Berliner Sozialforum in der Krise: Aktivisten sind inaktiv

Immer weniger Gruppen engagieren sich beim Berliner Sozialforum. Der Politologe Peter Grottian fordert mehr Radikalität. Am Samstag wird beraten, wie es weitergeht.

Die Initiative für ein Berliner Sozialforum steht vor der Zerreißprobe. Ein offener Raum für politische Diskussionen wollte das Forum sein. Gruppen und Einzelpersonen sollten dort Netzwerke bilden und gemeinsame Aktionen starten. Doch das funktioniert nicht mehr. Deshalb steigen zwei wichtige AktivistInnen des globalisierungskritischen Bündnisses jetzt aus.

Peter Grottian, Politikwissenschaftler und prominenter Mitbegründer des Berliner Sozialforums, sieht die Krise des Forums in der schwindenden Mitgliederzahl und in der fehlenden Radikalität der Initiative begründet. "Wir sind mit unserer Idee eines breiten Bündnisses nicht weit gekommen", sagt er. Auf einer Klausurtagung der Initiative am kommenden Samstag soll nun über die Zukunft des Sozialforums diskutiert werden.

Der Diplompolitologe Axel Strasser steigt aus dem Forum aus, weil dort "politisch nichts mehr passiert", wie er sagt. Strasser hatte sich seit der Gründung der Initiative im Jahr 2003 sehr stark engagiert: So brachte er zum Beispiel Gewerkschaften und Flüchtlingsinitiativen an einen Tisch, um über Schwarzarbeit zu diskutieren, organisierte Plena und kümmerte sich um die Homepage und Mailinglisten. Jetzt reicht es ihm. "Die derzeitige Struktur funktioniert nicht mehr, und ich habe auch keine Ideen mehr, wie man das ändern kann." Gleichzeitig dementiert er Gerüchte, dass das Sozialforum aufgelöst werde.

Auch Corinna Genschel will sich nicht mehr aktiv beteiligen: Das Forum habe zu wenig aktive Leute und sei darum nicht mehr das, was es sein sollte, sagt sie. Genschel, die auch für die Kontaktstelle Soziale Bewegungen der Linksfraktion arbeitet, organisierte verschiedene politische Veranstaltungsreihen innerhalb des Forums und das erste Berliner Sozialforum im April.

Nach dem Vorbild des ersten Weltsozialforums 2001 in Porto Alegre waren auf internationaler und lokaler Ebene verschiedene Sozialforen entstanden, so auch in Berlin. Mit dem Namen Berliner Sozialforum ist sowohl das erste Forum im April als auch die Initiative selbst gemeint, die seit 2003 besteht.

Der Ausstieg der beiden AktivistInnen konfrontiert das Sozialforum mit der Frage, wie es weitergehen soll. "In den ersten zwei Jahren hat unsere Idee funktioniert", sagt Strasser. Unter dem Dach des Forums wurden Aktionsbündnisse etwa gegen den Bankenskandal, gegen Studiengebühren oder die Privatisierung der Berliner Wasserbetriebe aktiv. 2004 sorgte das Sozialforum für Aufsehen, als es die Berliner zum Schwarzfahren in U- und S-Bahnen aufrief, um gegen die Abschaffung des Sozialtickets der Berliner Verkehrsbetriebe zu demonstrieren. Auch an den Montagsdemonstrationen gegen Hartz IV war das Forum maßgeblich beteiligt. So eine Zusammenarbeit gibt es laut Strasser heute nicht mehr.

Anfangs habe es einen Kern von 60 bis 80 Vertretern von Gewerkschaften, Attac, Studenten- und Jugendorganisationen gegeben, jetzt kämen höchstens noch 20 Einzelpersonen zu den Plena. "Viele haben das Forum als Plattform genutzt, aber wollten sich nicht langfristig engagieren", erklärt die Attac-Vertreterin Sigrid Graumann den Schwund.

Gemeinsam etwas auf die Beine zu stellen, sei von Anfang an schwierig gewesen, sagt der Politologe Grottian. "Wir sind bisher nicht in der Lage, unterschiedliche politische und soziale Projekte langfristig an einen Tisch zu bringen. Jede Initiative hat so viel mit sich selbst zu tun, dass es zu viel Aufwand ist, sich auch noch innerhalb des Sozialforums zu engagieren", erklärt er das fehlende Engagement innerhalb des Forums.

Für Rainer Wahls, der zur Arbeitsgruppe Soziales Berlin gehört, ist das Problem folgendes: "Die wenig Übriggebliebenen sind nicht homogen genug, um eine Gruppe zu bilden, aber gleichzeitig zu homogen, um ein Bündnis verschiedener Gruppierungen zu bilden." Daher müsse jetzt entschieden werden, ob das Sozialforum nur Gruppen zusammenführen will oder auch selbst aktiv werden soll.

Grottian setzt sich für Letzteres ein: "Es reicht nicht, zu diskutieren und Alternativen zu suchen, wir müssen selbst aktiv werden." Volksbegehren und Demonstrationen reichten da nicht aus. "Wir müssen den Stachel ins Fleisch schieben und mit Regelverletzungen wie Blockaden und Besetzungen reagieren", führt er aus. Doch dafür fände sich innerhalb des Bündnisses oft keine Mehrheit. Trotzdem fordert Grottian mehr Radikalität. Das Sozialforum sei zwar nicht gefährdet, aber es müssten sich wieder Menschen finden, die sich kritisch einmischen.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.