tourismus: Berlin kommt unters Rad

Die Hauptstadt bekommt ein Riesenrad - und damit ein "neues Wahrzeichen", so der Regierende Bürgermeister beim Spatenstich. Doch braucht Berlin noch eine Touristenattraktion?

So soll es aussehen: Das größte Riesenrad Europas soll sich Ende 2009 am Zoo zu drehen beginnen Bild: DPA

Berlin bekommt ein Riesenriesenrad. Nach nur fünf Jahren Diskussion wird es seit Montag tatsächlich gebaut. Eine für hiesige Verhältnisse fast atemberaubende Geschwindigkeit. Das Rad selbst soll seine Besucher vergleichsweise gemächlich in den Himmel heben. Es wird Technikfreaks und Fans des weiten Blicks gleichermaßen begeistern. Zu Recht. Doch die Bedeutung des Rads geht weit über diese dem Gerät innewohnende Faszination hinaus.

Das Riesenrad am Zoo wird unweigerlich das Bild der Stadt prägen. Schon wegen seiner Größe bleibt es schlichtweg unübersehbar. Alle stadtplanerischen Diskussionen der 90er-Jahre um Traufhöhen und Hochhäuser stellt es locker in den Schatten. Es ist - im Wortsinne - herausragend.

Zwar wird es keineswegs das größte Rad der Welt. In Peking basteln die Konstrukteure bereits an der nächsten Stufe des Gigantismus. Doch da geht es dem Fernsehturm am Alexanderplatz nicht anders. Er ist nicht mal der höchste seiner Art in Europa. Weltweit verfehlt er gar die TV-Tower-Top-Ten. Und dennoch prägt er nicht nur die Skyline der Stadt. Er ist - obwohl einst als Zeichen sozialistischer Potenz gebaut - längst Symbolfigur für das stylishe Nachwende-Berlin geworden.

So weit dürfte es das Rad nicht bringen. Gemahnt doch seine Figur eher an gelassene Behäbigkeit denn an aufstrebende Jugend. Und doch könnte nichts anderes das Berlin zu Beginn des 21. Jahrhunderts besser versinnbildlichen als das Rad. Denn es produziert nichts als das Gefühl, Teil von etwas ganz Großem gewesen zu sein. Es ist vollkommen überflüssig - oder anders gesagt: Luxus. Es steht für nichts - und gleichzeitig für den Rausch, sich für einen Moment aus diesem Nichts zu erheben.

Es ist pure Attraktion. Genau das macht es so wunderbar.

Mit einem Riesenrad fahren ist ungefähr so spannend, wie einem Hobbyangler beim Fischen oder einem Hefeteig beim Gehen zuzugucken. Daran wird auch das Superwheel am Zoo nichts ändern. Bis man/frau in der Luft ist, vergeht eine Ewigkeit. Ein Gleiches passiert auf der Rückfahrt. Zu sehen ist Berlin von oben. Also nix. Es gibt wirklich bessere Panoramen.

Die Aufgeregtheiten um das Riesenrad stehen auf einem anderen Blatt. Und es wäre besser, wir könnten auf diese verzichten. Das Rad mit dem schlechten Beigeschmack des Megalomanen ist zum einen schlichtweg zu groß. Es thront über dem Zoo-Areal wie ein Dinosaurier und schiebt sich mit brüllendem Jahrmarktsbuden-Image in die Stadtsilhouette. Von der Maas bis an die Memel wäre der Bogen zu sehen - als Symbol für das neue Berlin, als Kirmes samt Dauer-Wheel-Party, Flatrate-Saufen in 100 Meter Höhe und Prater-Musikbeschallung aus "Der Dritte Mann". Stünde Berlin auf der Weltkulturerbe-Liste der Unesco, der blaue Brief steckte schon im Kasten.

Zum anderen haben auch die neuen Pläne nichts daran geändert, dass es rund um den Riesenradfuß zugehen wird wie bei Hempels unterm Sofa. Das Verkehrschaos zwischen stinkenden Touristenbussen ist vorprogrammiert. Der Hardenbergplatz wird zum Hinterhof. Es ist fraglich, ob ein Kirmesrad dem Bahnhof Zoo und der City West wieder zu mehr Schwung verhelfen kann. Das Gegenteil ist der Fall. Denn Investoren werden es sich überlegen, sich in der Nachbarschaft des Gaga-Parks anzusiedeln.

Bleibt schließlich die Frage, wozu Berlin das Ganze überhaupt braucht. Für überirdisches Pläsier gibt es günstigere Orte in Berlin. Auf den Kreuzberg gehts für umsonst. Familien dagegen, die nach einer Stunde aus der Riesenradkabine taumeln, sind arm. Das wird nicht ohne Folgen bleiben. Dennoch setzten die Betreiber auf das Goldene Kalb des Kommerzes. Statt nach London zu schauen, wo schon überlegt wird, das Millenniums-Pleite-Rad wieder abzutragen, stürzt man sich hier, wenn auch ganz privat, ins wirtschaftliche Risiko. Wenn das schiefläuft, kann man sich die Konsequenzen schon ausmalen. Mal wird an Abriss gedacht, mal an Verkauf. Am Ende hängt man ein Werbeprospekt vor die Speichen. Riesig.

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