Treue Anhänger: Fans setzen sich ein Denkmal

Der Fußballclub Union Berlin muss sein Stadion in Köpenick sanieren. Dass dafür kein Geld da ist, macht gar nichts: Die Fans reißen sich um die Ehre, in der Alten Försterei mit Hand anzulegen.

Die geben alles: Union-Fans im Stadion Alte Försterei Bild: dpa

Das Stadion An der Alten Försterei wurde im Jahre 1920 erbaut. Zuletzt bot die Arena bis zu 18.100 Zuschauern Platz, mit 16.600 Steh- und 1.500 überdachten Sitzplätzen. Wegen des maroden Zustands der Anlage kündigte der Deutsche Fußball-Bund (DFB) vergangene Saison an, Union Berlin keine Lizenz mehr für die dritte Liga zu erteilen. Nach langwierigen Verhandlungen mit dem Bezirk Treptow-Köpenick und dem Berliner Senat einigte man sich auf folgende Lösung: An der ersten Sanierungsmaßnahme (Kosten 2,5 Millionen Euro) beteiligen sich Bezirk und Senat mit jeweils 600.000 Euro. Im Rahmen eines Erbbaupachtvertrags erhält das Land Berlin sein vorgestrecktes Geld wieder zurück. Bis zum Oktober sollen die drei Stehplatzränge betoniert und überdacht sowie eine Rasenheizung eingebaut werden. Mit dem dann für 2009 geplanten Neubau der Sitzplatztribüne können dann insgesamt 23.500 Zuschauer in die neue Alte Försterei kommen. Die Gesamtkosten werden auf 15 Millionen Euro geschätzt. Durch das Engagement von Fans, Mitgliedern und Sponsoren kalkuliert der Verein Einsparungen von 2 Millionen Euro Baukosten ein. Ob die ersten Heimspiele der neuen Saison im Olympiastadion oder im Jahn-Sportpark ausgetragen werden, ist noch unklar.

"Wahnsinnig", "unglaublich" oder "einmalig": Das sind die Wörter, die man am häufigsten hört im Stadion An der Alten Försterei. Seit Anfang Juni bauen hier die Fans von Union Berlin unter professioneller Anleitung die ziemlich marode Arena um. Und die Anhänger berauschen sich dabei an ihrer eigenen Hilfsbereitschaft.

Über 500 Fans haben sich bislang schriftlich als freiwillige Helfer anerboten, erzählt Dajana Klee auf dem Weg von der Geschäftsstelle zur Baustelle. "Täglich", so die Pressesprecherin des Drittligisten, "kommen zwischen 20 und 30 Neuanmeldungen hinzu."

Wer sich aber die Alte Försterei in Köpenick als wuseligen Ameisenbau vorstellt, täuscht sich gewaltig. Nur etwa 35 Arbeiter, davon 20 Union-Anhänger, werkeln am Mittwochmorgen auf den Stehrängen. "Das Ganze muss ja sinnvoll koordiniert werden. Wir brauchen nicht alle auf einmal", sagt Klee. Man werde aber versuchen, jeden Einzelnen einmal einzusetzen.

Von außen betrachtet ist es eine Baustelle wie jede andere: Bagger fahren Erde hin und her, Arbeiter schwitzen, schuften und schwatzen. Der besondere Flair des Ortes ergibt sich aus den ungewöhnlichen Begebenheiten, von denen man sich hier erzählt. Die Baustelle ist schon nach einer Woche zu einer Anekdotenfundgrube geworden.

Buletten vom Nachbarn

Andreas Goslinowski kennt die zahlreichen Geschichten. Und der gelernte Schmied, den alle nur "Gossi" nennen, kann sie am besten erzählen, findet Unions-Sprecherin Klee. Der kahlköpfige Mann mit den mächtigen Oberarmen hat gerade Pause. "Schon wieder ich?", fragt er. - Mittwoch und Freitag sei nun einmal Pressetag, wird ihm erklärt. - "Und was war mit denen am Montag?" - Die hätten Exklusivrechte gehabt. - Der Medienbohei rund um die Baustelle ist groß. In den ersten Tagen hat sich ein Fotograf sogar vor einen Bagger gelegt, um ihn von unten abzulichten.

Goslinowski glaubt, dass man erst mit großem zeitlichen Abstand die Größe der jüngsten Ereignisse ermessen können wird: "In zwanzig Jahren werden wir sagen: Mann, was ist denn da abgelaufen!" Was Goslinowski emotional so bewegt, ist nicht die große Anzahl der freiwilligen Arbeiter. Tag für Tag staunt er über die Hilfsbereitschaft derjenigen, die versuchen sich anderweitig nützlich zu machen.

Morgens um 7 Uhr habe kürzlich ein alter Mann mit einer Schüssel Buletten vor dem Bauzaun gestanden, erzählt Goslinowski gerührt. Immer wieder kämen Fans mit Kuchen, Getränken oder einer Plastiktüte voller Eis vorbei. Andere wiederum, die nicht selbst mit anpacken könnten, überreichten einfach Geldscheine. Anfang der Woche sei etwa eine schwer behinderte Frau da gewesen und hätte ihr gesamtes monatliches Taschengeld von 60 Euro für den Stadionbau gespendet.

Für Goslinowski ist all dies eine Bestätigung dafür, dass die Anhänger von Union etwas Besonderes sind. "Wir schreiben wieder einmal Geschichte." Die ohnehin stark ausgeprägte Identifizierung der Fans mit ihrem Verein dürfte sich durch die Baumaßnahmen in der Tat noch weiter verstärken. In einem Akt der Selbstvergewisserung erinnert man sich in den Pausen gegenseitig an die vielen Geschichten der letzten Tage, die allesamt vom Edelmut, Altruismus und der Großzügigkeit der eigenen Anhängerschaft handeln. Union-Fans erzählen Union-Fans über Union-Fans. Es ist ein ganz eigener und enger Kosmos, in dem sich die Leute hier bewegen.

Goslinowski hat schon Ende der Siebzigerjahre unentgeltlich mitgeholfen, eine Tribünenseite mit Sand aufzuschütten. Damals in der DDR-Zeit, erinnert er sich, war die Union-Solidarität von der Freien Deutschen Jugend (FDJ) organisiert. Heute funktioniert es auch ohne von oben verordneten Gemeinsinn. "Wenn Union ruft, sind wir da", sagt Goslinowski, um sich gleich zu korrigieren: "Uns hat ja eigentlich keiner gerufen, wir haben uns aufgedrängt."

Stehplätze sind besser

Seit dem Jahr 2001 diskutiert man in Köpenick rege über einen Stadionum- oder -neubau. Ein Modell für 30.000 Zuschauer stand einmal zur Debatte, bei dem überwiegend Sitzplätze vorgesehen waren. Die Einnahmemöglichkeiten des Vereins hätte das wesentlich vergrößert. Doch viele Fans sind froh, dass es nicht so weit gekommen ist. Sie wollen lieber stehen. "Die Stimmung ist dadurch viel besser als in den auf Kommerz bedachten Sitzplatzarenen", sagt Holger Keye, der sich als Vorsitzender der Stadion AG für die Beibehaltung der Grundstrukturen an der Alten Försterei eingesetzt hat.

Das nun verfolgte Sanierungskonzept beschreibt er so: "Stehplätze betonieren, Blechdach drauf und fertig." Das sei zwar die Billigvariante, aber die passe viel besser zu Union. Goslinowski resümiert: "Wir erhalten unser Wohnzimmer und schminken es nur um."

Keye, von Beruf Computerfachmann, hat sich für die Bauarbeiten extra eine Woche Ferien genommen. "Mehr war leider nicht möglich", sagt er bedauernd. "Es ist eine Art Ehre, hier mitzuhelfen." Einige Fans würden gar ihren gesamten Jahresurlaub für die Baumaßnahme opfern, berichtet Pressesprecherin Klee.

Dass man hier umsonst malocht, während die Profispieler stattliche Gehälter vom Club überwiesen bekommen, hinterfragen die eifrigen Helfer nicht. Im Gegenteil. Man betreibt zusätzlich Geldakquise. Auf Initiative der Fans kann jeder Union-Anhänger, der nicht selbst mitarbeiten kann, nun symbolisch Baustunden kaufen. Der Verein hat rasch dafür ein entsprechendes Konto eingerichtet.

Projektleiterin Sylvia Weisheit ist von der Arbeitsmoral der Union-Fans begeistert. Man komme wesentlich schneller voran als geplant. Alles laufe sehr professionell ab. Etwa ein Drittel der Freiwilligen seien ja auch ausgebildete Facharbeiter. Es würden sich aber genauso Architekten oder Geschäftsführer von mittelständischen Betrieben den körperlichen Mühen stellen.

Teilweise muss Weisheit den Eifer der Helfer auch bremsen. Die Nacht- und Wochenendwachen haben sich schon beschwert, dass sie mehr tun wollten, als nur ab und zu den Beton zu nässen. Und einige haben bereits nachgefragt, wann sie denn endlich eingesetzt werden.

Für den Verein dokumentiert Dajana Klee die Geschehnisse. Sie schreibt täglich für die Homepage von Union Berlin ein so genanntes Baustellentagebuch. Klee schätzt, dass sie derzeit 16 Stunden für Union auf den Beinen ist. Das Los einer Pressesprecherin eben, könnte man sagen. Das ist jedoch nur ihr offizieller Titel. Eigentlich ist sie Praktikantin und muss beim Arbeitsamt über ihre Bewerbungsinitiativen Rechenschaft ablegen. Der Proficlub Union Berlin spart an allen Ecken und Enden. Und eigentlich passt die Generation Praktikum ja auch ganz gut zu diesem Bauprojekt.

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