grüne für eine Umbenennung der nach ihm benannten Straße ausgesprochen. CDU und bisher auch die FDP plädierten für die Beibehaltung des Namens. Nachdem die Grünen mit der CDU Ende vergangenen Jahres im Bezirk eine Zählgemeinschaft gebildet hatten, wurde der Ton innerhalb der Treitschke-Gegnerschaft rauer. Die SPD warf den Grünen vor, für sie habe die Straßenumbenennung plötzlich nicht mehr oberste Priorität. Das seien parteipolitische Manöver der Sozialdemokraten, konterten die Grünen und verwiesen darauf, dass die UmbenennungsbefürworterInnen in der BVV keine Mehrheit hätten. Schließlich haben CDU und FDP 28 Sitze, während Grüne und SPD zusammen 27 Mandate stellen. Doch die Mehrheitsverhältnisse dürften jetzt zugunsten der Treitschke-GegnerInnen kippen.

Die FDP-Fraktion ist nun überraschend mit einem eigenen Vorschlag an die Öffentlichkeit gegangen. Danach soll die Straße künftig nach Maria Rimkus benannt werden, die jahrelang im damaligen Bezirk Steglitz gelebt hat und im Alter von 90 Jahren im Jahr 2001 verstorben ist.

Maria Rimkus ist bisher in Berlin kaum bekannt. Dabei hat sie in der NS-Zeit der jüdischen Zwangsarbeiterin Ruth Abraham und ihrem Mann Willy das Leben gerettet. Die gläubige Katholikin Rimkus, die damals noch Maria Nickel hieß, versorgte die Abrahams mit Lebensmitteln. Nachdem große Teile der Familie 1943 in Vernichtungslager deportiert wurden, verschaffte Rimkus den Verfolgten falsche Papiere. Die Abrahams überlebten die NS-Zeit in einem mecklenburgischen Dorf und emigrierten 1948 in die USA. Maria Nickel/Rimkus geriet im Sommer 1943 kurz ins Visier der Gestapo, wurde aber nach mehreren Verhören freigelassen. „Wir wollen Frau Rimkus für ihre Taten ehren“, begründet der Steglitzer FDP-Fraktionsvorsitzende Kay-Heinz Erhardt den Vorschlag seiner Partei.

Ob die Debatte um die Umbenennung endlich ein glückliches Ende findet, wird sich spätestens am 18. April zeigen. Dann wird im Kulturausschuss der BVV darüber debattiert. Für den Chef der Steglitzer SPD-Fraktion Michael Karnetzki ist durch den FDP-Vorstoß eine Mehrheit für ein Ende der Treitschkestraße selbst dann gegeben, wenn die CDU weiterhin an dem umstrittenen Historiker als Namensgeber einer Straße festhalten sollte.

Vorsichtiger äußerte sich die Fraktionsvorsitzende der Bezirksgrünen, Irmgard Franke-Dressler. Sie habe aus der Presse von dem FDP-Vorstoß erfahren und müsse sich erst im Detail informieren. Doch auch ein gemeinsamer Antrag aller BVV-Fraktionen ist nicht unwahrscheinlich. Eine Ablehnung einer Ehrung für die Katholikin Rimkus dürfte auch in der CDU-Fraktion kaum vermittelbar sein. Dort hat man schon deutlich gemacht, dass man in der Öffentlichkeit nicht als Treitschke-Fanclub angesehen werden wolle.

Inzwischen wächst auch der Druck von Zeitzeugen, den Straßennamen zu ändern. So schreibt Dora Dick, eine in Steglitz lebende jüdische NS-Verfolgte, in einem offenen Brief an die BVV: „Die Geschichte dieser Stadt, erzählt aus Sicht ihrer wirklichen Helden, ist doch noch gar nicht durchgängig im öffentlichen Bewusstsein angekommen.“

Auch Dick fordert eine schnelle Umbenennung. „Vor 70 Jahren musste ich von Berlin nach Prag fliehen, um buchstäblich mein nacktes Leben zu retten. Es ist für mich unfassbar, dass in dieser Stadt ein Wortführer des Antisemitismus immer noch eine besondere Würdigung genießt“, so Dora Dick, die später im englischen Exil gemeinsam mit Oskar Kokoschka, Alfred Kerr und John Heartfield den Freien Deutschen Kulturbund gegründet hat.