Kommende Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde Berlin:: "Ich bin keine Deutsche"

Die Sache steht fest: Am Mittwochabend wird Lala Süsskind zur neuen Vorsitzenden der jüdischen Gemeinde der Stadt gewählt. Mit Deutschland hat sie so ihre Probleme - mit Berlin, wo sie aufwuchs, gar keine.

Kuppel der Neuen Synagoge in Berlin-Mitte Bild: AP

taz: Frau Süsskind, freuen Sie sich schon auf die Rund-Um-Betreung durch Bodyguards, die Sie ab heute Abend haben werden?

Die traditionsreiche jüdischen Gemeinde der Hauptstadt hat etwa 12.000 Mitglieder. Sie ist die größte jüdische Gemeinde der Bundesrepublik - und auch die Gemeinde, die in den vergangenen Jahren am häufigsten wegen internen Streitereien über Personalien und Geld in die Schlagzeilen geriet.

Bei der heutigen konstituierenden Sitzung des Gemeindeparlaments wird der Vorstand der Gemeinde gewählt, der dann die Vorsitzende bestimmt. Die Wahl von Lala Süsskind gilt als sicher. Von 1990 bis 2003 war die 61-Jährige Bundesvorsitzende der jüdisch-zionistischen Wohltätigkeitsorganisation Wizo.

Lala Süsskind: Werde ich doch gar nicht haben.

Nicht? Glauben Sie wirklich, das können Sie zukünftig vermeiden?

Wenn ich tatsächlich offiziell unterwegs bin, habe ich sie selbstverständlich. Und leider Gottes haben wir jetzt eine verschärfte Sicherheitsstufe. Da werde ich sagen: Okay, prima. Aber zu normaleren Zeiten, denke ich mal nicht, dass ich rund um die Uhr Bodyguards brauchen werde. Ganz einfach.

Aber auf den Chauffeur freuen Sie sich, haben Sie mal gesagt - das sei ein Kindertraum von Ihnen.

Ach, das wird so hoch gespielt! Manche sagen, deshalb macht sie das - also manche Menschen sind so dämlich. Sie glauben gar nicht, wie oft mir das schon aufs Butterbrot geschmiert wurde. Die Blöden sterben nicht aus.

Aber klar ist: Sie werden viel an Freiheit verlieren.

Freiheit würde ich gar nicht sagen. Ich werde sehr viel an Freizeit verlieren. Und verlieren - ich wusste ja, was auch mich zukommt. Und die Freizeit, die wir, also mein Wahlbündnis "Atid" und ich, haben, die geben wir ja gern, weil wir gesagt haben: Es ist unsere Gemeinde, und wir wollen sie nicht so dastehen lassen, wie sie in den letzten Jahren dastand.

Sie haben einmal betont, sie würden nie sagen: "Mein Staat ist Deutschland." Ist das nicht eine etwas problematische Aussage, weil Sie damit den Antisemiten in die Hände spielen, die ja immer unterstellen, Juden seien keine richtigen Deutsche und könnten dies auch nicht sein?

Das stört mich überhaupt nicht, was die Leute sagen, die mich sowieso nicht mögen. Das sagen wirklich Menschen, die Juden überhaupt nicht leiden mögen, obwohl sie sie gar nicht kennen. Wenn ich sage: Ich liebe mein Berlin, und das ist meine Stadt, ich lege mich für Berlin quer - ich denke, eine schönere Liebeserklärung kann man einer Stadt, die sich in Deutschland befindet, gar nicht machen.

Warum haben Sie so Probleme mit Deutschland?

Wissen Sie, ich habe nie in Deutschland gelebt, ich habe immer in Berlin gelebt. Berlin war jahrzehntelang eine Enklave, gehörte ja kaum zu Deutschland. Das war eine Welt für sich. Ich habe damit überhaupt keine Probleme, wenn ich weiterhin sage: Ich bin keine Deutsche, ich bin Berlinerin. Ich komme damit klar. Wenn viele andere nicht damit klar kommen sollten, ist es deren Problem und nicht mein Problem.

Ursprünglich wollten Sie ja den früheren Vizepräsidenten des Zentralrats der Juden in Deutschland, Michel Friedman, bewegen, für den Vorsitz der Gemeinde zu kandidieren. War das angesichts seines etwas ramponierten moralischen Rufes wegen seiner Kokain-Affäre eine gute Idee?

Ich glaube, ja. Wissen Sie, Macken haben wir alle, Fehler haben wir alle. Bei jedem kann man irgendetwas hervor kehren, was nicht 1.000-prozentig ist. Bei ihm selbstverständlich auch, und das ist sehr öffentlich geworden. Jeder wusste das. Aber schon vor dieser Angelegenheit, die ihm da widerfahren ist - oder die er sich natürlich selber eingebrockt hat -, haben ihn die Leute entweder geliebt oder gehasst. Und es ist egal, ob Sie nun jüdisch, katholisch, muslimisch, deutsch oder israelisch waren. Ich fand ihn gut, und ich finde ihn immer noch gut - ganz einfach, weil er ein hervorragender, intelligenter Mensch ist, der wirklich druckreif formulieren kann. Ich wäre glücklich, wenn wir etliche dieses Kalibers hätten, und nicht nur auf jüdischer, sondern auch auf nicht-jüdischer Seite. Deshalb war unser Team dafür, dass wir ihn haben wollen. Er hat auch sehr lange mit dem Gedanken gespielt. Aber sein Lebensmittelpunkt ist nun einmal Frankfurt. Sein Leben hat sich ja auch dadurch geändert, dass er sich verheiratet hat und einen tollen Sohn hat. Und den will er eben in Frankfurt aufwachsen sehen, und nicht nicht in Berlin. Das finde ich Schade!

Welche Idee haben Sie, wie Sie in Zukunft als Vorsitzende das Millionenloch im Gemeinde-Etat stopfen können? Haben Sie sich für die ersten 100 Tage schon etwas vorgenommen?

Wir müssen erst einmal schauen, was da ist und was nicht, um dann zu sehen, wo wir wirklich Einsparungen machen können. Einige Dinge sind uns schon aufgefallen.

Was ist Ihnen denn schon aufgefallen?

Nein, das werde ich jetzt noch nicht sagen, denn die Leute werden uns hassen. (lacht) Es geht ganz einfach nicht anders. Wenn wir weiter so wirtschaften, wie bisher gewirtschaftet wurde - jeder sagte, es ist ja noch etwas da, sollen sich doch die nächsten Vorstände damit abplagen -, dann können wir in spätestens zehn Jahren bankrott anmelden. Und dann gab es hier mal eine Jüdische Gemeinde. Das darf natürlich nicht sein.

Muss nicht generell die Abhängigkeit der Gemeinde von der öffentlichen Hand - 85 Prozent des 25-Millionen-Etats der Gemeinde kommen vom Land Berlin - verringert werden. Und wenn ja, wie?

Wissen Sie, ich fände es phantastisch, wenn wir uns total selbst ernähren könnten - können wir aber nicht. Wir haben zwar nur 12.000 Mitglieder, aber der Apparat, den wir schieben, ist der einer größeren Kleinstadt. Wir haben Schulen, wir haben einen Kindergarten, ein Altersheim, ein Pflegeheim, einen Jugendclub und und und. Das alles kostet unheimlich viel Geld. Das können wir nicht allein bestreiten, weil viele unserer Gemeindemitglieder relativ alt sind, sie zahlen keine Gemeindesteuern. Dazu kommen auch Sozialhilfe- oder Hartz-IV-Empfänger. In der Öffentlichkeit heißt es immer: die reichen Juden. Ich fände es wunderbar, wenn unsere Sozialhilfe-Empfänger tatsächlich reich wären. Dass uns der Senat unterstützt, dafür bin ich sehr dankbar. Das ist wahrscheinlich etwas, was wir nie, nie abwenden können, dass wir Unterstützung brauchen.

Ein großes Problem wird Sie als Gemeindevorsitzende wohl recht schnell belasten: Wie kann die Integration der russischsprachigen Zuwanderer - immerhin sind das etwa 80 Prozent der Gemeindemitglieder - verbessert werden?

Es gibt noch viel zu tun, aber ich glaube, solche Probleme lösen sich dann irgendwann auch von alleine, und wenn es nach einer Generation ist. Ich sage das recht flapsig, weil auch meine Eltern nach dem Krieg nach Berlin kamen, ohne die Sprache zu kennen - und eigentlich wollten sie auch nicht hier bleiben. Und Sie sehen: Es hat sich insofern gelöst, dass ich hier in die Schule ging, studiert habe und die Sprache gelernt habe. Bei meinen Kindern ist es genau so. Genauso wird es sich auch bei den jetztigen neuen Gemeindemitgliedern aus der früheren Sowjetunion lösen. Wir können nicht alles übers Bein brechen. Und schauen Sie sich doch mal, was die neuen Gemeindemitglieder investieren - oft erkennt man ja an den Namen, dass sie Zuwanderer sind. Zum Beispiel hat eine Gruppe von ihnen gerade den zweiten Platz in der Schach-Olympiade gemacht. Es sind Menschen, die sich wahnsinnig in bestimmten Bereichen engagieren. Und die einfach gut sind. Das ist etwas, was sehr positiv auf die Gemeinschaft zurückgreift. Da werden auch andere animiert, etwas zu tun.

Zum Abschluss: Werden Sie nun Russisch lernen?

Ich kann dreieinhalb Worte Russisch. Bis jetzt haben die mir gereicht. Wer hier lebt, wird selbstverständlich Deutsch lernen. Und wer etwas älter ist und mit mir sprechen will, für den habe ich selbstverständlich eine Dolmetscherin, einen Dolmetscher bei mir.

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