Berliner Schüler schlecht im Lesen: Berlin fehlen die Leuchten

Berlins ViertklässlerInnen sind deutschlandweit die Vorvorletzten in Sachen Lesekompetenz.

Kinder aus bildungsnahen Familien schneiden deutlich besser ab Bild: AP

Noch eine Bildungsvergleichsstudie - und noch eine Niederlage für Berlin. Erst bekamen Ende November die Oberschulen beim Ländervergleich der Bildungsstudie Pisa schlechte Noten. Nun schreibt Iglu, die internationale Untersuchung der Lesefähigkeit von Viertklässlern, auch den Grundschulen ein "Mangelhaft" ins Zeugnis.

Die Sonnen-Grundschule Nord-Neukölln besuchen Kinder aus 22 Nationalitäten, der Ausländeranteil liegt bei 87 Prozent.

Erdem*, 10: "Mir macht das Lesen Spaß, wenn Bilder dabei sind. So wie bei Comics. Das ist besser, weil die Sätze dort kürzer sind. Von Büchern bekomme ich manchmal Kopfweh. Vor Kurzem habe ich versucht, ein türkisches Buch zu lesen. Aber das ist für mich noch schwerer, als einen türkischen Film zu schauen."

Cem, 11: "Zurzeit lese ich ,Käpten Knitterbart'. Das hat mir meine Lehrerin ausgeliehen, weil ich im Lesen noch nicht so gut bin: Ich stoppe oft, da ich viele Wörter nicht kenne. Die Wörter unterstreiche ich dann, am nächsten Tag frage ich meine Lehrerin nach der Bedeutung. Ich versuche gerade, meiner Mutter Deutsch beizubringen, sie bringt mir bei, türkisch zu lesen. Das fällt mir schwer: Wenn ich neue türkische Wörter lerne, vergesse ich oft die deutschen. Und Deutsch ist mir wichtiger."

Mert, 10: "Ich lese nicht so gerne. Das wird schnell langweilig. Ich war jetzt aber vier Tage krank, da habe ich unser Schulbuch ,Die Abenteuer der schwarzen Hand' durchgelesen - obwohl wir mehr Zeit dafür bekommen hatten. Unten auf den Seiten stehen immer Fragen zum Text. Es macht mir Spaß, die zu beantworten."

Onur, 10: "Schon im Kindergarten wollte ich lesen können, in der zweiten Klasse habe ich es dann gelernt. Gerade lese ich ,Der sprechende Goldhamster' und ,Keloglan', das ist ein türkisches Buch. Ich würde gerne noch mehr lesen. Leider besitzen wir aber nicht so viele Bücher."

Mohammed, 10: " ,Robin Hood', ,Schneewittchen': Ich lese alle Bücher, die ich habe. Oft muss ich meinen Vater nach Wörtern fragen. So lerne ich viele neue Wörter. Bisher lese ich nur auf Deutsch, jetzt lerne ich es auch auf Arabisch. Später will ich unsere arabischen Bücher lesen können."

Dilara, 10: "Lesen ist eins meiner liebsten Hobbys. Ich lese ungefähr drei Bücher im Monat, auch auf Tamilisch, meine Eltern sind aus Sri Lanka. Manchmal kaufe ich mir das Magazin Tierfreunde. Bücher finde ich aber besser, da lerne ich mehr davon. Außerdem bringt es mir Extrapunkte, wenn ich in der Schule Bücher vortrage." PROTOKOLLE: MOD

* Alle Namen geändert

Denn im Verstehen und Wiedergeben von Texten landen Berlins GrundschülerInnen nur auf Platz 14 von 16 im Bundesländervergleich. Schlechter sind - wie auch bei Pisa - nur die beiden anderen Stadtstaaten Hamburg und Bremen. Tabellenführer mit 564 und 562 Punkten sind Thüringen und Bayern. Berlins SchülerInnen erreichten 525 Punkte.

Besonders bedrückend: Kinder aus bildungsnahen Familien schneiden deutlich besser als solche aus bildungsfernen ab. SchülerInnen, deren Eltern mehr als hundert Bücher besitzen, erreichen im Schnitt 70 Punkte mehr als solche, deren Familien weniger Bücher haben. In Bayern liegt die Differenz zwischen Kindern aus bildungsnahen und bildungsfernen Familien nur bei 25 Punkten.

Damit liegt Berlin weltweit an der Spitze, wenn es um den Zusammenhang von Elternhaus und Bildungserfolg geht. Für Bildungssenator Jürgen Zöllner (SPD) ist das eine Bestätigung dessen, was er schon zur Begründung der schlechten Pisa-Ergebnisse herangezogen hatte: In Berlin sei eben die "Spannbreite der Leistungen" besonders groß. Überdies gebe es in keinem anderen Bundesland, so Zöllner, mehr SchülerInnen mit Migrationshintergrund: Tatsächlich haben 49,3 Prozent der getesteten Kinder einen im Ausland geborenen Elternteil.

Kapitulieren will der Schulsenator nicht vor diesen Ausgangsbedingungen: "Wir können dieses Ergebnis nicht ruhig hinnehmen", sagte Zöllner am Dienstag bei der Vorstellung der Iglu-Ergebnisse. Und kündigte an, zu Beginn kommenden Jahres "ein Pakt mit Maßnahmen zur Problemdiagnose und Qualitätsentwicklung" vorzulegen. Über dessen Inhalt wollte er noch keine Details verraten.

Für die bildungspolitischen Sprecher der Oppositionsparteien ist das erneute schlechte Abschneiden ein Bankrott. Das sei "das verheerende Ergebnis von sieben Jahren rot-roter Bildungspolitik", schimpft Mieke Senftleben (FDP). Sascha Steuer (CDU) stellt gar gleich die gemeinsame Grundschule infrage: Dass diese gute Arbeit leiste, sei offenbar nicht mehr als "ein Märchen der Linken". Safter Cinar vom Türkischen Bund interpretiert die Ergebnisse anders: Sie zeigten, dass Förderung künftig mehr an soziale als an ethnische Herkunft anknüpfen müsse. Kitas und Schulen bräuchten mehr Zeit und mehr Mittel, um bildungsferne Eltern einzubinden, so Cinar.

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