Kiat-Volksbegehren: Entlastung um ein halbes Kind

Die rot-rote Koalition bastelt an einem Kompromiss. Den Initiatoren des Volksbegehresn reicht das nicht.

Die Initiative für eine bessere Kita-Finanzierung könnte auch ohne Volksentscheid Erfolg haben - zumindest zum Teil. Die Linkspartei zeigte sich am Mittwoch verhandlungsbereit. "Es wäre "wünschenswert, wenn man sich gütlich einigen könnte", sagte Udo Wolf, der neue Fraktionschef der Linken.

Der Landeselternausschuss Berliner Kindertagesstätten (LEAK) fordert mehr Geld für die frühkindliche Erziehung. Eine entsprechende Volksinitiative hatte gut ein Jahr auf Eis gelegen, weil der Senat sie für unzulässig hielt. Denn sie würde das Land je nach Schätzung zwischen 100 und 200 Millionen Euro jährlich kosten. Am Dienstag hatte das Landesverfassungsgericht geurteilt, dass es keine Obergrenze für die finanziellen Auswirkungen von Volksbegehren geben dürfe.

Jetzt hat das Abgeordnetenhaus vier Monate Zeit, das Anliegen selbst als Gesetz zu beschließen oder es abzulehnen. Im zweiten Falle muss die Kita-Initiative binnen vier Monaten 170.000 Unterschriften sammeln - dann käme es zum Volksentscheid.

taz: Herr Lietzmann, das Berliner Verfassungsgericht hat am Dienstag Volksbegehren auch dann erlaubt, wenn sie den Senat viel Geld kosten. Wird politisches Engagement damit attraktiver?

Hans J. Lietzmann: Selbstverständlich. Denn eines der Totschlagargumente gegen die Umsetzung von Volksbegehren ist damit vom Tisch.

Was muss passieren, damit Bürger die neue Chance nutzen?

Sie müssen über die Kassenlage und die Finanzierungsmöglichkeiten kompetent aufgeklärt werden. Nur dann können sie Beschlüsse fassen, die die Finanzlage der Stadt mit einbeziehen.

Wie lässt sich das erreichen?

Das kann man erreichen, indem man Finanzexperten in solche Volksbegehren und -entscheide mit einbezieht. Finanzexperten, die sonst Parlamentarier und Ausschüsse informieren, können genauso gut die Bürgerbegehrer und Bürgerentscheider informieren. Die Verwaltung muss also besser mit den Initiatoren zusammenarbeiten.

Bislang schätzt die Verwaltung die entstehenden Kosten.

Die Kostenschätzung alleine reicht nicht. Die Bürger müssen auch darüber informiert werden, was es kostet, wenn nichts geändert wird. Möglicherweise können sie Modelle anbieten, die sich diesen Kosten annähern. Bisher werden die Kosten wie ein Herrschaftswissen gehandelt. Und damit muss Schluss sein.

Muss das Abgeordnetenhaus damit rechnen, künftig von Volksbegehren überschwemmt zu werden?

Nein, das nicht. Aber natürlich ist ein Volksbegehren nicht alleine deshalb schon legitim und richtig, weil es ein Volksbegehren ist. Zum Beispiel setzt sich in Kalifornien bei Bürgerbegehren in vielen Fällen die weiße Mittelschicht gegen die farbigen Minderheiten durch.

Was lässt sich dagegen tun?

Es gibt eine ganze Menge von Verfahren. In der Schweiz werden beispielsweise Informationsbüchlein verteilt. Wichtig ist es, eine öffentliche Diskussion herzustellen, so dass breit gestreute Informationen bei den Bürgern vorhanden sind.

Ist ein Volksentscheid erfolgreich, ist er vergleichbar mit einem Gesetz. Das kann das Abgeordnetenhaus mit einer einfachen Mehrheit wieder ändern.

Man sollte es so regeln, dass mehr als nur die einfache Mehrheit nötig ist, um einen Volksentscheid wieder zu kippen. Sonst ist kein Entscheid gegen eine bestehende Regierungsmehrheit möglich. Auf der anderen Seite wäre es aber auch kaum legitimierbar, einen Volksentscheid aufrechtzuerhalten, wenn vier Fünftel eines Parlamentes dagegen sind.

Ein Volksbegehren kann offen lassen, woher das Geld kommen soll. Besteht nicht die Gefahr, dass einfach Gelder verschoben werden und andere Einrichtungen wegfallen?

Das kann sein, aber man kann auch Gegenfinanzierungen einplanen. Im Falle des Kita-Volksbegehrens könnte das heißen, dass Beiträge vorgeschlagen werden oder auch Einsparungen an anderer Stelle.

INTERVIEW: SVENJA BERGT

Als Kompromiss schlägt Wolf eine Erweiterung der Kitabetreuung um 5 Prozent vor. Das würde jährlich 50 Millionen Euro kosten. "Wir sind im Gespräch mit der SPD, es sieht gar nicht so schlecht aus", sagte Wolf. Strittig ist, woher das Geld kommen soll. Innensenator Erhart Körting (SPD) hatte bereits am Dienstag gesagt, zusätzliche Ausgaben, müssten anderswo eingespart werden. Dem widersprach Wolf. Ohne neue Kredite gehe es nicht.

Egal wo das Geld herkommt, der Kita-Initiative reicht es nicht. Durch den Kompromissvorschlag werde jede Erzieherin im Schnitt nur um ein halbes Kind entlastet. "Wenn die Koalition das so beschließt, werden wir für die andere Hälfte weiterkämpfen", sagte Burkhard Entrup, Vorsitzender der LEAK. Nach seiner Rechnung würde die Erfüllung der Forderungen 96 Millionen Euro kosten. Die Summe von 212 Millionen Euro, die immer wieder genannt wird, sei einfach unseriös, sagte er.

Bereits am Donnerstag ist die Kita-Finanzierung Thema im Bildungsausschuss des Landesparlaments. Die Grünen haben einen entsprechenden Gesetzesantrag vorgelegt. Ramona Pop (Grüne) hält eine "Mogelpackung aus Beitragsbefreiung und kleinen Qualitätsverbesserungen" für ein mögliches Ergebnis der Verhandlungen.

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