Dutschke-Gedenken: Alle Räder liegen still

40 Jahre nach dem Attentat auf Rudi Dutschke erinnern Linke und Grüne an den verstorbenen 68er. Die einen performen vor dem Springer-Haus, die anderen legen Kränze auf dem Kudamm nieder.

Bild: DPA

"Kommt, wir machens wie früher!" Der junge Mann, der sich mit Seitenscheitel, Hemd und Aktentasche als Rudi Dutschke verkleidet hat, fasst seine GenossInnen bei den Händen. Zusammen nehmen sie Anlauf - und tragen im Laufschritt rote Fahnen und ein Transparent durch die Wiese gegenüber dem Springer-Hochhaus: "Enteignet Springer!" steht darauf. Am Gehsteig machen sie lachend halt. Ob das reicht? "Ho-Ho-Ho-Chi-Minh", schreit einer, sicherheitshalber, dann verstummen sie. Die Szene ist im Kasten, für Fernsehleute und Fotografen war genug dabei.

Das linke Mayday-Bündnis, das an der Kochstraße der Anti-Springer-Proteste von 1968 gedenkt, tut das auf eine sehr heutige Weise: Das Dutzend Leute demonstriert nicht, sondern performt für sich und ein paar Medienvertreter. Vor der fotogenen "Bild liebt Berlin"-Beflaggung des Medienkonzerns recken sie die Fäuste, halten "Dutschke hatte Recht"-Poster in die Höhe.

Dass weder Passanten noch Springer-MitarbeiterInnen Notiz nehmen, stört sie nicht. Genauso wenig die Polizisten, die auf der anderen Straßenseite geradezu unverschämt nonchalant in iher Wanne lümmeln. "Wir wollen gar nicht demonstrieren", erklärt "Dutschke", der Sprecher der Gruppe. "Nur an den Geist von damals erinnern: Vieles, wogegen damals protestiert wurde, besteht weiter." Als Beweis hält er eine Welt Kompakt in die Höhe, die titelt: "Linke Gewalt nimmt dramatisch zu". Springer hetzt immer noch gegen Linke, wenn auch etwas subtiler als anno 1968. Aber müssen die jungen Revolutions-Performer zum Abschluss ausgerechnet den chinesischen Großen Vorsitzenden Mao zitieren? Damit gerät die Pressekonferenz der 1.-Mai-AktivistInnen dann doch noch zum Historienspiel.

Bei der "Fahrradniederlegung" am Kudamm, zu der die Berliner Geschichtswerksatt und die Charlottenburger Grünen am Attentatsort aufgerufen haben, geht es dagegen ziemlich ernsthaft zu. Viele sind gekommen, um ihr Fahrrad dort niederzulegen, wo Rudi Dutschke einst vom rechtsradikalen Arbeiter Josef Bachmann mit drei Schüssen niedergestreckt wurde - das Foto von Dutschkes einsamem Rad mit der Aktentasche am Lenker ging um die Welt. Nun geben die vielen auf dem Asphalt liegenden Räder ein schönes Bild ab.

Doch das von vielen Dabeigewesenen und Nachgeborenen besuchte Event kippt schnell ins Betuliche und Staatstragende: Erst legt Grünen-Chefin Claudia Roth feierlich einen Blumenstrauß auf "Rudis" Gedenktafel ab, dann werden in langen Reden immer wieder der Verlauf des Attentats sowie "Rudis" politische Verdienste und charakterliche Integrität beschworen.

Der bange Satz "Was würde Rudi dazu sagen?" offenbarte die Sehnsucht der Grünen nach einer Zeit, in der man noch sicher sein konnte, auf der guten Seite zu stehen. Einem Mann im Publikum platzt ob so viel Nostalgie der Kragen: "Wir haben Krieg in Afghanistan und ihr macht hier so ne Scheiße!", schreit er. Aber man will an gestern denken, nicht an heute. Auch wenn der Satz: "Dutschke wäre vielleicht euer Kriegsminister geworden" ziemlich laut nachhallt. Umso lauter scheppert dann Wolf Biermanns "Drei Schüsse auf Rudi Dutschke" aus den Lautsprechern, und Roth rekapituliert noch einmal eindringlich den Hergang des Attentats.

Für die Teenager im Publikum ist das sicherlich neu. "Guck mal, ich hab Dutschkes Mutter fotografiert!", ruft eine. Bei der kleinen grauhaarigen Dame mit Brille handelte es sich um Dutschkes Frau Gretchen. Die aus den USA angereiste Umweltaktivistin preist ihren verstorbenen Mann, der sich stets für "die Erniedrigten und Beleidigten" eingesetzt habe. Christian Ströbele (Grüne) nutzt seine Rede dazu, ein paar Fakten geradezurücken: "Dutschke war kein RAFler und kein Nationalist." Dass es solcherlei Richtigstellungen noch bedarf, zeigte der Mann, der vom Balkon eines 70er-Jahre-Klotzes seine Wut über die "Scheiß-Kommunisten" herunterbrüllte. Genau in seinem Blickfeld: eine große Bild-Werbetafel.

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