Kommentar zum Kinderschutz: Der Datenschutz ist zweitrangig

Berlin will die Gesundheit von Kindern im Vorschulalter regelmäßig prüfen. Die Initiative kommt spät, ist aber berechtigt.

Der Senat will künftig mittels eines Prüfverfahrens erfassen, ob Kinder vom dritten Lebensmonat an bis zum Schuleintritt regelmäßig an Vorsorgeuntersuchungen teilnehmen. Falls ein Kind nicht beim Arzt erscheint, sollen Fachleute Kontakt zu den Eltern aufnehmen und die Familie notfalls zu Hause besuchen. Das Ziel: ein besserer Schutz vor Vernachlässigung. Es ist eine späte Reaktion auf die dramatischen Fälle von Kindesmisshandlung, die seit Jahren immer wieder für Schlagzeilen sorgen. Aber es ist immerhin eine Reaktion, und das ist gut.

Datenschützer werden wohl aufschreien und ein Einfallstor für neuen Missbrauch (von Zahlen) wittern: Jedes Kind soll bei der Geburt eine Identifikationsnummer erhalten! Arztbesuche und Fehlzeiten werden dokumentiert! Die Behörden greifen in die internen Familienverhältnisse ein! Zugespitzt gesagt: Die Überwachung fängt nun schon bei der Geburt an - und geht dann lückenlos weiter in der Schule (siehe die Debatte um die zentrale Schülerdatei), beim Telefonieren sowieso, und bald werden Menschen am Flughafen womöglich bis auf die Haut gescannt.

Klingt schön polemisch, sollte aber differenziert werden. Der Senat will für die Kindervorsorgeuntersuchungen 24 neue Stellen schaffen, Gesundheitssenatorin Katrin Lompscher (Linke) geht von 10.000 notwendigen Hausbesuchen pro Jahr aus. Für das Land Berlin bedeutet das Mehrkosten von knapp 1,5 Millionen Euro pro Jahr - zu viel Einsatz für Schönfärberei. Hier soll wirklich etwas bewegt werden.

Der Senat hat vielleicht auch deswegen lange gezögert, weil der Eingriff in die familiären Belange ein sensibles Thema ist. Aber wenn Kinder verhungern, weil ihnen die Eltern nichts zu essen geben, wenn Geschwister aus völlig verdreckten Wohnungen geholt werden, weil die Eltern nur sporadisch nach Hause kommen, ist der Staat gefordert. Im Zweifel muss gelten: Kinderschutz vor Datenschutz.

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