Kindeswohl: Armut schlägt brutal zurück

Notdienste registrieren einen starken Anstieg vernachlässigter Kinder. Grund sei die wachsende Armut. Der Senat lobt auch die erhöhte Wachsamkeit: Die neue Hotline werde häufig genutzt.

Dramatische Zahlen: Bei den Krisendiensten der Jugendämter sind Ende November in nur zwei Wochen rund 760 Anrufe wegen gefährdeter Kinder eingegangen Bild: AP

Die Berliner Kindernotdienste beobachten eine eklatante Zunahme der Fälle von Misshandlung oder Vernachlässigung von Kindern. Nach vorläufigen Zahlen haben die Mitarbeiter in diesem Jahr rund 2.500-mal bei Krisen interveniert und Eltern beraten oder die Kinder anderweitig untergebracht. Das ist eine erneute Steigerung um 25 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Die Zahl der Fälle war bereits 2006 um 85 Prozent gestiegen, berichtete am Montag die Leiterin der Berliner Kindernotdienste, Martina Hartwig. Berlin bleibt damit das härteste Pflaster für Kinder und Jugendliche in Deutschland.

Ähnlich dramatische Zahlen haben auch andere Hilfseinrichtungen registriert. Bei den Krisendiensten der Jugendämter sind Ende November in nur zwei Wochen rund 760 Anrufe wegen gefährdeter Kinder eingegangen. 127-mal nahmen Mitarbeiter der Jugendämter daraufhin Kinder aus den Familien und in Obhut, weil sie offenbar misshandelt oder vernachlässigt wurden. Dies zeigt eine Blitzumfrage in allen Bezirken, die die Friedrichshain-Kreuzberger Jugendstadträtin Monika Herrmann (Grüne) vorstellte. "Die Wachsamkeit steigt, aber auch die Zahl der Fälle", meint Herrmann.

"Das sind erschreckende Zahlen", sagt Wolfgang Penkert, Abteilungsleiter für Jugend und Familie in der Senatsverwaltung für Bildung. "Sie sind aber auch ein Zeichen dafür, dass das neue Netzwerk Kinderschutz greift." Mit diesem Netzwerk und einer Kinderschutzhotline reagierte der Senat auf den gewaltsamen Tod des 2-jährigen Kevin in Bremen 2006. Rund 650-mal wählten Nachbarn und Angehörige seit Mai die Nummer 61 00 66; in zwei Dritteln der Fälle wurde das Jugendamt eingeschaltet.

Für Martina Hartwig ist die Zunahme allerdings nicht in erster Linie auf die gutnachbarlichen Beziehungen der Berliner zurückzuführen, sondern auf die Verschärfung sozialer Probleme: "Die Belastungen für die Familien nehmen zu. Mit Armut und Arbeitslosigkeit sind viele Eltern überfordert." Auch die Vorsitzende des Berliner Kinderschutzbundes, Sabine Walther, sieht das Kindeswohl vor allem durch wachsende Armut bedroht: "Die Beiträge, die beim Arbeitslosengeld II für Kinder eingeplant sind, sind absolut zu niedrig." Es sei doch klar, dass die Verzweiflung der armen Eltern zunehme. "Damit steigt leider auch das Risiko von Misshandlung und Vernachlässigung."

Allein in Kreuzberg seien fast die Hälfte der Familien sogenannte Risikofamilien, berichtet Jugendstadträtin Herrmann - also Familien, in den die Eltern arm oder arbeitslos, allein erziehend oder drogensüchtig sind. "Wir müssen früher in diese Familien rein", sagt sie und fordert mehr Personal für präventive Hausbesuche. In Friedrichshain-Kreuzberg sei nur eine Person mit 20 Wochenstunden für den gesamten Bezirk zuständig. Für die laufenden Aufgaben fehlten im kommenden Jahr 22 Millionen Euro in den Kassen der Bezirke. "Es ist doch absurd, dass eine Jugendstadträtin um Geld für Kinderschutz betteln muss", klagt Herrmann.

Dabei hat das Abgeordnetenhaus für 2008 und 2009 erstmals wieder einen Haushalt verabschiedet, in dem die sogenannten Hilfen zur Erziehung, also Geld für Jugend- und Sozialarbeiter, nicht gekürzt, sondern sogar aufgestockt wurden. Die Jugendämter sollen ab Januar 24 zusätzliche Mitarbeiter bekommen, versprach Penkert.

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