Kirchenaustritte & "Pro Reil": Christen stimmen gegen Kirche

Parallel zur "Pro Reli"-Debatte steigen Kirchenaustritte von evangelischen und katholischen Christen an. Kirchensprecher mögen keinen Zusammenhang sehen.

Plakativ, aber nicht attraktiv für alle Kirchenmitglieder Bild: dpa

Die beiden großen Kirchen verlieren in Berlin zunehmend Mitglieder. Der evangelischen Landeskirche gingen Ende 2008 rund 27 Prozent mehr Mitglieder abhanden als im vierten Quartal 2007. Das katholische Erzbistum verliert vor allem seit Jahresbeginn sprunghaft Mitglieder. Im ersten Quartal 2009 gab es mit 1.434 Austritten 77 Prozent mehr als Anfang 2008.

Kurz vor dem Volksentscheid "Pro Reli" ist Berlin gespalten. Nach einer Infratest-Umfrage wollen 51 Prozent, dass Schüler zwischen Ethik und Religion wählen müssen. 49 Prozent sind für die bisherige Regelung, bei der Ethik Pflicht und Religion Zusatzfach ist.

Unterdessen zeigte sich Bischof Wolfgang Huber erstaunt, dass die Linkspartei ihren Konflikt mit der Evangelischen Landeskirche per Gegendarstellung in der taz austrägt. Er hatte in einem taz-Interview gesagt, die Linke habe im Parlament erklärt, Ziel des Ethikunterrichts sei, Schüler von ihrer Herkunftsreligion zu entfernen. Das hatte Parteichef Klaus Lederer per Gegendarstellung in der taz vom Samstag zurückgewiesen. Dazu sagte Huber, er nehme "zur Kenntnis", dass besagte Aussage nicht in der Parlamentsdebatte gefallen sei.

Umentschieden hat sich die Entertainerin Desiree Nick. Sie zog ihre Unterstützung für "Pro Reli" zurück. AWI

Diese Zeitspanne deckt sich mit der Unterschriftensammlung des Volksbegehrens "Pro Reli" von September bis Januar und der Debatte vor dem Volksentscheid am 26. April. Die Kirchen bestreiten dagegen einen direkten Zusammenhang.

Gegenüber Bayern oder dem Rheinland ist Berlin Diaspora: Nicht einmal jeder Dritte gehört der Kirche an. Rund 9 Prozent sind katholisch, knapp 20 Prozent evangelisch. In einzelnen Stadtteilen sieht die Lage allerdings anders aus. In Wannsee, Zehlendorf oder Frohnau gehört mehr als jeder zweite Erwachsene einer der beiden großen Kirchen an. In Hohenschönhausen ist es jeder zehnte, in Falkenberg in Lichtenberg gar nur jeder vierzehnte.

Da schmerzt jeder Verlust deutlich: In Zehlendorf, Wilmersdorf und Charlottenburg erhöhte sich die Zahl der Austritte - beide Kirchen zusammengerechnet - im ersten Quartal dieses Jahres gegenüber dem Jahresbeginn 2008 um etwa 40 Prozent. In diese Zeit fällt aber auch die Diskussion um die Pius-Bruderschaft, die der katholischen Kirche viel Kritik einbrachte.

Dass man sich viele der Austritte durch die Unterstützung für "Pro Reli" selbst eingebrockt habe, weisen Kirchenvertreter zurück. "Pro Reli" setzt sich dafür ein, dass Schüler künftig zwischen dem derzeitigen Pflichtfach Ethik und Religion wählen können. Bisher lässt sich Religion auf freiwilliger Basis als Zusatzfach belegen. Am Sonntag können rund 2,4 Millionen Wahlberechtigte beim zweiten Berliner Volksentscheid darüber abstimmen - der erste zum Flughafen Tempelhof scheiterte vor einem Jahr.

Die gestiegene Zahl der Austritte könne man nicht "schlicht auf ,Pro Reli' zurückführen", sagte die Sprecherin der Evangelischen Landeskirche, Heike Krohn, der taz. Zwar hätten manche ihren Austritt ausdrücklich mit dem "Pro Reli"-Engagement begründet, "aber das waren nur einzelne", so Krohn. Ihre Erklärung: die neue Abgeltungsteuer. Weil dabei auch die Kirchensteuer eine Rolle spielt, hätten im Herbst die Banken ihre Kunden nach ihrer Konfesssion gefragt. Das könne manchen daran erinnert haben, dass er durch einen Austritt Geld sparen könnte. Auch andere Landeskirchen hätten in diesem Zeitraum mehr Austritte zu verzeichnen gehabt, so Krohn.

Auch Stefan Förner, Sprecher des katholischen Erzbistums, sieht keinen Zusammenhang mit "Pro Reli". "Ich bestreite nicht, dass es Katholiken gibt, die sich über das Engagement des Bistums geärgert haben", sagt er. Doch hätte es wegen des Streits um die Pius-Bruderschaft mehr Kritik gegeben als wegen des Unterstützerbriefs für "Pro Reli". Wer die Kirche verlasse, hätte sich meist vorher schon innerlich entfernt, meint Förner.

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