Berlin und die Europawahl (2): Europas Verwalterin

Die Europabeauftragte des Landes Berlins, Monika Helbig (SPD), steht in der Kritik: Sie sei zu wenig sichtbar und verwalte, statt Impulse zu setzen.

Berliner Kandidaten für die Wahl am Sonntag finden sich bei allen großen Parteien auf den Listen.

Dagmar Roth-Behrendt (SPD), seit 1989 in Brüssel, ist Expertin für Verbraucherschutz.

Joachim Zeller (CDU) war lange Bürgermeister von Mitte und kurzzeitig CDU-Landeschef.

Michael Cramer (Grüne) engagiert sich seit 2004 für Verkehrspolitik in Brüssel.

Martina Michels (Linke) will nach 18 Jahren im Abgeordnetenhaus ins EU-Parlament.

Alexandra Thein (FDP) war bisher nur ehrenamtlich in der Politik.

Der 23. Mai 2008? Monika Helbig fällt zu diesem Datum nichts Besonderes ein. Dabei war es der Tag, an dem eine Europabeauftragte des Senats eigentlich frustriert hätte hinschmeißen müssen. Es war der Tag, an dem Berlin im Bundesrat nicht für den Lissabon-Vertrag stimmte, der die Europäische Union modernisieren soll. Rechnerisch machte das nichts, weil alle anderen 15 Bundesländer zustimmten. Die Botschaft aber war verheerend: Die Hauptstadt ist gegen Europa.

Monika Helbig, eine 55-jährige rotblonde SPD-Politikerin, sieht das ganz anders. Deshalb ist sie auch Europabeauftragte geblieben. Natürlich habe sie sich gewünscht, dass Berlin zustimmt. Die SPD wollte ja auch. Aber da sei nun mal der Koalitionsvertrag mit der Linkspartei, der bei Streitfällen Enthaltung im Bundesrat vorsieht. Helbig lässt dabei unter den Tisch fallen, dass die SPD ein halbes Jahr später bei der Erbschaftsteuer gegen diese Regel verstoßen hat.

Helbig hält die Bedeutung des Berliner Lissabon-Votums ohnehin für überschätzt. In Brüssel, im Ausschuss der Regionen, wo sie Berlin vertritt, habe sie kein einziges ausländisches Mitglied darauf angesprochen. "Da wird nur wahrgenommen, dass Deutschland insgesamt zugestimmt hat. Wir sollten unsere Stellung nicht überschätzen."

Seit über sieben Jahren, solange es Rot-Rot gibt, macht Helbig ihren Job als Staatssekretärin und Europabeauftragte in der ersten Etage des Roten Rathaus. Auch für Bundesangelegenheiten und bürgerschaftliches Engagement ist sie zuständig. Nur 3 ihrer 18 Staatssekretärskollegen gehören dem Senat länger an. Doch nach außen ist in dieser Zeit wenig von ihr gedrungen.

Persönlich gilt sie unter den Abgeordneten im Europaausschuss durchaus als freundlich im Umgang, verlässlich und kollegial. Inhaltlich aber fällt das Urteil deutlich negativer aus. Folgt man der Opposition, so verwaltet Helbig bloß ihr Amt und gibt keine wirklichen Anstöße. "Ihre Arbeit ist zu wenig sichtbar - so wie die ganze EU-Politik des Senats", sagt die europapolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion, Anja Schillhaneck. "Keine Impulse", meint auch der FDP-Europapolitiker Mirco Dragowski. Sie sei im Senat zu schwach, um sich durchzusetzen, sagt der CDU-Abgeordnete Oliver Scholz. Der gesteht ihr immerhin zu, "dass sie mit vollem Herzen für die europäische Idee ist". Die Kritik sei nicht unberechtigt, kann man selbst in der rot-roten Koalition hören - Berlin nutze die Chancen der Europapolitik nicht.

"Mich überrascht diese Wahrnehmung", sagt Helbig dazu. "Wenn das Thema Europa bei vielen Leuten nicht ankommt, dann liegt das nicht an mir und der Arbeit meiner Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern." Der europapolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Frank Zimmermann, sieht einen strukturellen Fehler: Statt einer Staatssekretärin sollte eine Senatorin oder ein Senator für Europa zuständig sein. Seine Begründung: "Erst auf dieser Ebene kann man sich in Debatten Gehör verschaffen."

Helbig hält davon nicht viel: Die Schwierigkeiten, mit dem Thema Europa durchzudringen, würden so nicht automatisch gelöst. Sie setzt stattdessen auf Fortbildungen in Brüssel, die Führungskräfte der Verwaltung sensibler für Europa machen sollen. Sie hat dieses Jahr eine 2006 erschienene Broschüre neu auflegen lassen, die den Bürgern nahebringen soll, wie sehr die EU ihren Alltag beeinflusst, wo Fördergelder im Kiez ankommen. Sie berichtet von Aktionen in Schulen, um die Wähler von morgen zu gewinnen.

Zum Thema Europa war Helbig nicht aufgefallen, bis der Regierende Bürgermeister sie Anfang 2002 ins Rote Rathaus holte. Die Grünen-Fraktion kritisierte schon damals, dass Klaus Wowereit keine ausgewiesene Europaexpertin berief.

Das Verwalten, das ihr ihre Kritiker vorhalten, prägte unbestreitbar ihre vorangegangene Laufbahn. Nach einer Ausbildung im mittleren Dienst arbeitete sie fast ein Vierteljahrhundert in der Berliner Verwaltung. Sie holte dabei das Fachabitur nach, machte ihr Diplom als Verwaltungswirtin und wurde 1997 Kanzlerin, also Verwaltungschefin, der Evangelischen Fachhochschule in Zehlendorf.

Schon mit 20 Jahren war sie in die SPD gegangen, ab Mitte der 80er saß sie für ihre Partei 14 Jahre lang in der Spandauer Bezirksverordnetenversammlung. Später gehörte sie bis 2001 zwei Jahre dem Abgeordnetenhaus an.

Die größte Rückendeckung für Helbig kommt ausgerechnet von der so EU-kritischen Linkspartei. "Das ist mal wieder typisch Opposition", widerspricht deren langjährige Abgeordnete Martina Michels der Kritik an Helbig. Michels ist Vorsitzende des Europaausschusses im Landesparlament, sie sitzt zudem zusammen mit Helbig in Brüssel im Ausschuss der Regionen. Dort schätze man Helbigs Arbeit, sagt Michels. Nach ihrer Einschätzung hat sich im Senat in den vergangenen Jahren - also in Helbigs Amtszeit - ein gewachsenes Europabewusstsein durchgesetzt. Mehr Senatsmitglieder als früher würden sich in Brüssel sehen lassen.

In den vergangenen Jahren ist aber auch die Wahlbeteiligung zum Europaparlament extrem gesunken. Gingen 1994 noch über 53 Prozent der Berliner Wahlberechtigten zur Urne, so war es fünf Jahre später ein Viertel weniger. Und beim vergangenen Mal 2004 beteiligten sich bloß noch 38,6 Prozent. Nichtsdestotrotz hat Helbig für die Wahl am 7. Juni eine Beteiligung von "45 Prozent plus x" in Berlin als Ziel ausgegeben. Angesichts des dramatischen Rückgangs klingt das nach "Wünsch dir was", der längst verblichenen Samstagabendsendung. "Das soll natürlich aufrütteln", sagt Helbig. Es sei doch klar, dass nach einer Wahlbeteiligung von zuletzt 38,6 Prozent das Ziel nicht 39 sei.

In diesen Tagen läuft deshalb der U-Bahn ein Werbespot. Vor allem junge Leute sind die Zielgruppe. Das macht auch das blaue Banner deutlich, das mit dem duzenden Hinweis "Europawahl. Deine Entscheidung" am Eingang des Roten Rathauses hängt. Dort stand vor zwei Wochen auch noch eine ebenfalls blaue Info-Box zu Europa. Vorige Woche war sie wieder weg. Wo sie denn sei? Helbig zuckt mit den Schultern - die Aktion kam nicht von ihr, sondern direkt von Kommission und Parlament der EU.

MONIKA HELBIG

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