Berlin soll kabellos ins Netz: Internet liegt in der Luft

Guten Datenverkehr für alle Berliner verspricht der "Freifunk". Und die SPD will das Stadtzentrum mit Hotspots pflastern.

Die erste E-Mail des Tages schreibt Martin Jordan meist in der U-Bahn. Schon beim Hinsetzen zieht er sein internetfähiges Handy aus der Tasche und klappt es auf. Mit flinken Fingern tippt er seine elektronische Post in die winzige Tastatur.

Jordan studiert Grafikdesign an der FH Potsdam. Die Mails, die er in der Bahn schreibt, versendet er über ein WLAN, ein Funknetz, das mobilen Rechnern oder Telefonen den Zugang zum Internet ermöglicht. "Meistens nutze ich das Netz eines Cafés auf meinem Weg", sagt Jordan. Dabei sieht er auch schnell mal in seinen Posteingang, sucht die Adresse der Galerie, wo am Abend eine Ausstellung stattfindet, oder informiert sich über Zugverbindungen.

Informationen, immer und überall: Das wäe doch auch was für Touristen, hat man sich bei der Berliner SPD gedacht - und die Idee einer Internetplattform entwickelt, die innerhalb des S-Bahn-Rings für jedermann gratis und drahtlos verfügbar ist. Das Projekt war Bestandteil des Leitantrags, den der SPD-Parteitag Mitte November beschlossen hat. Auch die Wirtschaft will die Partei damit ankurbeln: "Das wäre ein neuer Impuls", sagt SPD-Sprecher Hannes Hönemann. "Softwarefirmen könnten sich ansiedeln, neue Arbeitsplätze würden entstehen". Über die Umsetzung habe man sich noch keine genauen Gedanken gemacht. "Natürlich müssen wir berücksichtigen, was technisch möglich ist", so Hönemann, "Aber wir erwarten, dass jeder etwas von einer solchen Innovation hätte".

In der Tat bietet öffentliches WLAN mehr als die unkomplizierte Abfrage des Kinoprogramms. Ganze Büros werden mit Hilfe dieser Netze mobil. Ob im Café oder am Flughafen - an immer mehr Orten sieht man Leute wie Jordan mit einem Rechner auf dem Schoß oder mit einer Mini-Tastatur, die sie an das Mobiltelefon gestöpselt haben. Sie arbeiten, informieren sich, vertreiben sich die Zeit. Oder sie telefonieren per Internet. Mit VoIP (Voice over Internet Protocol) wird Sprache im Datennetz übertragen. Allein der populäre VoIP-Anbieter Skype meldet schon über 100 Millionen registrtierte Nutzer. Wer mit dieser Software von Rechner zu Rechner telefoniert, muss nichts bezahlen. Und dank Webcams ist für viele auch das Videotelefonieren längst selbstverständlich.

Richtig zufrieden ist Martin Jordan mit den Berliner Funknetzwerken aber nicht: "Offene Netze sind hier im Vergleich zu anderen Ländern viel seltener". Das kann jeder selbst ausprobieren: Läuft man mit einem WLAN-fähigen Handy durch die Stadt, meldet das Telefon zwar ständig Netze, aber die wenigsten sind offen, sprich: für jeden nutzbar. Denn bei der Einrichtung eines Netzwerks im eigenen Zuhause gehört für die meisten das Einstellen eines Passworts zu den ersten Amtshandlungen: aus Angst vor neugierigen Blicken, Hackern oder Viren.

Martin Jordan muss also oft eine Weile suchen, bis er unterwegs ein Netz für seine Zwecke findet. Glücklicherweise gehört kostenloses WLAN mittlerweile zum Service vieler Cafés. Jedenfalls fast: Das von der "digitalen Bohéme" bevölkerte "St. Oberholz" am Rosenthaler Platz in Mitte erbittet sich als Gegenleistung alle halbe Stunde den Kauf eines Getränks, das "Manolo" an der Eberswalder Straße gibt den Code erst frei, wenn man etwas bestellt. Technisch betrachtet bedienen sich mehrere Leute in diesen Cafés eines einzigen Internet-Zugangs und teilen sich die anfallenden Kosten.

Warum so wenig Berliner dieses Konzept privat übernehmen, fragt sich Jürgen Neumann. Er ist Mitinitiator von "Freifunk", einer Initiative, die 2002 bei einem Workshop über freie drahtlose Bürgernetze entstand. Was die Handvoll WLAN-Interessierter damals ärgerte, hat sich bis heute nicht grundlegend geändert: Ausgedehnte Gebiete in Berlin sind vom Breitbandinternet abgeschnitten. Auch 2008 kann man etwa in Hohenschönhausen keine Daten per DSL empfangen oder übertragen. Die Freifunker suchten also eine "technologisch und sozial verträgliche Lösung", um "Internet dahin zu bringen, wo es bisher kein Internet gibt".

Das Prinzip: Viele Nutzer teilen sich einen DSL-Anschluss, der räumlich auch etwas weiter weg sein kann. Der einzelne Haushalt kauft sich für 50 Euro einen "Access Point". Dieser spezielle Router verbindet sich über eine kleine Antenne mit anderen Access Points in der Nähe und bahnt sich so den Weg ins Netz. In Hohenschönhausen tun dies über 500 Haushalte. Ein Problem gibt es: Je mehr Menschen sich einen Anschluss "teilen", desto langsamer wird die Verbindung. "Aber wenn ihnen die Bandbreite nicht mehr reicht, kümmern sich die Leute meistens selbst um neue DSL-Anschlüsse", weiß Freifunker Neumann.

Derzeit deckt Freifunk etwa 10 Prozent der Berliner Fläche ab. Das ermöglicht 350.000 Menschen einen Netzzugang - theoretisch. Wie viele es wirklich sind, wissen die Betreiber nicht genau. Für sie steht aber nicht allein das "Internet für jeden" im Vordergrund, auch die soziale Komponente spielt eine wichtige Rolle: "Die Leute machen was zusammen, bauen sich ihr eigenes Netz und können kostenlos Daten untereinander austauschen".

Neumann glaubt, dass sich das Freifunk-Modell gut auf die ganze Stadt anwenden ließe: Die Einrichtung und Wartung unzähliger Hotspots im öffentlichen Raum wäre dagegen mit enormen Kosten verbunden. In Form einer Private-Public-Partnership könnte sich Neumann ein flächendeckendes Netz aber gut vorstellen: "Die Stadt könnte mit Unterstützung öffentlicher Zugänge ein Signal setzen. Bezuschusst würde dies durch die Wirtschaft, die Bürger müssten sich nur Access Points kaufen".

Bis jetzt zeigt die Politik aus Sicht der Freifunker zu wenig Kooperationsbereitschaft. "Verschiedene Stiftungen, auch Kirchen arbeiten schon gut mit uns zusammen. Die stellen uns ihre Kirchtürme für Sender zur Verfügung", so Neumann. Auf seiner Wunschliste stehen Schulen und Büchereien. Die könnten Access Points auf ihren Dächern installieren. So ermögliche man den BewohnerInnen der Stadt einen besseren Zugang zu Informationen und Vernetzung.

Ohne ein offenes WLAN hätte Martin Jordan sein letztes WG-Zimmer vielleicht nicht bekommen: "Ich stand nachts in der Kälte herum, und fand dann einen neuen Eintrag bei einer Wohnungsbörse. Fünf Sekunden später verschickte ich eine nette SMS, 30 Sekunden später hatte ich meine zukünftige Mitbewohnerin am Ohr, 25 Minuten später stand ich in der Wohnung."

So schnell ist die SPD nicht: "Die Konkretisierung unserer Vorstellungen braucht noch drei bis vier Monate", sagt SPD-Sprecher Hönemann, "wir sind noch im Ideenstadium." In Bezug auf die Kosten könne man sich aber gut eine Kooperationen vorstellen. Auch das "Berlin-Portal" - nur dieses wäre nach den Plänen gratis abrufbar - soll über Sponsoring finanziert werden. Es soll Fahrpläne, Kulturtermine und Nachrichten anbieten. "Vor allem Touristen sollen diesen Service nutzen und sehen, dass eine hohe Technikaffinität typisch ist für unsere Stadt", so Hönemann.

Dafür haben die Freifunker nur ein müdes Lächeln übrig: Wenn Berlin im Wettbewerb der Metropolen mithalten wolle, so Jürgen Neumann, müsse erst einmal Breitband für alle her. Dass es immer noch DSL-freie Gebiete gebe, sei lächerlich.

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