Schauspielkunst: Auf der Suche nach der Heimat

Im Theaterforum Kreuzberg experimentiert Regisseur Manfred Olek Witt zusammen mit Jugendlichen verschiedener Herkunft zum Thema Migration.

Ankunft in Europa: Einwanderer aus dem subsaharischen Afrika Bild: AP

Ein Mädchen mit braunen Locken steht in der Mitte der Bühne und singt in einer fremden Sprache. Sieben andere Jugendliche bewegen sich im Halbkreis um sie herum und untermalen den Gesang mit selbstgebauten Rasseln. Auf einer der dunkelgrünen, mit Samt bezogenen Zuschauerbänke sitzt ein Mann um die vierzig, der Regisseur Manfred Olek Witt, und beobachtet die Gruppe.

Meytal Zur hat das Lied selbst auf Hebräisch geschrieben. Sie kommt aus Israel und lebt seit eineinhalb Jahren in Berlin. "In dem Lied geht es um eine Frau, deren Herz und Heimat sich an zwei verschiedenen Orten befindet", erklärt die 23-Jährige. Der Schauspieler Chris Dehler betreibt mit der Gruppe musikalische Forschungen. "Wir versuchen musikalische Übersetzungen für unsere Erfahrungen zu finden, die ohne Sprachbarrieren greifen", erklärt er.

Der Titel des Theaterprojektes - "Oppelner Straße. Eine Reise auf den Spuren von Emin Pascha und anderen Wandervögeln" - bezieht sich auf die Oppelner Straße in Kreuzberg und die im Süden von Polen liegende Stadt Opole. Emin Pascha, 1840 in Oppeln geboren, lebte längere Zeit in Deutschland, bis er zum Islam konvertierte und ein bekannter Afrikaforscher wurde. Regisseur Witt erzählt, warum er sein Projekt so genannt hat: "Anfangs, als ich die Oppelner Straße entdeckte, hat mich die Frage beschäftigt, welche Menschen wohl dort wohnen. Und ob diese Bewohner möglicherweise etwas von der polnischen Stadt wissen und welche Gemeinsamkeiten und Unterschiede die Menschen in Deutschland und Polen wohl auszeichnet." Witt ist in der Nähe von Oppeln geboren und dort zur Schule gegangen. Seit 30 Jahren lebt er in Deutschland, davon 20 Jahre in Berlin.

Die Theatergruppe besteht aus 19 Leuten. Hauptsächlich sind es Kreuzberger und Oppelner Jugendliche unterschiedlicher Herkunft, die Witt über Theaterworkshops gefunden hat. Aber auch einige professionelle Schauspieler sind dabei.

Abbas Assaf, der direkt auf der Oppelner Straße im Wrangelkiez wohnt, hat libanesische Wurzeln. Mit 15 Jahren ist er einer der Jüngsten der Theatergruppe. Abbas erzählt, dass er in einem Kreuzberger Clubhaus seit drei Jahren Rapmusik mache. Dadurch habe er auch Witt kennengelernt. "Ich darf hier meine Musik mit einbringen und rappen. Das Projekt hat meine Ferien gerettet", freut er sich.

Regisseur Witt möchte mit den Jugendlichen vor allem die positive Bedeutung von Migration herausarbeiten. "Wir wollen nicht die Problematik von Migration im Sinne von Vertriebenwerden darstellen, sondern in ihrer Bedeutung als Bewegung", erklärt er. Dadurch kam die Gruppe etwa darauf, sich mit Zugvögeln zu vergleichen. Die sind immer in Bewegung, immer auf der Suche nach beherbergenden Orten. Aber einige Teilnehmer sollen in dem Theaterstück auch erzählen, wie sie nach Berlin geraten sind und welche Sehnsüchte und Träume sie bewegen. Dehler ergänzt: "Keiner hat im Vorhinein eine ihm zugewiesene Rolle. Jeder spielt sich gewissermaßen selbst." Neugier spielt dabei eine große Rolle. "Jeder bringt seine eigene Geschichte und Erfahrung mit. In der Gruppe sprechen wir über unsere Herkunft und über unsere Situation als Migranten", sagt Abbas. "Dadurch kommen uns dann gemeinsam Ideen für das Stück."

Kleine Gruppen erproben verschiedene Möglichkeiten mit den Mitteln Tanz, Gesang und Sprache. "Ein fertiges Konzept für die Aufführung gibt es noch nicht. Wir sind dabei, ein Gerüst zu entwickeln, in dem auch Improvisationen Platz haben", erzählt Dehler. Die unzähligen Möglichkeiten, die sich bei den Proben erschlossen haben, müssen bis zur Premiere von Witt zu einem großen Ganzen verwoben werden. Dabei gebe es verschiedene Varianten. "Die Struktur des Stücks sollte schon die Möglichkeit der Wiederholbarkeit beinhalten", so der Regisseur. "Das gibt auch den Jugendlichen mehr Sicherheit, sie wollen ja später etwas vorweisen können." Ihm selbst, sagt er, sei der Entstehungs- und Kennenlernprozess wichtiger als das Endergebnis. Es werde durch die experimentelle, weniger perfektionistische Herangehensweise den Charakter eines Werkstattergebnisses haben.

Pamela Adamik und Grzegorz Staszak, beide 17 Jahre alt, sind durch einen Theaterworkshop in Opole zu dem Projekt gekommen. Auch Pamela hat ein Lied geschrieben, auf Polnisch. "Es handelt von einem Mann, der seine Frau für einen Vogel hält, den er einsperren will", übersetzt sie. Beide fühlen sich in der Gruppe und in Berlin sehr willkommen.

Überhaupt haben die Jugendlichen trotz der verschiedenen Sprachen und sozialen Hintergründe kaum Verständigungsschwierigkeiten. "Wir sind mittlerweile wie eine Familie, wir respektieren einander", sagt Abbas stolz. Das Theaterstück wird nicht nur im Theaterforum Kreuzberg, sondern auch später in Opole zu sehen sein.

30. August bis 2. September, Theaterforum Kreuzberg , 20 Uhr

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