„Der Pass interessiert mich nicht“

Stuttgarts OB Wolfgang Schuster (CDU) empfiehlt auf dem diesjährigen Städtetag das Konzept „Internationale Stadt“

WOLFGANG SCHUSTER, 57, ist seit 1997 Oberbürgermeister von Stuttgart. 40 Prozent der Einwohner der Stadt haben einen Migrationshintergrund – mehr als in Hamburg oder Berlin. Der CDU-Politiker Schuster wurde 2004 wiedergewählt – mit Hilfe einer Empfehlung des Grünen-Kandidaten Boris Palmer.

taz: Herr Schuster, in München tagt gerade der Deutsche Städtetag mit dem Leitthema Migration. In den Expertenstatements ist dabei immer wieder die Rede von gescheiterter Quartierspolitik, die zu einer „Segregation“, also einer Trennung der Stadtgesellschaft, führt. Gibt es in Deutschland bald Ghettos?

Wolfgang Schuster: Aus zehn Jahren OB-Erfahrung kann ich sagen: Wir mussten viel, viel Geld in die Hand nehmen, um gesellschaftlichen Abspaltungen in Stuttgart entgegenzusteuern. Unser Ziel war stets: ein Wohnumfeld schaffen, in dem sich die Menschen wohlfühlen, in dem auch die Mittelschicht gern zu Hause ist. Dazu gehört der Nahverkehr, Kinderbetreuung, Schulen und Begegnungsstätten. Das ist teuer, aber immer noch billiger, als ein sozial gekipptes Viertel wieder aufzupäppeln. Aber zugegeben: Wir relativ reichen Stuttgarter tun uns dabei leichter als manch andere deutsche Stadt.

Stuttgart ist reich, aber auch ein Standort mit viel Autobau und vielen ausländischen Arbeitern. Funktioniert das Zusammenleben?

Unsere Sozialdaten zeigen, dass wir überall eine Mischung von Nationalitäten haben, wobei die Deutschen übrigens in einigen Teilen der Stadt in der Minderheit sind. Neben Bildung und Infrastruktur achten wir auf ein starkes Vereinsleben – ein hervorragendes Mittel zur Integration. Und in Wohnquartieren versuchen wir teilweise per Mieterprivatisierung Verhaltensmuster zu ändern: Wir verkaufen etwa einer türkischen Familie eine Wohnung, die sie bisher gemietet hatte. Wenn türkische Migranten Wohneigentum haben, sind die strikter als die Schwaben – das hat natürlich einen ordnenden Effekt auf das gesamte Umfeld.

Allenthalben kaufen Heuschrecken ja kommunale Wohnungen auf. Gibt es überhaupt noch genügend Steuerungsmöglichkeiten für die Kommunen?

Auch bei uns kamen Leute mit viel Geld und haben uns einen Milliardenbetrag geboten für die Wohnungen der Stadt. Wir können und wollen uns den eigenen Besitz aber weiter leisten, die Wohnungen sind zentraler Bestandteil in der Städteplanung.

50 Prozent Migranten und viele alte Menschen, so werden deutsche Städte in 20 Jahren ausschauen. Unlösbare Konflikte?

In Stuttgart gehen wir mit einem Leitbild in diese Zukunft, das diese beiden Entwicklungen zusammenführt und idealerweise auflöst: Jeder, der in Stuttgart wohnt, ist Stuttgarter. Punkt. Der Pass interessiert mich nicht, mich interessieren die Potenziale, die ein Menschen mit sich bringt. Eine Stadt, die vom Export lebt, wie Stuttgart, braucht eine internationale Bevölkerung.

Und wie fördert Stuttgart die Internationalität?

Wir wollen die Stadt sein mit der höchsten Sprachkompetenz. In der Grundschule fangen die Kinder spielerisch mit Englisch an, gleichzeitig gibt es muttersprachlichen Unterricht. Diese Art der Wertschätzung ist wichtig, das ist Teil unserer Willkommenskultur. Es gibt in Deutschland immer die Angst: Da kommen immer mehr, können wir das bewältigen? Ich sage: Ja, wir können das bewältigen, wenn wir uns anders einstellen.

Sprechen Sie da für Stuttgart oder Deutschland? Eigentlich wird bei uns ja immer noch über den Begriff „Einwanderungsland“ gestritten.

Es ist in der Tat noch ein längerer Weg, bis alle die Chancen der Internationalität begreifen. Ich definiere Stuttgart jedenfalls als Einwanderungsstadt. Damit ganz klar wird, dass wir bereit sind, Menschen aufzunehmen mit allen Rechten und Pflichten.

INTERVIEW: MAX HÄGLER