Staatsbibliothek: Leise rauscht's im Lesesaal

Die "Stabi" am Potsdamer Platz ist eine Welt für sich - für manche ist sie jahrelang der Lebensmittelpunkt.

Bücher über Bücher - mancher vergräbt sich auf Jahre darin. Bild: AP

Ganz hinten im Saal, sehr nah bei der Literaturgeschichte der USA, sitzt ein Mann mit verschränkten Armen an einem Tisch und schläft. Er ist ganz in Schwarz gekleidet, graue Bartstoppeln im Gesicht. Sein Kopf ruht auf der Brust. In einem Buch vor ihm liegt ein Stift.

Es rauscht leise im Lesesaal der Staatsbibliothek am Potsdamer Platz. Gelegentlich nur: Tütenknistern, Blättern, Räuspern, Husten, manchmal Hosenbeine, die beim Gehen aneinanderschleifen. Schritte auf dem grünspangrünen Teppich. Draußen läuten Kirchenglocken. Gar nicht so nah, aber sie sind deutlich zu hören. Der Mann in Schwarz macht die Augen auf, nimmt seinen Stift und schaut in sein Buch.

Ein sehr spezielles Rauschen liegt über dieser weiten Regallandschaft. Vielleicht, sagt Thomas Schmieder-Jappe, mache das die Faszination aus. "Eine ruhige Arbeitsatmo, obwohl es ein offener Raum ist." Schmieder-Jappe, Anfang 50, Flanellhemd, Jeans, 20 Jahre Bibliothek-Erfahrung, ist dafür zuständig, die Faszination zu bewahren. Er leitet den Lesesaal.

Als dieses Gebäude am Potsdamer Platz vom Architekten Hans Scharoun Ende der 1960er entworfen und 1978 von dessen Mitarbeiter Edgar Wisniewski vollendet wurde, war es nicht als Studentenbibliothek gedacht. Es hat sich dann aber zügig zu einer entwickelt. Tausende Diplom- und Magisterarbeiten sind hier entstanden, hunderte Bachelor- oder Masterpapiere vorbereitet worden. Obwohl es keine Lehrbuchsammlung gibt und jedes Buch nur einmal vorhanden ist. Die Staatsbibliothek ist für Studenten eigentlich gar nicht geeignet. Sie kommen trotzdem.

Thomas Schmieder-Jappe muss aufpassen, dass zwei andere Parteien darunter nicht leiden: die älteren Stammnutzer und die Bücher. Es gibt also klare Regeln. Seit 7. Februar 2005 etwa gilt: Handy ausschalten. Zuwiderhandlung wird mit Benutzungsverbot bestraft. Am Eingang steht außerdem ein Wachmann in hellblauem Uniformhemd. "Präsenz zeigen", sagt Schmieder-Jappe. Gelegentlich läuft der Security-Mann durch den Saal, um zu verhindern, dass jemand "illegal mitgebrachte Lebensmittel am Arbeitsplatz ausbreitet". Es sollen auch schon Leute gebeten worden sein, ihre Schuhe wieder anzuziehen.

Die Regeln dienen dem Buch, und das Buch dient dem Benutzer. Schmieder-Jappe dient beiden, sehr freundlich und mit Witz. Der Wachmann, die Kontrollen, das sei kein "Ausdruck von Repression". Sie müssten, sagt er, vor allem deshalb so gut aufpassen, weil es sich eben um eine Ein-Stück-Bibliothek handle. Wenn jemand auf die Idee kommt, sich einige Seiten aus einem Buch herausreißen zu müssen, dann werden die noch in hundert Jahren fehlen. Außer, Schmieder-Jappe erwischt ihn. Auch das ist ihm schon gelungen.

Wenn die Studenten zu viel Lärm machen, beschweren sich die Stammnutzer bei ihm. Und wenn er nichts dagegen unternimmt, beschweren sie sich irgendwann auch über ihn, ganz oben. Das würde Schmieder-Jappe gern vermeiden. "Alles im Sinne des Nutzers", heißt einer seiner Slogans. Viele Stammnutzer kennt er schon lange. Er entscheidet über ihre Anträge auf die Sonderplätze, die Dauerschließfächer, weiß Namen und die Titel der Forschungsprojekte.

Manche, sagt er, hätten für einige Jahre ihren Lebensmittelpunkt in der Bibliothek. Wenn sie Dissertationen oder Habilitationen vorbereiten. Gelegentlich kommen sie und beschweren sich, dass nebenan einer mit dem Stift klickt, mit dem Gesicht zuckt oder nach komischem Aftershave riecht. "Machen Sie was dagegen", fordern die Leute. "Kann ich nicht", sagt er dann. "Wir sind ja keine pädagogische Anstalt." Und doch, sagt Schmieder-Jappe: "Bibliotheken sind konservative Einrichtungen."

In der Cafeteria erzählt Hauke Benner, dass sie keine Chefs mehr haben wollten damals, Ende der Siebziger, und keine Hierarchisierung, auch keine hierarchische Bezahlung. Benner ist Ende 50, er war mal Lehrer, dann Journalist, auch bei der taz, seit Mitte der Achtziger arbeitet er im selbst verwalteten Copy-Shop, direkt an den Treppen zum Lesesaal. Er wird nach Stunden bezahlt, wie alle anderen, radikaldemokratisch. Über neue Anschaffungen, über Preise und Dienstpläne stimmen sie alle zusammen ab. Benner verdient so viel, dass er davon leben kann und Zeit hat, sich um wichtigere Dinge zu kümmern. Manchmal sitzt er im Lesesaal und liest wissenschaftliche Aufsätze.

Das Rumoren der Kopierer stört die Ruhe der Staatsbibliothek kaum. Nur die Durchsuchung vor gut zwei Jahren hat ein wenig für Aufsehen gesorgt. Das BKA kam und stellte Rechner sicher. Es lief ein Verfahren gegen Benner, Paragraf 129 a, Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung. Er weiß immer noch nicht so genau, warum. Einige von ihnen wollten zum G-8-Gipfel fahren, um zu demonstrieren. Vielleicht lag es daran. Ziemlich an den Haaren herbeigezogen sei das gewesen. Das Verfahren wurde auch schnell wieder eingestellt.

Progressive Elemente

Das BKA habe sich recht korrekt verhalten, sagt Benner. Sie haben nicht mehr Lärm gemacht als nötig in den Räumen der Staatsbibliothek. Nur manche Drucker waren wochenlang weg. Immerhin: Benner und die Kollegen wurden nicht rausgeschmissen. Sie sind die progressiven Elemente der konservativen Einrichtung.

Aber konservativ, sagt der Lesesaal-Leiter Schmieder-Jappe, bedeute ohnehin vor allem: das Kulturgut Buch bewahren. Wenn es um die Informationsvermittlung gehe, müssten sie höchst innovativ sein, zutiefst fortschrittlich. So können Nutzer des Lesesaals seit Ende August endlich drahtlos ins Netz gehen. Davor mussten sie sich für einen Internetarbeitsplatz anstellen, ihre Notebooks blieben offline.

In vielen anderen Bibliotheken ist WLAN dagegen schon seit Jahren Standard. Manche Studenten machen sich deswegen auch gern über die Schreibmaschine im Foyer lustig. Damit müssen die Scheine für Fernleihen ausgefüllt werden. Es erscheint ihnen als ein treffendes Bild für den Innovationswillen der trägen Staatsbibliothek. Aber digitale Fernleihe geht noch nicht. Auch das soll kommen. Es müsse alles sorgfältig geplant werden, sagt Schmieder-Jappe, "weil wir Millionenbestände haben und täglich zigtausende Kunden". 51.925 Nutzer haben sich 2008 einen Stabi-Ausweis gekauft und betraten 1,513 Millionen Mal die Lesesäle. Täglich werden 4.000 Bücher ausgeliehen, hunderte kommen zurück.

Aber nicht ohne Bernd Vermum. "Wir sind das Herz", sagt er. Er wisse gar nicht genau, wie er seinen Job nennen sollte. Vielleicht: Rücklaufmanager. Vermum sitzt am zentralen Verladebahnhof der Stabi, vor den Bändern der KFA, der Kastenförderanlage. Auf einem Schaltplan sieht er, wie sich die grauen Plastikkisten durch die Stockwerke des Gebäudes bewegen. Geschwindigkeit: 60 Zentimeter pro Sekunde. Ganz alte Relaistechnik. In riesigen Kästen, groß wie amerikanische Kühlschränke, knistert die Elektrik. Die Signaturen auf den Kisten zeigen an, wo die Bücher hinmüssen: Poststelle N9, Magazin Z2, Lesesaal LS3 oder LS4, Sekretariat S1. Laser lesen die Informationen und stellen die Weichen. "In Spitzenzeiten", sagt Vermum, "verarbeiten wir am Tag fünf Tonnen."

Seitenweise gebundener Geist fällt unten im Foyer durch die Buchabgabeklappe, wird von Bibliothekarinnen und Bibliothekaren entgegengenommen und in die Kisten gepackt. Von dort kommen sie auf die Kastenförderanlage, die auch die neuen Bestellungen liefert. Mitarbeiter wuchten die Bücher auf Wägen und bringen sie zu den Abholregalen. "Sehr schwere körperliche Arbeit", sagt Birgit Faulhaber, die Leiterin der Leihstelle. Viel Stress. Dazu der Rumpellärm der KFA. Die Leute, die hier arbeiten, werden oft krank.

Faulhaber findet es deshalb auch gar nicht so schlecht, dass die Buchreservierung in der Stabi 1 Euro kostet. Servicegebühr. Studenten meckern gelegentlich darüber. Sie denken, sie würden damit das Briefporto bezahlen. Lange kam die Benachrichtigung nur per Post. Es geht aber, sagt Faulhaber, um den gesamten Vorgang rund um die KFA. Es fahren immer noch viel zu viele Bücher durchs Haus, ohne dass sie jemand abgeholt hat.

Der Studentenauftrieb lässt sich steuern. Das haben sie auch im Lesesaal gemerkt. Seit es keine Tageskarten mehr gibt, ist es stiller geworden. "Wir wollen ne ruhige Arbeitsatmosphäre", sagt Schmieder-Jappe. "Dafür stehen wir."

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