Pläne für den Gasometer in Schöneberg: Der Heißluft-Generator

Die Pläne klangen ehrgeizig und einzigartig - nun zeichnet sich ab, dass die geplante Energie-Universität in Schöneberg so schnell nicht kommt. Der Investor hat sein Ziel trotzdem erreicht. Das Nachsehen haben der Bezirk und die Anwohner.

Was bringt die Zukunft für den Gasometer? Bild: leicagirl / photocase

Nachzuweisen dürfte ihm wenig sein. Und trotzdem, oder gerade deswegen, ist die Geschichte des Investors Reinhard Müller und des Gasometers in Schöneberg ein Paradebeispiel für eine Standortpolitik "mit Gschmäckle". Am Ende bekommt Müller, was er will, nämlich einen Bebauungsplan für das hochattraktive historische Grundstück, mit dem er größtmöglichen Gestaltungsspielraum hat; die Bezirkspolitiker verlieren den Einfluss auf die Nutzung des Geländes - und die Anwohner sind ganz vergessen. Am heutigen Mittwochabend soll es ein parlamentarisches Nachspiel im Bezirksparlament geben: Die Grünen-Fraktion will mit einer Großen Anfrage genau wissen, was das Bezirksamt wann wusste und was es mit dem Bebauungsplan auf sich hat.

Die Geschichte beginnt im Jahr 2007. Die Gasag verkauft das Gasometer-Grundstück mit dem denkmalgeschützten Bauwerk. Es ist mehr als 23 Fußballfelder groß, innerstädtisch gelegen und hervorragend angebunden: Drei S-Bahnhöfe liegen in der näheren Umgebung, der Fernbahnhof Südkreuz und die Autobahn. Immobilienblase hin oder her, das Grundstück ist etwas wert. Nur ist es auch stark kontaminiert wegen der langjährigen industriellen Nutzung. Reinhard Müllers Beteiligungsgesellschaft Denkmalplus bekommt es zu einem Spottpreis, der Betrag von 1 Million Euro macht die Runde. An manchen Ecken, etwa an der Nordspitze des Geländes, beteiligt sich die Gasag zudem an der Sanierung von Altlasten.

Im November 2008 gibt Müller Pläne für eine Energie-Universität bekannt, die als Stiftung angelegt sein soll. An der privaten Hochschule soll über Fragen der Energienutzung geforscht werden; das genaue Lehrkonzept war - wie vieles andere - unklar. Das Geld würden "Partner hauptsächlich aus der Energiebranche aufbringen. 5.000 Arbeitsplätze will Müller schaffen, hunderte Millionen Euro sollen investiert werden, Unternehmensdependancen eröffnet werden.

Politiker egal welcher Partei springen auf die reichlich ehrgeizigen Pläne an: Zur Gründung des Europäischen Energie-Forums (Euref) im Rathaus Schöneberg sprechen der damalige Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) und sein Parteifreund Sigmar Gabriel (zu dieser Zeit Umweltminister). Friedbert Pflüger (CDU) bringt sich ins Gespräch. Euref-Leiter wird Lothar de Maizière (CDU), der letzte Regierungschef der DDR.

Reinhard Müller ist als Netzwerker bekannt, als einer, der sich geschickt ins Spiel bringt. Und der Sachverhalte gern im eigenen Licht darstellt. Er rühmt sich damit, die Zeit-Stiftung in Hamburg als Partner gewonnen zu haben; später sei diese jedoch abgesprungen. Vom Vorstand der Stiftung klingt dies distanzierter: Nicht die Zeit-Stiftung selbst, sondern die Bucerius Education, eine Tochter der Hochschule Bucerius Law, habe einen einmaligen Beratungsauftrag für ein Konzept erhalten und ausgeführt. Bucerius Law wurde von der Zeit-Stiftung gegründet.

Später findet sich ein neuer "Partner": das Wissenschaftszentrum Berlin (WZB), das vom Bund und dem Land Berlin finanziert wird. Es erstellt eine Studie zu der geplanten Universität, die im Sommer 2009 vorliegt. Für die Experten vom WZB steht fest: Wegen der Finanzkrise und der damit schlechten Aussicht auf Stiftungsgelder ist die Universität nicht zu realisieren. Außerdem fehle in Berlin ein wissenschaftliches Umfeld, das bereit wäre, Konkurrenz zu akzeptieren. Der Vorschlag der Wissenschaftler: Es solle zunächst ein Energie-Institut geschaffen werden, das auf Weiterbildung, Politikberatung und Veranstaltungsmanagement fußt. Die Energie-Universität komme als "zweiter Schritt". Zeitplan: offen.

Obwohl vorläufige Ergebnisse dieser Studie bereits im Frühjahr durchsickern, vermarktet Müller weiter sein ursprüngliches Projekt. Und die Idee, das geschichtsträchtige Gelände weiter unter dem Motto Energie zu nutzen, kommt an - in der Öffentlichkeit und im Bezirk: Im Juli beschließt die Bezirksverordnetenversammlung (BVV) Tempelhof-Schöneberg einen Bebauungsplan, der das Gelände als sogenanntes Kerngebiet ausweist. Investor Müller hat nun die Erlaubnis in der Tasche, Gebäude mit einer Bruttogeschossfläche von 160.000 Quadratmetern zu bauen - das ist größer als das Sony Center. Lediglich großflächigen Einzelhandel schließt der Bebauungsplan aus. Der Wert des Grundstücks ist um ein Vielfaches gestiegen; Immobilienmakler sprechen davon, dass es zumindest vor der Finanzkrise an die 100 Millionen Euro wert gewesen sein dürfte.

Müller hat damit erreicht, was er wollte: freie Hand für Immobilienspekulationen. "Die Politiker im Bezirk haben geglaubt, Müller macht etwas ganz Besonderes", sagt dazu der SPD-Abgeordnete Lars Oberg.

Kaum ist der Bebauungsplan aufgestellt, kommen im Spätsommer die ersten Hiobsbotschaften. Der Geschäftsführer und Sprecher der Euref, Gerhard Hofmann, schmeißt hin. "Nachdem ich viel Herzblut und noch mehr Zeit in das Projekt investiert habe, hätte ich gerne weiter dafür gearbeitet, doch es war mir auf Grund unüberbrückbarer Differenzen trotz mehrfacher Versuche nicht mehr möglich", schreibt er in einer E-Mail. "Ich finde es sehr schade, Euref und das Institut in eine ungewisse Zukunft entlassen zu müssen." Hofmann galt als begeisterter Anhänger des Universitäts-Projekts. Heute mag er nicht mehr darüber reden.

Nun werden auch die Ergebnisse der WZB-Studie offener als zuvor auf den Tisch gelegt. Wegen der Finanzkrise fehlten Geldgeber, teilt Müller im Oktober mit. "Unter den augenblicklichen Rahmenbedingungen mit extrem niedrigen Zinserträgen" lasse sich eine Stiftungskonstruktion nicht realisieren. Stattdessen soll es erst einmal Einzelveranstaltungen geben, mit dem Grünen-Ex-Außenminister Joschka Fischer als prominentem Zugpferd. Politiker und Fachleute, die schon vorher an den Universitäts-Plänen gezweifelt haben, erhalten Aufwind. Auch viele Anwohner fühlen sich in ihrem Misstrauen bestärkt, die Müller rein wirtschaftliche Motive vorwerfen.

Ein Ärgernis für die Menschen im Kiez ist auch die aus LED-Leuchten zusammengesetzte Werbetafel, die Müller an dem 78 Meter hohen Turm angebracht hat. Im Gegenzug verspricht er zu sanieren. Ein ähnliches Konzept verfolgt die Stiftung Denkmalschutz, die Müller mit gegründet hat. Die Stiftung finanziert die Sanierung von Baudenkmälern durch die großflächige Vermietung von Werbeflächen an den Sanierungsobjekten. Wegen dieser Praxis am Charlottenburger Tor ist sie in Verruf geraten.

Von der Sanierung am Gasometer ist bisher nichts zu sehen. Die SPD-Fraktion im Bezirk hat einen Antrag gestellt, die Vorgänge zu prüfen. Sollte Müller nicht sanieren, kann ihm die Betriebsgenehmigung für die Werbetafeln entzogen werden. Der Investor kontert, es werde saniert, die Arbeiten sehe man aber nicht von außen. Auf Anfragen antwortet die Euref ausschließlich per E-Mail.

Der Bebauungsplan liegt derweil bei der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung. Die Behörde prüft die Unterlagen formal, nicht inhaltlich. Sie hat ohnehin zugegeben, dass die Bebauung der Flächen nicht davon abhängig sei, ob überhaupt Studienplätze geschaffen werden. So jedenfalls schreibt Staatssekretärin Hella Dunger-Löper in der Antwort auf eine Parlamentarische Anfrage der Grünen-Fraktion.

Der Bezirk könnte nun höchstens noch den Bebauungsplan zurückziehen mit der Begründung, er fühle sich von Müller getäuscht: Geworben wurde mit einer Energie-Uni, die nun auf absehbare Zeit nicht kommt. "Politisch halte ich das für ausgeschlossen", sagt dazu Oberg. Bezirksbürgermeister Ekkehard Band (SPD) bestätigt, er sehe derzeit keine Veranlassung, den Bebauungsplan zu ändern. "Ich habe nicht erwartet, dass im Handumdrehen ein Energiezentrum entsteht", sagt er.

Müller hat also bekommen, was er will: ein finanziell viel versprechendes Gelände. Es dürfte ihn, der ohnehin nicht in Armut lebt, ein Stück reicher machen. Er hat mit seiner Firma Wert-Konzept unter anderem das Eierkühlhaus neben der Oberbaumbrücke zum neuen Sitz des Musikkonzerns Universal umgebaut. Er ist am Einkaufszentrum am Tempelhofer Hafen beteiligt. Seine Konzeptplus AG finanziert das Euref-Institut bis 2011 mit 1,5 Millionen Euro.

Mittelfristig dürften die Immobilienpreise in Berlin so anziehen, dass sich eine Investition am Gasometer auf jeden Fall lohnt. Das einzige Risiko: Die Verwertbarkeit hängt von der Verkehrserschließung ab. Müller hat sich verpflichtet, eine Verbindung zum Sachsendamm bauen zu lassen - und die kostet erst einmal. Für das Viertel im einstigen Problemkiez Schöneberger Insel könnte das natürlich langfristig einen Schub bedeuten. Oder die totale Abwertung - mit enormen Verkehrsbelastungen, Geschäftsleuten tagsüber und verlassenen Straßen nachts. In welche Richtung auch immer - mitreden dürfen die Schöneberger wohl nicht mehr.

BEZIRKSBÜRGERMEISTER BAND (SPD)

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