Warum Berliner Schüler schlecht lesen: "In vielen Familien gibt es gar keine Bücher"

Karola Klawuhn, Leiterin der Kreuzberger Lenau-Grundschule, hat mit Kindern aus bildungsfernen Familien täglich zu tun.

taz: Frau Klawuhn, in der Iglu-Studie ziehen Schüler nichtdeutscher Herkunft den Berliner Schnitt nach unten. Werden sie zu wenig gefördert?

Karola Klawuhn: Die Studie zeigt, dass die Schulen es offensichtlich nach wie vor nicht schaffen, diese Kinder ausreichend zu unterstützen. Um dieses Problem zu lösen, müsste man meiner Meinung nach aber viel früher ansetzen. Wenn man weiß, dass eine bildungsferne und arme Familie ein Kind bekommt, müsste man sofort mit der Förderung beginnen.

Auch an Ihrer Schule gibt es einen hohen Anteil von Kindern nichtdeutscher Herkunft.

Viele der Kinder haben bereits enorme Rückstände in der Entwicklung, wenn sie zu uns kommen. In der Schule müssen sie das alles aufarbeiten, eh sie so weit sind, andere Dinge aufnehmen zu können. Sie sind von Beginn an sozial benachteiligt.

Wie wirkt sich das auf das Lesevermögen aus, das bei der Iglu-Studie getestet wird?

In vielen Familien gibt es gar keine Bücher. Den Kindern wird nie vorgelesen. Manche Eltern sind Analphabeten, man kann das von ihnen also auch gar nicht verlangen. Wenn diese Kinder zu uns kommen, fehlen ihnen im Vergleich zu anderen 600 Vorlesestunden. Das können die Schulen gar nicht aufholen.

Die Lenau-Grundschule hat sich die Förderung der Lesekultur auf die Fahnen geschrieben. Was genau machen Sie?

Wir haben zum Beispiel rund 30 Lesepaten. Das sind Ehrenamtliche, die in Absprache mit den Klassenlehrern einzelne oder mehrere Kinder aus dem Unterricht holen. Sie lesen mit ihnen, sprechen über Bücher oder machen daraus kleine Theaterstücke. In den ersten und zweiten Klassen geben wir jedem Kind zudem für zwei bis drei Wochen einen Lesekoffer mit nach Hause. Da sind Bücher, Spiele und Hörbücher drin. Die Eltern und Geschwister sollen mit den kleinen Kindern zusammen diese Bücher lesen. So gelangt ein Stück Schule in die Familie. Oft sind auch Bücher in der Herkunftssprache der Kinder im Koffer.

Eine türkischstämmige Familie liest ein türkisches Buch?

Ja, das ist sehr wichtig. Wenn die Kinder ihre Muttersprache nicht beherrschen, lernen sie auch nicht so leicht Deutsch. Ihnen fehlen dann bestimmte Begriffe. Sie finden sich in keiner der beiden Sprachen zurecht.

Was gehört noch zur Leseförderung an Ihrer Schule?

Wir haben die Bücherei von einem auf zwei Räume ausgeweitet. Dort veranstalten wir einmal im Monat auch ein Müttercafé. Die Bibliotheksfachkraft stellt den Müttern Bücher vor, als Anregung. In allen Klassen stehen vor den Ferien außerdem Lesekisten. Die Kinder suchen sich mithilfe des Lehrers ein passendes Buch aus. Nach den Ferien präsentieren sie der Klasse eine kurze Zusammenfassung und erzählen ihre Lieblingsstellen.

Haben Sie evaluiert, ob diese Dinge das Lesevermögen der Kinder tatsächlich verbessern?

Wir sind davon überzeugt. Die Bücherei hat einen enormen Zulauf. Die Zahl der Ausleihen hat sich in den vergangenen Jahren verzehnfacht.

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