Früherkennung von Erziehungsfehlern: Kinderärzte sollen Eltern kontrollieren

Um Misshandlungen und Vernachlässigung zu entdecken, sollen alle Eltern verbindlich zu Früherkennungsuntersuchungen eingeladen werden.

Hier ist zum Glück alles in Ordnung Bild: AP

Eltern, die mit ihren Kindern nicht regelmäßig zum Kinderarzt gehen, sollen Besuch vom Jugendamt bekommen. Nach Plänen von Gesundheitssenatorin Katrin Lompscher (Linke) werden alle Eltern mit Vorschulkindern künftig verbindliche Einladungen zu den Früherkennungsuntersuchungen erhalten. Kommen sie diesen nicht nach, folgt eine Mahnung, und danach klingeln die MitarbeiterInnen des Jugendamtes. Sozialsenatorin Heidi-Knake Werner (Linke) ist mittlerweile ebenfalls für verpflichtende Untersuchungen. "Das ist ein weiterer wichtiger Baustein zum Kinderschutz", sagte sie der taz. Auch Grüne, SPD und CDU wollen die sogenannten Us zum Frühwarnsystem ausbauen.

Der Anteil vernachlässigter und misshandelter Kinder ist in Berlin höher als in jedem anderen Bundesland. Im November meldeten Nachbarn innerhalb einer Woche vier Fälle bei der Polizei. Knake-Werner sieht das auch als positives Zeichen "gestiegener sozialer Kontrolle".

Bei den neun Früherkennungsuntersuchungen vom ersten Lebenstag bis zum fünften Lebensjahr prüfen die Ärzte, ob sich die Kinder gesund entwickelt. Stellen sie Anzeichen von Misshandlungen oder Vernachlässigung fest, sind sie bereits jetzt verpflichtet, dies zu melden. Eine generelle Vorschrift für die Eltern, beim Arzt zu erscheinen, gibt es jedoch nicht. Fast 100 Prozent der Kinder nehmen nach Senatsangaben an der U1 bis U6 im ersten Lebensjahr teil. Dann jedoch sinkt die Quote: Der letzten Untersuchung, der U9, ein Jahr vor Schulbeginn, bleibt ein Fünftel der Eltern fern, in der unteren sozialen Schicht wird sogar jedes vierte Kind nicht mehr dem Kinderarzt vorgestellt.

Nach dem Willen der Gesundheitssenatorin sollen die Kinderärzte diese Kinder an eine neue zentrale Kontrollstelle melden, die die Daten aller Vorschulkinder speichert und die Säumigen anschreibt. Eine ähnliche Stelle gibt es bereits im Saarland. Rund 600.000 Euro dafür wurden im Doppelhaushalt 2008/09 eingestellt.

Lompscher wird voraussichtlich Ende März im Senat alle Details des "verbindlichen Einladewesens" bekannt geben. Nach Ansicht Lompschers seien positive Anreize jedoch wichtiger als Strafen. Sie könne sich zum Beispiel eine Art Bonusheft für regelmäßige Teilnahme vorstellen.

Die SPD unterstützt den Koalitionspartner: "Wir wollen so viel Verbindlichkeit wie möglich", sagte die familienpolitische Sprecherin Sanda Scheeres. Die Grünen sind ebenfalls dafür, Eltern mehr Druck zu machen: "Wir wollen aber keine 100-prozentige Überwachung, damit ließen sich Kindstötungen auch nicht verhindern", so die jugendpolitische Sprecherin Elfie Jantzen im Hinblick auf die aktuellen Fälle in Plauen und Darry.

Der CDU gehen die verbindlichen Einladungen jedoch nicht weit genug: "Das kann nur ein erster Schritt sein, entscheidend sind Sanktionen für diejenigen, die Untersuchungen fernbleiben", so Gesundheitsexperte Mario Czaja. Ausnahmslos alle Kinder müssten erreicht werden, um die Problemgruppe der verwahrlosten Kinder rechtzeitig aus den Haushalten zu holen.

Kinderärzte sehen ihre neue Aufpasserrolle kritisch. "Wir sind bereit mitzuarbeiten, doch wir wollen keine Wächterfunktion, während der öffentliche Gesundheitsdienst immer weiter heruntergefahren wird", so ein Sprecher der Ärztekammer.

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