Industriestandort Berlin: "Industrie und Unis sind zu wenig vernetzt"

Berlin ist attraktiv für Firmen, die vor allem für den Export produzieren, sagt Frank Becker, Geschäftsführer des Chemieunternehmens Collonil. Denn die Kunden kämen gerne hierher. Doch beim Wissenstransfer hapere es.

Berlin, ein attraktiver Ort für die Chemie? Bild: DPA

taz: Herr Becker, Sie sind seit 1998 Geschäftsführer des Chemieunternehmens Collonil. Schon mal an Umzug gedacht?

Frank Becker: Ja natürlich. Sie müssen sich ja ständig überlegen, wie Sie Ihr Unternehmen so effizient organisieren, dass Sie überleben können. Aber wir haben es über die Jahre gut hingekriegt, uns so aufzustellen, dass wir auch am Standort Berlin wettbewerbsfähig sind. Aber überlegen tut man immer, Nibelungentreue gibt es nicht.

Was kann Berlin Ihrer Firma bieten, damit sie bleibt?

Berlin ist eine tolle Stadt. Das ist für uns deshalb ein wichtiger Punkt, weil wir einen hohen Exportanteil haben. Mehr als 60 Prozent unseres Umsatzes geht in den Export, und es ist immer sehr schön für unsere Partner, in diese Stadt zu kommen, weil sie ihnen so viel bietet.

Es gibt auch negative Seiten. Bekommen Sie den Fachkräftemangel zu spüren?

Bisher haben wir noch die Mitarbeiter gefunden, die wir brauchten. Aber die Suche wird von Jahr zu Jahr schwieriger. Das ist ein Problem, das kann man nicht schönreden. Vielleicht ist es in Berlin weniger stark ausgeprägt als in anderen Teilen Deutschlands, wo die Arbeitslosigkeit geringer ist.

Ist da eine Lösung in Sicht?

Was stärker gefördert werden sollte, ist die Wiederintegration von älteren Arbeitnehmern. Das ist nicht nur Sache des Landes Berlin, sondern etwas Grundsätzliches. Da liegt so viel Fachwissen brach. Das ist zwar ein sehr komplexes Thema, richtiger Industrie-Hardcore, aber ich denke, durch Förderprogramme und mit einer guten Lohnpolitik könnte man viel erreichen.

Andererseits warten zwei Drittel der Schulabgänger auf einen Ausbildungsplatz.

Die Zahl erscheint mir sehr hoch. Aber ich kann sagen, dass nicht nur wir, sondern alle ausbildenden Betriebe der chemischen Industrie von Jahr zu Jahr größere Probleme haben, qualifizierte Auszubildende zu bekommen. Es ist nicht so sehr eine Frage der Unternehmen, mehr Ausbildungsplätze zur Verfügung zu stellen - das Schulsystem Berlins ist vielleicht nicht ganz so klasse.

Welche Qualifikationen fehlen denn?

Ein Schulabschluss allein reicht heute für einen Ausbildungsplatz nicht aus. In Tests haben die Jungs und Mädchen zum Teil erschreckende Kenntnisse in Rechtschreibung oder simpler Mathematik, ganz zu schweigen von den Naturwissenschaften. Ich glaube, man tut den jungen Menschen keinen Gefallen, wenn sich die Politik so wenig um die Bildung kümmert.

Und wie gut ist die Vernetzung der Industriebetriebe mit den Universitäten?

Da muss man sich selbst sehr stark engagieren, sonst läuft gar nichts. Unternehmerverbände haben die Tendenz, alles schlechtzureden, aber selbst nicht sehr aktiv zu sein. Der Senat dagegen muss verstehen, dass Berlin nicht nur von Dienstleistung lebt, sondern auch von Forschung, Entwicklung und Produktion in den Unternehmen. Die brauchen Innovationen. Und es gibt doch klasse Universitäten in der Stadt.

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