Hartz IV: Kleiner Ausflug in die Welt des Profiling

Das Jobcenter Friedrichshain-Kreuzberg hat gemeinsam mit einem Privatinstitut ein Modellprojekt zur Reintegration von Hartz-IV-Empfängern gestartet.

Verloren im Dschungel der Arbeitslosigkeit: junge Frau bei der Jobrecherche Bild: Reuters

An einen exquisiten Ort bin ich gelandet für meine Trainingsmaßnahme "Profiling und Aktivierung zur beruflichen Eingliederung" - mitten in der Stadt in einem imposanten Gebäudekomplex mit Glasfassade. Ein beauftragtes Privatinstitut führt hier für das Jobcenter Friedrichshain-Kreuzberg die Maßnahme durch. Vom Seminarraum im vierten Stock des Gebäudes aus kann ich den Zügen und S-Bahnen bei der Durchfahrt durch den Bahnhof zusehen. An den Wänden hängt abstrakte Kunst. "Wir vermitteln und beraten motivierte Damen und Herren für Beruf, Karriere und persönliche Lebensziele", heißt es auf der Internetseite des Instituts. Doch freiwillig kommt kaum einer hierher.

Auch ich würde lieber meine Zeit für Bewerbungen nutzen: Schließlich bin ich seit fast einem Jahr mit der Uni fertig, habe ein Diplom in Kulturwissenschaften und mehrere Praktika in Medien- und Kulturbetrieben in der Tasche. Dass mich das Jobcenter schon nach zwei Wochen in eine Schulung steckt, wäre mir im Traum nicht eingefallen.

Bei Zarina Petrova* ging es noch schneller. "Ich habe am Freitag Arbeitslosengeld beantragt, und am Montag bin ich hier gelandet", erzählt sie mir kopfschüttelnd. Die 36-jährige Bulgarin ist freie Künstlerin, hat in Sofia und Hamburg Angewandte Kunst studiert und lebt seit über fünf Jahren in Berlin. Dass sie durch den Kurs ihre Chancen auf eine feste Arbeitsstelle verbessern wird, bezweifelt sie.

Fünfzehn Teilnehmer hat das Jobcenter Friedrichshain-Kreuzberg dem Kurs zugeteilt. Drei tauchen gar nicht auf, der Rest ist bunt zusammengewürfelt: vom ehemaligen BVG-Angestellten bis zum frisch gebackenen Hochschulabsolventen. Einziges Auswahlkriterium: Die Teilnehmer dürfen innerhalb der letzten zwei Jahre kein Arbeitslosengeld II bezogen haben. Der Kurs ist ein Modellprojekt von Jobcenter und Institut. Inhalte der Kurse sind laut Institut die Eignungsfeststellung der Erwerbslosen - auch "Profiling" genannt - sowie die Motivierung der Arbeitssuche. Am Ende soll eine Vermittlungsempfehlung für das Jobcenter stehen.

"In meinem letzten Kurs waren nur Hochschulabgänger, die direkt aus der Uni kamen", erzählt uns Seminarleiter Michael Peters*. Der 56-Jährige ist gelernter Elektriker und hat lange selbstständig gearbeitet, bevor er arbeitslos wurde und eine Weiterbildung zum Motivationstrainer gemacht hat. "Ich halte es für wesentlich sinnvoller, nur diejenigen in den Kurs zu schicken, die bereits negative Erfahrungen bei der Arbeitssuche gemacht haben und einen Motivationsschub brauchen", sagt er.

Doch die bürokratische Praxis des Jobcenters sieht anders aus. Nach dem Prinzip des "Förderns und Forderns" sollen möglichst viele Erwerbslose unabhängig von Alter, Herkunft und Bildungsgrad in sogenannten Trainingsmaßnahmen untergebracht werden. "Und das nur, um die Statistik zu schönen", höhnt Martin Maric*, einer der Hochschulabgänger der Gruppe. Denn wer an einer Maßnahme der Jobcenter und Arbeitsagenturen teilnimmt, wird offiziell nicht als Arbeitsloser ausgewiesen, da man als in Schulung befindlich nicht vermittelbar ist. Das ist den Jobcentern pro Teilnehmer mehrere hundert Euro wert, die sie an die zuständigen Träger zahlen.

Der 27-jährige Maric fängt in wenigen Wochen ein Praktikum in einem Geschichtsinstitut an, muss den Kurs aber dennoch bis zum Ende besuchen. Motivation für die Jobsuche fehle ihm nicht, und seine Bewerbungen immer erst am Abend zu schreiben sei ganz schön nervig. Denn die Maßnahme dauert nicht nur drei Wochen, sie nimmt auch über die Hälfte des Tages in Anspruch.

Dementsprechend leert sich der Kurs im Laufe der Zeit kontinuierlich. Einige bleiben ganz weg, andere lassen sich kurzzeitig krankschreiben oder trudeln erst zur Mittagspause ein. Für Seminarleiter Peters ist das okay. "Ich will nicht derjenige sein, der euch am Bewerben hindert", sagt er. Uns Anwesende versucht er mit Fragebögen, Persönlichkeitstests und Ausflügen zum Berufsinformationszentrum dennoch zur Arbeitssuche zu motivieren.

Auch eine sogenannte Arbeitserprobung in einem Betrieb unserer Wahl zum Programm. Für mindestens zwei Tage soll jeder Teilnehmer ein Kurzpraktikum absolvieren. Auf meinen Einwand, dass ich über das Arbeitsamt auf keinen Fall bei meinem Wunschunternehmen probearbeiten möchte, kann mir der Seminarleiter auch nur vorschlagen, eben ein Unternehmen zu suchen, in dem ich nicht arbeiten möchte. Denn ihm ist natürlich auch klar, dass es insbesondere bei Hochschulabgängern keinen sonderlich positiven Eindruck macht, wenn man sich bei seinem zukünftigen Arbeitgeber als Hartz-IV-Empfänger outet. "Aber ich muss dem Jobcenter eben Ergebnisse liefern", sagt er entschuldigend. Und nimmt es den Teilnehmern nicht krumm, dass sie ihr Praktikum von Bekannten bescheinigen lassen, um die Zeit konstruktiver zu nutzen.

Diese Loyalität seinen "Schülern" gegenüber ist dann auch schließlich für das gute Arbeitsklima in der Gruppe verantwortlich, das den Kurs zu einer weniger frustrierenden Angelegenheit macht als ich befürchtet hatte. "Mir haben die drei Wochen gutgetan", stellt etwa Muhammad Mazari* zufrieden fest. Seit 20 Jahren bei der BVG zur Baustellensicherung angestellt, will er sich nun als Kraftfahrer versuchen. Mithilfe der anderen Teilnehmer hat er während des Kurses Bewerbungen geschrieben. Und obendrein ein paar Freunde gefunden.

Auch Marc Grothe* ist zufrieden. Der gelernte Konstruktionsmechaniker ist gerade mit seinem Studium der Theater- und Veranstaltungstechnik fertig und hat in den letzten Tagen gemeinsam mit Maric seinen Lebenslauf überarbeitet und fünf Bewerbungen rausgeschickt. "Zu Hause wäre ich nicht so diszipliniert gewesen", grinst er. Außerdem habe er noch nie für 1,50 Euro ein so leckeres Drei-Gänge-Menü gehabt.

Tatsächlich ist die hausinterne Ausbildung zu Koch und Servicepersonal ein innovatives Konzept des Instituts. In einem zum Edelrestaurant umgebauten Seminarraum dürfen sich die Kursteilnehmer verköstigen lassen und Essen sowie Service per Bewertungsbogen benoten. So habe auch ich in diesen drei Wochen lang nicht nur viel Zeit verplempert, sondern interessante Menschen kennengelernt und obendrein unverschämt günstig zu Mittag gegessen.

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