Montagsinterview: "Darüber zu reden fällt nicht leicht"

Jürgen Kuttner redet und redet. Als kultiger Radiomoderator und Videoschnipselpräsentator. Und manchmal sogar über die Zwiespältigekeiten der deutschen Geschichte und der eigenen Vergangheit.

taz: Herr Kuttner, vor mittlerweile 18 Jahren ist die Mauer gefallen. Sie kehren aber immer noch den Ossi heraus. Warum?

Er tut nichts anderes. Jürgen Kuttner redet. 15 Jahre lang war er Moderator des "Sprechfunk" beim Jugendsender Radio Fritz. Seit elf Jahren präsentiert er Videoschnipselvorträge mit Nachrichten aus Ost- und Westfernsehen in Berlin, München, Mülheim und Salzburg. Und ab 18. November ist der "Lästerossi" zusammen mit seiner Tochter Sarah bei Radio Eins zu hören. "Kuttner ist Kult" sprayten Fans in den 90er-Jahren an Berliner Hauswände. Das Hochdeutsche kalt ignorierend berlinert der 49-Jährige geradeaus und offen mit seinen Hörern über Elche, Stalin oder die passende Musik dazu. Machmal auch über seine Stasi-Kontakte. Auch wenn der promovierte Kulturwissenschaftler dafür tief in seinem Gedächtnis graben muss.

Jürgen Kuttner: Ich bin Ostler! Ich habe zwei Drittel meines Lebens in der DDR gelebt. Meine ganze Prägung - Bildungsweg, Arbeitsweg, Erfahrungen, Freunde - das hat alles in der DDR stattgefunden.

Das hört man bis heute

Das ist der Unterschied zu den anderen Ostkollegen im Radio, die auf Hochdeutsch konditioniert waren und sich bemühten. Ich hatte gar keine andere Chance, als ich zu sein. Weil ich kein Moderator war, weil ich den Job nicht konnte. Da hab ich mir selbst gesagt: "Setz dich hin, ich bin ich."

Könnten Sie heute noch Ossis von Wessis unterscheiden?

Ostler erkennt man ja auch daran, dass sie in Berlin in bayerischen Trachtensachen rumrennen, weil sie das in einer Volksmusiksendung gesehen haben, und denken, das sei toll, sie gehörten jetzt dazu.

Und abgesehen von ihren Trachten, kann man die Ossis auch an Werten und Prägungen erkennen?

Da kann ich nur von mir reden. Ich bin in einer stärker egalitären Gesellschaft groß geworden. Der Abstand zwischen denen, die wenig hatten, und denjenigen, die viel hatten, war eher gering, das Verhältnis ungefähr eins zu drei. Ich krieg es immer noch nicht auf die Reihe, dass wir heute in einer Welt leben, wo das Verhältnis 1 zu 500 ist.

Sie fühlen sich dabei unwohl?

Klar fühl ich mich unwohl. Ich find das scheiße, aber genauso weiß ich, dass ich zu den Kriegsgewinnlern gehöre. Ich habe Glück gehabt und kann mich nicht beklagen.

Sie waren auch SED-Mitglied und wurden als inoffizieller Stasimitarbeiter geführt.

Hmm, es fällt mir nicht so leicht, darüber zu reden. Das Ganze ist knapp 30 Jahre her und hat vor zwölf Jahren zu den absurdesten Unterstellungen geführt.

Wie kam es denn zu Ihrem Kontakt mit der Stasi?

Das kam so schleichend bei der Armee. Da sollte ich mich nach dem Dienst im Stabsgebäude melden und habe mich mit jemandem unterhalten. Ich kann mich daran nicht intensiv erinnern. Es gab natürlich eine bestimmte Anfälligkeit meinerseits, ich bin als naiver Jungkommunist mit 18 Jahren bei der Armee gelandet und fand mich in einer Institution wieder, die von vorn bis hinten demütigend und entwürdigend war.

Was waren das für Leute?

Weiß ich nicht, wahrscheinlich irgend so ein Führungsoffizier.

Haben Sie eine Verpflichtungserklärung unterschrieben?

Das weiß ich nicht mehr, kann schon sein. Ich hätte wahrscheinlich etwas unterschrieben, wenn es verlangt worden wäre.

Was wollte die Stasi von Ihnen?

Meine Frau und ich hatten Freunde in Westberlin, mit denen wir uns regelmäßig austauschten. Und dann sollte ich Unter den Linden im "Café Kaputt", wo immer die Westler landeten, Leute anquatschen. Da habe ich gesagt, das geht nicht.

Warum nicht?

Das wollte ich nicht. Ich hatte doch keine Lust, mich dahin zu setzen und Westler anzubaggern, um sie für die Stasi zu gewinnen.

Sollten Sie nie über Ihre Bekannten berichten?

Woran ich mich erinnern kann, waren Streitgespräche mit so einem Stasi-Hampel über Weltpolitik, Hochrüstung und den Nato-Doppelbeschluss. Und von meiner Seite über Kultur und warum Christa Wolf nur zensiert erscheinen darf.

Es ging bei den Gesprächen nur um Ihre eigenen Ansichten?

Es gab da einen Fall, wo ich immer Angst hatte, jemanden angeschossen zu haben. Das war so ein Drucker, der am Treptower Park wohnte, wo ich damals auch wohnte. Der war total underground, ein guter Typ. Wir haben uns betrunken und gestritten. Der ist später auch in den Westen abgehauen. Ich weiß nicht, ob die mich nach ihm gefragt haben oder ob ich da etwas gesagt hatte. Jedenfalls war ich froh, dass der nichts fand, als er seine Stasiakten hatte.

Haben Sie die Staatssicherheit schon vor dem Mauerfall kritisch gesehen?

Ich habe die Stasi damals weniger kritisch als vielmehr widersprüchlich gesehen. So widersprüchlich, wie eben die DDR auch war. Nachher wussten ja alle, dass man die Stasi kritisch sehen muss. In dieser extremen Konfrontationssituation von Ost und West, mit Raketen auf beiden Seiten, bin ich schon davon ausgegangen, dass es eine Institution wie die Stasi geben muss. Welche irren Ausmaße das hatte, wusste ich ja damals nicht.

Warum haben Sie sich 1994 selbst als inoffiziellen Mitarbeiter der Stasi geoutet? Es gibt ja nicht einmal eine Akte.

Aber es gab die Diskussion. Als der Moderator Lutz Bertram als IM geoutet wurde, hatte ich keine Lust mich auch outen zu lassen. Ich habe gedacht, jetzt erzähle ich, wie es dazu kam und wie das war.

Hat sich das Verhältnis der Kollegen beim Ostdeutschen Rundfunk zu Ihnen durch dieses Bekenntnis geändert?

Nein, umgekehrt, mein Verhältnis zu den Kollegen hat sich geändert. Es gab Leute, die unterscheiden konnten zwischen dieser Schreckensvokabel "Staatssicherheit" und meiner Person. Und das waren seltsamerweise Leute, die eher Stress im Osten hatten, also politisch engagiert waren und zum Teil auch ausgereist sind. Die Nähe zu denen war viel größer als zu denjenigen, die mitgelatscht sind. Die Opportunismusfraktion ist immer opportunistisch - erst findet sie die DDR gut und dann ganz schrecklich.

Hat Sie die Diskussion über die DDR nach der Wende genervt?

Nein, das war notwendig. Nur: Es gab ja keine wirkliche Diskussion, an die man mit Neugier und Offenheit ranging, sondern es ging darum, Meinungen, Begriffe und Posten zu besetzen.

Nach der Wende haben Sie die Ost-taz mitgegründet. Zwei Jahre später sind Sie im Streit von der tageszeitung geschieden. Dass Sie überhaupt wieder mit uns reden

Ach, ich hadere nicht mit der taz.

Gab es diese klassischen Ost-West-Konflikte auch zwischen den Linken?

Die Auseinandersetzung mit diesen Westlinken war insofern deprimierend, als der größte Teil von ihnen genauso unehrlich und opportunistisch war wie die blödesten Arschloch-Ostler, die ihr Parteibuch auf dem Flohmarkt verkauft haben. Auch die Westlinken wollten nicht mehr daran erinnert werden, dass sie viel schärfere Kapital-Seminare veranstaltet haben als jedes Parteilehrjahr der SED, sie wollten nicht daran erinnert werden, dass sie Geld für Waffen nach Nicaragua gesammelt haben, und wollten nicht daran erinnert werden, dass sie Pol Pot für einen interessanten Geist hielten und Maos Kulturrevolution prima fanden. Das war einfach widerlich.

Waren Sie verbittert über die taz und die Westlinke?

Nö, eher ratlos und erstaunt über diese extreme mentale Provinzialität der Westlinken. Viele waren immer so mit ihren Geschichten beschäftigt: Wackersdorf, Brokdorf und Müll trennen. Wo ich definitiv nicht mehr konnte und die taz abbestellt habe, das war diese Euphorie über den Jugoslawienkrieg. Eine Zeitung, die als Gegenöffentlichkeit angetreten ist, schrieb rechter als die FAZ. Ich glaube, Fischer und Co. wollten erwachsen sein und ihren Nazi-Eltern zeigen, dass sie auch Krieg führen können, nur eben einen richtig guten.

Und welche Zeitung lesen Sie jetzt?

Die FAZ. Im Osten hatte man das ND abonniert und musste zwischen den Zeilen lesen und sich immer fragen, was meinen die eigentlich. Diese Lesehaltung ist bei der FAZ auch ganz praktisch.

Damit passen sie ganz gut in Ihren Stadtteil - das neureiche Prenzlauer Berg. Haben Sie sich im gleichen Maße gewandelt wie der Stadtteil?

Ich würde mich vielleicht gern als Fremdkörper empfinden, aber dazu habe ich eigentlich kein Recht. Als ich hergezogen bin, sind die Leute mit Aktentasche und Alu-Stullen-Büchse die Straße runtergewackelt, und jetzt spazieren da massenweise westdeutsche Muttis rum. Aber ich bin ja auch ein mittelständischer Medienmensch, insofern gehöre ich hierher.

Sie haben bis vor kurzem beim RBB-Jugendprogramm Radio Fritz den "Sprechfunk", einen wöchentlichen Nighttalk, moderiert. Begonnen haben Sie damit 1992 noch beim ORB-Jugendsender Rockradio B. 15 Jahre dasselbe Programm - war das geplant?

Nein, überhaupt nicht. Aber irgendwie war es dann doch schick. So eine Sendung so lange durchzuziehen mit allen Höhen und Tiefen, das ist schon interessant.

Wie war das? Sie wurden älter und die Hörer jünger?

Das wurde zum Schluss immer schwieriger. In meinen allerersten Sendungen, da war ich total überfordert. Keiner rief an, und ich habe gedroht: Wenn jetzt keiner anruft, dann spiele ich Roy Black. Die haben nicht angerufen, weil ich vergessen hatte, die Telefonnummer anzusagen. Und dann habe ich Roy Black gespielt, den ich damals schätzen gelernt habe. Das habe ich 15 Jahre später noch mal versucht - das Problem war: Keiner kannte mehr Roy Black. Das Durchschnittspublikum war am Ende jünger als meine Kinder. Das war schon bizarr.

Ab November werden Sie zusammen mit Ihrer Tochter Sarah bei Radio Eins moderieren. Ist das der Absprung zum "Erwachsenenradio", kurz bevor sie 50 werden?

Ich habe schon länger mit der Idee gespielt, zu Radio Eins zu gehen. Bei Fritz fühlte ich mich dann auch nicht mehr ganz zu Hause. Ich war da der Opa des Senders.

Zwischenzeitlich haben Sie und Ihre Tochter beide parallel Jugendsendungen moderiert. War das nicht seltsam?

Überhaupt nicht. Für sie war das eher ein Problem.

Hat sie sich geschämt für Sie?

Nein, nein. Nicht geschämt. Aber als sie angetreten ist, haben beim Namen Kuttner alle an mich gedacht und sie mit mir verglichen. Aber das hat sich ja dann umgekehrt. Inzwischen bin ich für viele nur noch der Vater von Sarah Kuttner.

Stört Sie das?

Nö, ich bin stolz auf das, was sie macht und wie sie das macht. Ich habe ein paar Sendungen von ihr gesehen, und sie hat mich echt beeindruckt: Mann, ist die cool. Von wem sie das wohl hat? Wahrscheinlich von mir.

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