Pro & Contra Stadtlärm: Laut und leise

Wer in der Stadt wohnt, muss Lärm ertragen, meint Gereon Asmuth. Dauelärm macht krank, entgegnet Waltraud Schwab

PRO STADTSOUND: GEREON ASMUTH

Das Leben ist laut, nicht leise

Wenn morgens um sechs Markthändler ihre Stände unter dem Schlafzimmerfenster aufbauen, kann einem das auf den Wecker gehen. Kein Wunder, dass Anwohner Protestgeheul anstimmen. Und? Muss man den Lärm aushalten? Das Klappern der Händler immer, das Geschrei der Nachbarn nimmer.

Denn egal ob am Kollwitzplatz, am Mauerpark oder an der Admiralsbrücke in Kreuzberg: Die Anwohner unterliegen einem groben Irrtum. Zwar wohnen sie an äußerst attraktiven Flecken der Stadt. Doch die sind keinesfalls ihre privaten Vorgärten. Gerade Menschen, denen ein schöner Ausblick vom Balkon nicht vergönnt ist, kommen gern vorbei. Und deshalb rauschen dort auch nicht nur die Blätter in den Bäumen.

Kein Mensch, der an der Schönhauser Allee oder am Kottbusser Damm wohnt, käme auf die Idee, die Autos dort zu verbannen. Diese Strecken sind für Pkw-Fahrer attraktiv. Wer den Verkehrslärm nicht mehr hören will, muss umziehen. Zumindest ins Hinterhaus, auch wenn die Aussicht dort nicht so schön ist.

Das Gleiche gilt für öffentliche Parks und Plätze. Sie sind - viel mehr noch als Straßen - eine echte Attraktion Berlins. Sie machen das Leben hier erst lebenswert. Und Leben ist laut, nicht leise. Wer das nicht hören will, muss sich einen anderen Schlafplatz suchen. Zum Beispiel in einem Zimmer nach hinten raus.

Leben in der Großstadt ist fast immer ein Kompromiss. Ruhiges Wohnen oder quirliges Leben. Man muss - und man kann sich entscheiden.

CONTRA KRACH: WALTRAUD SCHWAB

Dauerkrach macht krank

Verkehrslärm, Baulärm, Fluglärm - wer in Großstädten lebt, ist in der Regel Dauerkrach ausgesetzt, selbst ohne es zu merken. Dauerlärm aber macht krank.

Das Hickhack um den Kollwitzplatz muss im Kontext der Lärmverschmutzung gelesen werden und nicht als Spinnerei der Kiezbourgeoisie. Denn Lärm ist eines der größten Umweltprobleme in Berlin. Der Senat weiß das. Der EU ist das Problem ebenso bekannt. Sie verlangte von ihren Mitgliedstaaten, dass sie Lärmkarten erstellen. Berlin hat diese formale Forderung 2007 erfüllt. Ruhiger geworden ist es trotzdem nicht.

Verwunderlich nur, dass viele Stadtmenschen vor allem empfindlich reagieren auf etwas, was hier schöner Lärm genannt werden soll: Kinderspielplatzgekreisch, Straßenmusik, Marktplatzgeschrei. Dagegen beraumen die Lärmgeplagten runde Tische an, dagegen gehen sie gerichtlich vor. Und bekommen nicht selten Recht.

Die Frage aber ist, warum gehen Geplagte gegen schönen Lärm vor und nicht gegen Bau-, Straßen- oder Fluglärm? Die Antwort: Weil schöner Lärm das Fass zum Überlaufen bringt, sie gegen schrecklichen Lärm aber selten was ausrichten können. Er dient dem Allgemeinwohl. Deshalb dürfen Autos immer fahren, bekommen Bauvorhaben Ausnahmegenehmigungen, darf der TXL-Fluglärm ungestraft 250.000 Leuten in Berlin die Nerven zerrütten. Die Meckerer vom Kollwitzplatz müssen die Allgemeinwohl-Lüge entlarven. Dann hat ihr Protest Hand und Fuß.

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Leiter des Regie-Ressorts, das die zentrale Planung der taz-Themen für Online und Print koordiniert. Seit 1995 bei der taz als Autor, CvD und ab 2005 Leiter der Berlin-Redaktion. 2012 bis 2019 Leiter der taz.eins-Redaktion, die die ersten fünf Seiten der gedruckten taz produziert. Hat in Bochum, Berlin und Barcelona Wirtschaft, Gesellschafts- und Wirtschaftskommunikation und ein wenig Kunst studiert. Mehr unter gereonasmuth.de. Twitter: @gereonas Mastodon: @gereonas@social.anoxinon.de Foto: Anke Phoebe Peters

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