Niedriglohn: Berliner sind billig zu haben

Eine Studie zeigt: Mehr als ein Viertel der Berliner Erwerbstätigen gilt als prekär beschäftigt. Sie verdienen weniger als 900 Euro netto im Monat. Die Grünen fordern Vergünstigungen für Betroffene.

Dieser Fensterputzer reinigt die Reichstagskuppel - viele seiner Kollegen verdienen besonders schlecht. Bild: Markus Schreiber/AP

Berlin ist die Hauptstadt der Geringverdiener. Das geht aus einer Untersuchung hervor, die der Senat gemeinsam mit dem Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) in Auftrag gegeben hat und deren Ergebnisse am Dienstag bekannt wurden. "Wenn man das Einkommen betrachtet, sind über 25 Prozent der Berliner Erwerbstätigen prekär beschäftigt", sagte Karsten Schuldt vom Progress-Institut für Wirtschaftsforschung, der Verfasser der Studie, zur taz. 363.000 Erwerbstätige in der Stadt haben demnach ein Nettoeinkommen von weniger als 900 Euro im Monat.

Sieben Prozent der arbeitenden Bevölkerung sind trotz ihrer Tätigkeit auf ergänzende Sozialleistungen angewiesen, darunter auch viele Vollzeitbeschäftigte und Selbständige. In München kommen diese sogenannten Aufstocker lediglich auf 1,5 Prozent, in Köln auf 3 Prozent.

Zwar sind in Berlin in letzter Zeit neue Arbeitsplätze entstanden - allerdings eher befristete, schlecht bezahlte Jobs. So stieg die Zahl der Leiharbeiter zwischen 2003 und 2006 um 111 Prozent, auch die der geringfügig Beschäftigten hat um fast die Hälfte zugenommen. Im gleichen Zeitraum ging die Zahl der sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplätze um 5 Prozent zurück. Das Fazit der Untersuchung: Der leichte Jobzuwachs in Berlin von 3 Prozent beruhe maßgeblich auf dem Anstieg prekärer Beschäftigungsverhältnisse.

Wer genau sind die Betroffenen? "Die meisten arbeiten in Dienstleistungsberufen", sagte Schuldt. Sowohl Kellner und Hotelangestellte als auch Mitarbeiter von Callcentern und von Reinigungsbetrieben zählten dazu. "Man kann davon ausgehen, dass auch im Bereich Medien und Kultur ein hoher Anteil prekär beschäftigt ist", so Schuldt. Viele von ihnen hätten kein regelmäßiges Einkommen. Die Selbständigen, zu denen freiberufliche Kameramänner genauso gehören wie scheinselbständige Journalisten, werden mehr: Zwischen 2003 und 2006 stieg ihre Zahl um 22 Prozent.

"Die Untersuchung zeigt, dass Berlin von prekärer Beschäftigung in besonderer Weise betroffen ist", sagte die Arbeitssenatorin Heidi Knake-Werner (Linke) am Dienstag der taz. Viele Berliner müssten unter menschenunwürdigen Bedingungen arbeiten. "An dieser Entwicklung kann man sehen, dass wir unbedingt einen gesetzlichen Mindestlohn brauchen." Der Senat mache sich auf Bundesebene dafür stark. Wichtig sei zudem, die Leiharbeitnehmer mit anderen Beschäftigten in den Betrieben gleichzustellen.

Die Grünen finden, die Senatorin könne auch anders für Menschen mit geringem Einkommen aktiv werden - und beispielsweise für Vergünstigungen bei BVG-Fahrkarten und Eintrittsgeldern sorgen. Bisher ist der geplante "Berlin-Pass", mit dem man Ermäßigungen im Nahverkehr, bei Kultur- und Sportveranstaltungen erhalten soll, nur für Hartz-IV- und Sozialhilfeempfänger, arme Rentner und Asylbewerber vorgesehen. "Nicht nur, wer Transferleistungen bezieht, auch Geringverdiener sollten Anspruch auf so etwas wie den Berlin-Pass haben", forderte Sabine Bangert, Referentin für Arbeitsmarktpolitik.

Bekannt wurde die Untersuchung zur prekären Beschäftigung erst durch die Antwort des Senats auf eine Kleine Anfrage der Abgeordneten Mari Weiß (Linke). Die zeigte sich von den Ergebnissen wenig überrascht: "Wir hatten das erwartet."

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