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Unterschriftensammlung Pro ReliChristen bereuen falsches Zeugnis

Heute endet die Unterschriftensammlung für Pro Reli. Mit Erfolg: Ein Volksentscheid über Religion als Wahlpflichtfach findet voraussichtlich statt. Manch einer würde seine Unterschrift gerne zurückziehen. Doch das ist nicht möglich.

Roman H. hat den Brief von Bischof Wolfgang Huber überflogen. In Berlin gibt es zurzeit keinen Religionsunterricht, glaubte er nach der Lektüre. Das empörte ihn, den evangelischen Christen, dann doch. Er unterschrieb für das Volksbegehren "Pro Reli". Erst später stellte er fest, dass die Berliner Schüler Religionsunterricht durchaus belegen können, wenn auch freiwillig. Und dass Religion in der Grundschule ein gleichwertiges Fach neben dem Ethikunterricht ist. Roman H. erinnerte sich daran, dass er als Schüler gerne mehr über andere Religionen gelernt hätte. "Da habe ich meine Unterschrift dann doch bereut."

Zu spät: Heute endet das Volksbegehren "Pro Reli". Voraussichtlich über 200.000 Unterschriften wird die Initiative für ein Wahlpflichtfach Religion beim Landeswahlleiter einreichen. Für "Pro Reli" ein großer Erfolg: 7 Prozent der Stimmberechtigten müssen das Begehren unterzeichnet haben, also rund 170.000. Auch wenn noch nicht alle Unterschriften geprüft sind, diese Hürde dürfte die Initiative schaffen. In Berlin wird also - nach der Abstimmung über die Schließung des Flughafens Tempelhof - in Kürze der zweite landesweite Volksentscheid stattfinden.

Im Büro des Landeswahlleiters haben sich mehrere Berliner gemeldet, die wie Roman H. die Unterschrift gerne zurückziehen würden. Manche hätten sich näher mit dem Thema beschäftigt und ihre Meinung geändert, berichtet der Leiter der Geschäftsstelle, Geert Baasen. "In einem Fall hat jemand in der Kirche aufgrund des sozialen Drucks geglaubt, unterschreiben zu müssen", sagt er.

Steffen Zillich, bildungspolitischer Sprecher der Linken, berichtet ebenfalls von Leuten, die ihre Unterschrift inzwischen bereuen. "Einige sind der zweideutigen Argumentation der Initiative auf den Leim gegangen", glaubt Zillich.

Doch die Unterschrift rückgängig zu machen sei nicht möglich, sagt Baasen. "Bei Briefwahlen kann man die Stimme ebenfalls nicht zurückziehen." Wer für die Zulassung einer neuen Partei zu einer Wahl unterschrieben habe, könne das im Nachhinein auch nicht mehr ändern.

Natürlich wird die Mehrheit der Unterschriften aus Überzeugung geleistet worden sein. Vier Monate haben zahlreiche Freiwillige Plakate gehängt und um die Unterschriften geworben, auf Straßen und Marktplätzen, vor Kaufhäusern und in Kirchen - und viele Berliner für ihr Anliegen gewonnen. Doch Kritiker bemängelten immer wieder, dass die Kampagne der Initiative mit dem Slogan "Freie Wahl zwischen Ethik und Religion" irreführend sei.

Nicht allen Sammlern ging es um Aufklärung. Das zeigt ein Artikel, der Ende November in der evangelischen Wochenzeitung Die Kirche erschien. Eine Unterschriftensammlerin beschreibt darin ihre Erfahrungen in Köpenick. "Ziemlich zum Schluss kommt noch ein Mann: ,Wat, freie Wahl? Genau! Dit kann nich sein, dass die immer alle Religion machen müssen. Die müssen ooch mal die freie Wahl haben!' Sprachs und unterschrieb."

Der Mann dachte also, Religionsunterricht sei derzeit Pflicht. Er hat das Begehren völlig falsch verstanden. Die Autorin war sich dessen bewusst - und ließ ihn trotzdem unterzeichnen. Eine Redakteurin der Kirche rechtfertigt das später: "Der Artikel ist eine Glosse, keine Anleitung zum Unterschriftensammeln."

 

Ein Trost für alle, die ihre Unterschrift gerne zurücknehmen würden: Beim Volksentscheid können sie dick "Nein" ankreuzen. Als Termin ist die Europawahl am 7. Juni und die Bundestagswahl am 27. September im Gespräch. Denkbar wäre auch ein unabhängiger Termin in den nächsten vier Monaten.

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