Fünf Beispiele: Frauenprojekte in Not

Die Berliner Frauenberatungsstellen werden von Hilfesuchenden überrannt. Sie können ihre Arbeit kaum noch so machen, wie es notwendig wäre.

Netzwerk behinderter Frauen

Dörte Gregorschewski: "In Berlin gibt es 200.000 registrierte, behinderte Frauen und wir sind das einzige Frauenprojekt der Stadt, das behindertenspezifisch arbeitet. Wir haben gerade mal zwei bezahlte Stellen - beide sind von behinderten Frauen besetzt. Unser Aufgabenspektrum ist enorm. Wir bieten Beratung an. Häufig ist das Krisenintervention. Wenn eine Frau anruft und sagt, sie weiß nicht mehr, wie es weitergehen soll, das kannst du nicht am Telefon klären. Der Bedarf ist extrem gestiegen. 2004 haben wir 110 solcher Intensivberatungen gemacht. 2006 waren es 350. Dazu konzipieren wir ein Halbjahresprogramm mit Bildungs- und Kulturangeboten, Selbsthilfegruppen und offenen Treffen. Zudem machen wir fachpolitische Arbeit in den verschiedensten politischen Gremien. In frauenpolitischen Gremien vertreten wir den Behindertenansatz und in Behindertengremien vertreten wir den Frauenansatz. Nicht zuletzt bleibt noch die administrative Arbeit. Das schafft man doch alles nur, wenn man sich selber ausbeutet. Die Beratungsarbeit nimmt den größten Raum in unserer Arbeit ein. Wir können das nicht mehr auffangen. Die Vermittlung an andere Stellen klappt auch nicht mehr, weil die genauso überlastet sind. Außerdem sind andere Projekte oft nicht barrierefrei. Generell gilt: Die Probleme haben sich verändert. Es geht nicht nur um Behinderung, sondern um Existenzsicherung, um Isolation, um Probleme mit Ämtern. Die Frauen brauchen eigentlich Begleitung. Das können wir nicht leisten. Behinderte Frauen sind das Schlusslicht auf dem Arbeitsmarkt. Und wenn du behindert bist und mit Grundsicherung lebst, hat sich durch die Gesundheitsreform zudem ganz viel verschoben. Viele Frauen müssen nicht verschreibungspflichtige Medikamente selbst bezahlen. Frauen mit chronischen Schmerzen, die keine Schmerzmittel vertragen zum Beispiel, die haben früher vom Arzt Schmerzsalben verschrieben bekommen. Die müssen sie jetzt selbst zahlen. Brillen werden nicht erstattet. Zahnersatz. Die Zuzahlungen bei orthopädischen Schuhen sind höher. Die Armut unter behinderten Frauen ist enorm."

Wildwasser

Geschäftsführerin Iris Hölling: „Es wenden sich einfach sehr viele Frauen an uns.“ Das sei ein „kontinuierliches Phänomen, das über ein Jahr andauert.“ Die Frauenberatungsstelle von Wildwasser wendet sich hauptsächlich an Frauen, die in ihrer Kindheit sexuell missbraucht wurden. Viele haben aber auch als Erwachsene Gewalterfahrungen gemacht. Im Jahr 2007 waren es 8.039 Kontakte mit Frauen, die sich an die Frauenberatungsstelle gewandt haben. 2008 waren es 11.965.

„Es kommen nicht nur immer mehr Frauen, sondern die einzelnen Fälle werden auch komplexer.“ Frauen haben eigentlich auch Bedarf, längere Zeit beraten zu werden. Zum Beispiel: Die Frauen sind auch noch krank oder haben mit verschiedenen sozialen Problemen zu kämpfen.

Wildwasser würde gerne den Frauen innerhalb von einer Woche einen Termin für die Erstberatung geben. Stattdessen müssen sie inzwischen drei bis vier Wochen warten. „Das ist ausgesprochen unbefriedigend für die Frauen.“

Aber nicht nur für die: „Das ist eine unglaubliche Belastung für die Mitarbeiterinnen.“ Die drei Frauen, die auf zwei Stellen arbeiten und von zwei Honorarkräften mit zusammen 30 Stunden pro Woche unterstützt werden, versuchen bereits, so viel wie möglich durch eine Umorganisation der Arbeit aufzufangen. Etwa indem es mehr Gruppenangebote gibt. Oder indem Beratungszeiten verkürzt werden. Oder Überstunden gemacht werden. „Aber das löst das Problem nicht, dass wir mehr Zeit bräuchten, um den Beratungsbedarf zu befriedigen.“

„Wir können den Beratungsbedarf nicht mehr decken“. Bereits seit 1997 erhält die Frauenberatungsstelle die gleiche Zuwendungssumme. Da die Kosten jedoch jährlich steigen, muss Wildwasser sparen. „Es reicht gerade noch für Miete, Strom und Telefon – aber zum Beispiel nicht mehr für Broschüren.“ Über die unzureichende Finanzierung hat Wildwasser auch die Senatsverwaltung für Wirtschaft, Technologie und Frauen informiert.

Auch der Verwaltungsaufwand ist größer geworden: „Die Pflichten gegenüber dem Senat bei der Abrechnung haben zugenommen, wir müssen zudem aufwändige Qualitätsberichte schreiben und Statistiken führen.“ Das könne ja auch sinnvoll sein. „Aber wir erhalten keine zusätzlichen Ressourcen für diese Arbeit, sondern müssen die Zeit anderswo einsparen.“

Unter dem Strich: „Wir erleben eine extrem hohe Nachfrage, extrem hohen Beratungsbedarf und wir haben nicht genug Ressourcen, um das abzudecken.“

Viertes Frauenhaus

Karin Wieners: "Um langfristig mit betroffenen Frauen etwas zu entwickeln, was stabil ist, ist keine Zeit und keine Möglichkeit mehr. Wir sollen schnelle effiziente Lösungen finden, die Frauen sollen möglichst nicht länger als drei Monate im Frauenhaus bleiben. Alles was Prozess heißt – Trennungsprozess, Scheidungsprozess, Klärungsprozess, Entwicklungsprozess - dafür gibt es keine Ressourcen mehr.

Die Individualisierung ist furchtbar. Was für gesellschaftliche Probleme sich aber in den individuellen Problemen ballen, für diese Aufarbeitung gibt es keine Ressourcen mehr. Nehmen Sie Präventation vor Gewalt gegen Frauen. Die gibt es in Berlin so gut wie nicht mehr. Das heißt doch nichts anderes, als dass sich die Gesellschaft damit einrichtet, dass es Gewalt gegen Frauen gibt. Gesprächsgruppen für ehemalige Frauenhausbewohnerinnen oder pädagogische Antigewaltarbeit mit Kindern, die können wir nur machen, wenn wir dafür Spendengelder auftreiben. Es wäre irrsinnig wichtig, viel mehr Frauen auf die Ämter zu begleiten und sie dabei zu stärken, sich zu wehren. Doch dafür gibt es keine Ressourcen.“

1995 gab es in allen Berliner Frauenhäusern noch 374 Plätze, 2009 waren es nur noch 292 Plätze. 1995 waren etwa 2.200 Frauen im Frauenhaus, 2007 schon 2.799 Frauen.

Paula Panke

Projektmanagerin Astrid Landero: "Wir haben Frauenstrukturstellen, die zum Erhalt der Frauenprojekte im Ostteil der Stadt eingerichtet wurden. Wir setzten diese Stellen bisher in unserem flexiblen Kinderbetreuungsprojekt ein. Da werden Kinder von Alleinerziehenden, die etwa um fünf Uhr morgens schon bei Lidl anfangen oder bei der Post oder Spätschicht haben im Krankenhaus oder anderswo von den Betreuerinnen zuhause betreut. Die Betreuerinnen frühstücken mit den Kindern, bringen sie in den Kindergarten, holen sie ab. Je nach Bedarf.

Das ist allerdings nur ein Bruchteil unserer Arbeit. Daneben machen wir Beratungen, Kurse, Veranstaltungen aller Art. Die Anforderungen an Aquise, an Qualitätssicherung, an Antragstellung, Abrechnung und Sachberichten, an Aufspüren von Finanzquellen, um unser Projekt am Laufen zu halten, sind mittlerweile unglaublich hoch. Im Grunde geht unsere ganze Arbeitszeit damit drauf. Die Belastungen dadurch sind extrem, aber äquivalenten Ersatz kriegen wir nicht. Wir bekommen keine Stellen für die Buchhaltung finanziert und wir machen diese Arbeit, ohne Planungssicherheit. Wir sollen höchste Qualität liefern und hochprofessionell arbeiten und können noch nicht einmal im Voraus auf einen halbes Jahr planen. Dazu wird uns permanent das Gefühl vermittelt, dass wir gerade mal noch so geduldet sind.

Frauenpolitik verkommt immer mehr zu Familienpolitik und gleichzeitig wird angezweifelt, dass solche Angebote wie das Kinderbetreuungsprojekt zu ungewöhnlichen Arbeitszeiten noch notwendig sind. Derzeit ist eine Umverteilung bei Fraueninfrastrukturmaßnahmen beschlossen worden. Wir sollen Stellen abgeben. Deshalb müssen wir Frauen entlassen. Das sind Frauen, die vorm Arbeitsgericht auf Weiteranstellung klagen könnten und Recht bekämen. Eigentlich müssten wir ihnen eine Abfindung geben, aber dann wären wir zahlungsunfähig. Wir überreden also die Frauen, die wir entlassen müssen, dass sie solidarisch mit dem Gesamtprojekt sind und auf Abfindung verzichten. Das ist grotesk.

Wir verlangen ja keine Dankbarkeit für das, was wir tun, aber wir wollen endlich Akzeptanz. Wir nehmen dem Jobcenter doch Frauen ab und machen sie fit für den Arbeitsmarkt. Hier kommen Frauen mit vielen Handikaps, die jahrelang arbeitslos waren. Sie eignen sich neue Kompetenzen an, Teamfähigkeit, Stabilisierung, Selbstvertrauen.

Bei unserem Kinderbetruungsprojekt bedienen wir zwei Gruppen: die alleinerziehenden Mütter, die Arbeit haben und die Betreuerinnen aus dem Erziehungsbereich, die jahrelang schon arbeitslos waren. 15 Kinderbetreuerinnen versorgen die Kinder von 80 Alleinerziehenden. Und dann haben wir noch eine genauso lange Warteliste. Wir versuchen derzeit Partner zu finden, die das Projekt kofinanzieren. Eigentlich müssten das doch Unternehmen, die davon profitieren einsehen, dass sie ihren Teil beitragen. Aber nein, die sehen das nicht so. Die sagen: warum haben die Frauen auch kleine Kinder.“

Lara

Beraterin Doris Rümelin: Die Frauen, die in die Beratung kommen, sind geschwächter. "Sie haben nicht mehr so viel Geld, haben mehr Probleme mit dem Jobcenter, sie bekommen schlechter Kliniken und Kuren, sind instabiler und haben oft sehr viel und schwere Gewalt erlebt.“ Gerade die intensiven Beratungen sind angestiegen, was natürlich auch viel mehr Zeit in Anspruch nimmt. In den letzten Wochen kamen so viele neue Klientinnen zu Lara, "bei uns ist gerade der absolute Ausnahmezustand. Wir kriegen sie gar nicht mehr unter".

Eigentlich sollen akut Betroffene innerhalb von drei Tagen einen persönlichen Termin bekommen, die Wartezeit liegt derzeit aber bei drei Wochen. „Wir können unsere Standards nicht mehr einhalten. Wir sind gerade am kippen.“

Warum kommen mehr Frauen? Schwer zu sagen. Vielleicht gibt es mehr Fälle, vielleicht melden sich auch durch die Medienberichterstattung über Gewalt gegen Frauen mehr Betroffene und mehr Professionelle.

Wenn Frauen in ihrer Wohnung vergewaltigt werden und dort nicht mehr wohnen können, dann muss das Jobcenter den Umzug bewilligen. Das ist ein wahnsinniger Kampf, bis die Frauen umziehen dürfen. Die Frau muss dazu immer wieder erklären, dass sie vergewaltigt wurde und traumatisiert ist. "Danach brauchen die Frauen oft wieder eine Zeit, um stabiler zu werden. Die Probleme mit den Ämtern ist dann vorherrschendes Thema in der Beratung und wir kommen gar nicht mehr dazu, mit der Frau andere wichtige Themen zu besprechen.“ Es ist auch schwierig, den Sachbearbeiter überhaupt ans Telefon zu bekommen, weil eine Hotline vorgeschaltet ist. Bei der BfA, die für Rentenanträge und Reha zuständig ist, ist es ähnlich.

„Sexualisierte Gewalt hat viel mit dem Erleben von Hilflosigkeit und Kontrollverlust zu tun. Diese Gefühle werden wieder aktiviert, wenn Ämter undurchsichtig agieren, nicht erreichbar sind - eben wenn die Möglichkeit, die eigene Lage zu verbessern, vom Amt abhängt und immer wieder alles erklärt werden muß. Außerdem ist Vergewaltigung mit einem großen Tabu belegt und den Frauen sehr peinlich. Und sie müssen immer wieder auf ihre Vergewaltigung hinweisen. Je nachdem wie die Sachbearbeiter dann mit der Frau umgeht, kann der Kontakt retraumatisierend sein und deswegen destabilisierend. Und das versuchen wir in der Beratung wieder aufzufangen.“

Finanzierung: Lara erhält nur noch 95 Prozent des Geldes von 2002. Die Arbeit ist viel dichter geworden, "Pausen gibt es kaum noch". Angesichts der erhöhten Nachfrage hat Lara Angst, die Frauen in Zukunft nicht mehr so gut betreuen zu können.

"Das Gesamtsystem ist einfach so ausgelegt, dass es kurzfristig spart und die Folgekosten nicht beachtet." Dabei geht es ja eigentlich gar nicht um Folgekosten. Sondern „um die Hilfe für Menschen, sich nicht mal nur ausheulen müssen, sondern die sehr schwere Gewalt erlebt haben und denen es sehr schlecht geht.“ Im Jahr 2007 beriet Lara 587 betroffene Frauen, im Jahr 2008 bereits 780. Die Zahl der persönlichen Beratungen, die eine Stunde oder länger dauern, stieg von 638 im Jahr 2001 auf 1294 im Jahr 2008.

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