Kommentar: Gegenwart als Vision

Klaus Wowereit will Berlin zum kreativen Zentrum für Wissenschaft, Kultur und Wirtschaft machen. Das klingt gut. Ist aber längst Realität.

Der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) hat erstmals seit seiner Wiederwahl vor einem Jahr seine Vorstellungen von der wirtschaftlichen Zukunft Berlins ausgebreitet. In einem Beitrag für den Tagesspiegel schrieb Wowereit, die Stadt habe die "besten Voraussetzungen, um ein Kraftzentrum der wissensbasierten Ökonomie in Europa zu sein". Belege dafür seien unter anderem eine steigende Exportquote und zahlreiche Unternehmen in der Stadt, die in ihren Feldern international Marktführer seien. Die Stadt müsse sich zu einem "Standort der Technologie von morgen" und der "Forschung für übermorgen" entwickeln. Eine herausragende Rolle sprach der SPD-Politiker "Kreativen" aus Wissenschaft, Kultur und Wirtschaft zu. In fünf Jahren solle Berlin zu einer "Topadresse für die Kreativen der Welt" werden. Berlin müsse zudem Toleranz beweisen und offen sein "für alle, die neu zu uns kommen". Wowereit versprach, eine Politik zu verfolgen, die sich "konkret für Lebensqualität und Arbeitsplätze einsetzt".

Klaus Wowereit hat eine Vision. Berlin, so schreibt der Regierende Bürgermeister in einem Zeitungsbeitrag, müsse die Stadt der Talente werden. Denn so könne sie zu einem Kraftzentrum der wissensbasierten Ökonomie in Europa werden - und in den nächsten fünf Jahren zu einer Topadresse für die Kreativen der Welt. Das klingt nach markigen Sprüchen. Und doch scheint es, als habe Wowereit bei der langen Suche nach einer neuen Marke für Berlin endlich etwas Gespür für seine Stadt bekommen.

Seit der Wiedervereinigung setzte die Hauptstadt vor allem auf Größe. Olympische Spiele, Transrapid oder ein Dutzend Hochhäuser am Alexanderplatz - das waren die Visionen der 90er-Jahre. Von diesem Gigantismus hat sich der rot-rote Senat zum Glück schon seit Jahren verabschiedet - und stattdessen das Spardikat zum Mantra der Gegenwartspolitik erhoben. Das war unumgänglich. Eine über den Tag hinausweisende Idee für die Stadt aber fehlte.

Nun verabschiedet sich Wowereit vollends von den großen Versprechungen. Stattdessen lobt er endlich die forschen Firmen selbst in den Kreuzberger Hinterhöfen als Jobmotoren der nächsten Generation.

Und dennoch hat Wowereits Vision einen Mangel: Sie ist längst kein Blick in die Zukunft mehr. Sie beschreibt vielmehr die Gegenwart einer Stadt, in der schon seit Jahren nichts anderes brummt als die kleinen kreativen Zellen - ob nun in Wissenschaft und Forschung oder bei Mode und Design. Die Kreativen der Welt, die Wowereit mit einer neuen Willkommenskultur in die Stadt locken möchte, sind schon lange hier. Um das zu erkennen, muss man nur mit offenen Augen durch die Stadt laufen - oder in den vor zwei Jahren vom damaligen Kultursenator Thomas Flierl erstellten Kulturwirtschaftsbericht schauen.

Umso schöner ist es, wenn dessen wegweisende Erkenntnis nun auch bis ganz oben vorgedrungen ist.

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