Die große Ausstellung zum Mauerfall-Jubiläum: Die Helden einer Revolution

"Die friedliche Revolution 1989/90" lautet der Titel der zentralen Ausstellung Berlins zum 20. Jahrestag des Mauerfalls. Die Open-Air-Schau bringt den Alexanderplatz zurück in die Wendezeit.

Jede Menge Geschichte: Die Aussstellungswände auf dem Alexanderplatz Bild: dpa

Insgesamt werden auf dem Berliner Alexanderplatz 700 Fotos und Dokumente gezeigt, zusammengerechnet sind alle Tafeln der Ausstellung 300 Meter lang.

Die Ausstellung läuft täglich von heute bis zum 14. November, sie ist rund um die Uhr zugänglich. Der Eintritt ist frei. Zu der Schau erscheint das Begleitmagazin "Wir sind das Volk", das im Infopavillon erworben werden kann. Führungen in insgesamt sieben Sprachen werden angeboten.

Zum Eröffnungswochenende findet von heute bis zum 10. Mai ein umfangreiches Rahmenprogramm statt. Neben stündlichen kostenlosen Führungen gibt es täglich um 21 Uhr ein Open-Air-Kino. Gezeigt werden die Filme "Wir sind das Volk", "Sonnenallee", "flüstern und SCHREIEN" und "Solo Sunny". Am Samstag und Sonntag findet zudem von 13 bis 21 Uhr ein Lesemarathon statt.

Mehr zum Themenjahr 2009 und dem Programm zur Ausstellung unter www.mauerfall09.de und www.revolution89.de

Auf dem Alexanderplatz, neben der Weltzeituhr, wird ab diesem Donnerstag wieder demonstriert. Massenhaft. Auf den Transparenten und Spruchbändern stehen die Losungen vom Herbst 1989: "Wir sind das Volk", "Keine Gewalt" und "Demokratie jetzt". Unter den Prospekten sieht man die Protagonisten jener Tage: Reich, Havemann, Bohley, Bahro, Hein, Christa Wolf gemeinsam mit den eigentlichen Akteuren der Proteste in der Wendezeit - die Bevölkerung der DDR.

Den "Revolutionären" gegenüber steht eine hilflose Staatsgewalt, verunsicherte Volkspolizisten und brutal agierende Staatssicherheitsbeamte. Eine echte Chance haben die kommunistischen Machthaber nicht mehr: Der Reformwille und der nach einer Systemveränderung ist stärker. Am 9. November 1989 drängen die Menschen nach Westen, die Mauer fällt.

Die vielen Transparente und fünf lange strahlenförmig ausgerichtete Ausstellungswände mit Bild- und Textdokumenten über die Oppositionsbewegungen in der DDR bilden den Rahmen der Ausstellung "Die friedliche Revolution 1989/1990". Dass sie als Open-Air-Schau auf dem Alexanderplatz konzipiert wurde, ist ebenfalls sinnfällig. Begannen doch hier - und zeitgleich in Leipzig - die Demonstrationen und der öffentliche Widerstand gegen das SED-Regime, nachdem bekannt wurde, dass die Ergebnisse der Kommunalwahlen vom 7. Mai 1989 gefälscht worden waren.

Dass die Kuratoren der zentralen Berliner Ausstellung zum Themenjahr "20 Jahre Fall der Mauer" - die Robert-Havemann-Gesellschaft e. V. und die Kulturprojekte Berlin GmbH - diesen historischen Ort quasi live bespielen, ist eine richtige und mutige Entscheidung. Die Bilder und Fotografien der dramatischen Ereignisse in der DDR von 1989 in ein Museum zu stecken käme einem Navigationsfehler gleich. Wo, wenn nicht auf dem riesigen Areal des Alexanderplatzes, könnten die emotionale Kraft und Visionen jener Zeit besser in die Erinnerung gerufen werden? Und wo, wenn nicht hier, zeigen sich auch deutlich die räumliche Überformungen der Stadtgestalt und ihrer jüngsten Geschichte? Die Gefahr, dass die Exponate auf der Freifläche und im unruhigen Alltag und Verkehr "untergehen", wiegt da weit weniger.

Tom Sello, Kurator der Schau und Mitglied der Havemann-Gesellschaft, begründet die Wahl des Ausstellungsorts damit, dass am Alex - trotz massiver Veränderungen - die damalige Aura, Funktion und Bedeutung spürbar seien. "Diese Ausstellung setzt den freien Platz, den öffentlichen Raum voraus. Zugleich sollte keine Konkurrenz zwischen Außenraum und Ausstellungsgestaltung entstehen. Außerdem braucht diese Ausstellungsgestaltung den Passanten. Er ist Teil des Konzepts."

Inhaltlich bestückt wird diese Performance aus dem authentischen Raum, der Schau und den Besuchern mit "rund 700 Bildern und Dokumenten", welche die "Geschichte einer erfolgreichen deutschen Revolution erzählen", so Moritz van Dülmen, Chef der Kulturprojekte Berlin. Dabei erlebten die Besucher keine inszenierte Geschichte vom Fall der Mauer oder die der deutschen Einheit, "sondern eine Chronologie der Revolution von ihren Anfängen bis zur Volkskammerwahl im März 1990", wie Sello das Konzept umreißt.

Was sich sehr spröde und didaktisch anhört, ist in Wirklichkeit hochspannend. Es sind zum Teil unglaubliche Bilder und Textdokumente, die in den drei Abschnitten "Aufbruch", "Revolution" und "Einheit" zu sehen sind und die über eine bewegende Epoche Auskunft geben. Unglaublich, weil das Material oft unbekannt und überraschend ist - unglaublich auch, weil das Bildprogramm weniger aus Sicht der Politik und der Herrschaftsapparate daherkommt als vielmehr aus einer Perspektive von unten. Damit betritt die Schau neues Terrain. Wird etwa wie gerade im Martin-Gropius-Bau die Kunst der letzten 60 Jahre in Deutschland wie aus dem Geschichts- und Bilderbuch vorgeführt, zielt hier die Rezeption auf weitgehend unbekannte Geschichten und Prozesse einer Selbstbefreiung von einem maroden System.

Von Punks und Plakaten

Von den Punks, den ersten Friedensaktivisten, Denkmalschützern in den verfallenen Altstädten, illegalen Plakaten und Flugblättern sowie heimlichem politischem Widerstand und offenem Protest berichtet der erste Teil. Den Weg von den kleinen Aktionen hin zu den großen Demos, der Forderung nach Reise- und Meinungsfreiheit und die Ausreisewelle im Sommer 1989 beleuchtet der zweite Teil.

Schließlich gelingen die politischen Veränderungen, Parteien werden gegründet, der Mauerfall. Der Machtanspruch der SED ist Geschichte, die DDR zerbricht. Die Bärtigen am runden Tisch lösen die Mächtigen ab. Davon zeugen die Fotos, Texte und Objekte im dritten Abschnitt.

"Die Ausstellung soll den Berlinern ihre eigene Geschichte wiedergeben und vor allem den jungen Menschen dieses wichtigste Ereignis der jüngeren Geschichte nahebringen", hofft Sello. Dazu gehört auch, wie Klaus Wowereit beim Presserundgang beobachtet hatte, dass die Bilder "die Strömungen für einen sogenannten dritten Weg" wieder ins Gedächtnis riefen, von dem man heute kaum mehr spricht.

Natürlich gibt es längst schon Bekanntes zu sehen: große Köpfe, große Taten, Weltpolitik. Gorbatschow, Kohl und "Haifisch" Egon Krenz oder Genscher auf dem Prager Botschaftsbalkon. Lichterketten. 100.000 auf dem Alex, eine Million auf der Mauer und am Ende die Einheitsbilder vor dem Reichstag. Hier wirkt die Ausstellung schlicht überladen und entfaltet kaum eine Wirkung. Es sind - große Augenblicke hin oder her - banale Ausschnitte von der Wende.

Dies provoziert, trotz der Höhepunkte, am Ende des Rundgangs die Frage, ob die Dokumente zu zwei weltbewegenden Jahren in Deutschland nicht zugleich auch nur Dekoration der Jubiläumsfeierlichkeiten sind? Wo es Altbekanntes zu sehen gibt, lautet die Antwort: ja. Angesichts der neuen Zusammenhänge aber lohnt sich der Besuch auf dem Alexanderplatz.

TOM SELLO, KURATOR DER SCHAU

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