Kulturimport: Lernen, wie andere ticken

Im transkulturellen und interreligösen Lernhaus in Charlottenburg lernen Frauen, Verständnis für das Fremde an anderen Kulturen zu entwickeln. So können sie in interkulturellen Konflikten vermitteln.

Je früher sie lernen, dass sie nicht immer Recht haben müssen, umso besser Bild: DPA

Genaugenommen lauert in Berlin an jeder Ecke das Andere: Da ist der kurdische Nachbar über und der afrikanische unter einem. Da ist das Kind einer FKK-Anhängerin in der gleichen Klasse wie das eines Hodschas.

Was sind fremde Kulturen? Aus welchen impliziten und expliziten Regeln bestehen sie? Widersprechen diese der eigenen Kultur? Wenn ja, wie kann ich dafür produktive Lösungen finden? Eine Konferenz des transkulturellen und interreligiösen Lernhauses für Frauen in Berlin versucht darauf Antworten zu finden.

Will man eine Verständigung mit Leuten, die anders ticken als man selbst, hilft deutsche Leitkultur kaum. Diese wenig bahnbrechende Erkenntnis ist das Fazit einer Konferenz des transkulturellen und interreligiösen Lernhauses. Dort werden derzeit 19 Frauen zu Kulturmittlerinnen qualifiziert. Sie können etwa an Schulen eingesetzt werden oder bei Konflikten, wie sie beim Moscheebau entstehen. Auf der Konferenz stellten sie am Wochenende Methoden vor, wie man den Alltag in einer Umgebung meistert, in der sich zig Kulturen durchdringen.

Und wie geht das nun? "Indem Erkenntnisprozesse in jedem Einzelnen ausgelöst werden", meint Christiane Klingspor vom Lernhaus. Das war auf der Konferenz bei drei Workshops der Fall.

Beim ersten spielten ein paar der 40 Frauen und einen Mann umfassenden Konferenzgruppe ein Märchen nach, das so geht: Der Weihnachtsbaumverkäufer eines Christendorfs bleibt auf seinem letzten Exemplar sitzen. Im Nachbarort wohnen Juden. Diese feiern zeitgleich Chanukka. Der Händler schwatzt den Menschen dort den Baum mit der Behauptung auf, in Amerika stünden überall Chanukkabäume. Nachdem die jüdischen Dörfler den Baum voll Freude mit Davidstern, Latkes und Kerzen schmücken, kommt ein klügerer Jude und erklärt den Dörflern, es stimme nicht und man habe sie reingelegt.

Im Märchen gibt es zwei Schlüsselerfahrungen: die eine, wo entschieden wird, ob man sich auf was Neues, den Chanukkabaum, einlässt. Die zweite, wo darüber verhandelt wird, ob man das Neue, das man in seine eigene Kultur integriert hat, verteidigt. Während des Spiels wurde deutlich, dass die erste Situation viel emotionaler besetzt ist, weil es - anders als bei der zweiten Schlüsselszene - noch keine Argumente für oder gegen das Neue gibt. Und die Erkenntnis: Neues löst Gefühle aus. "Das muss man verstehen, wenn man sich auf kulturelle Prozesse einlässt", sagt Rhonit Krenge, Theaterpädagogin aus Israel, die selbst zum Lernhaus gehört.

Auch die nächste Lernerfahrung wurde im Spiel gemacht. Dieses Mal mussten sich die KonferenzteilnehmerInnen als Mitglieder von fiktiven Kulturen denken. Eine Kultur etwa bestätigt sich durch Widersprechen. Eine andere dadurch, dass sie nur das zulässt, was die Vorfahren für gut befanden. Eine dritte Kultur stellte die eigene Befindlichkeit immer zugunsten der anderen zurück. Ohne die Kulturmuster der anderen zu kennen, sollten diese drei Gruppen gemeinsam eine Brücke bauen. Gelernt werden konnte dabei: Dass eine Zusammenarbeit besser funktionierte, wenn man sich vorher die Kulturmuster der anderen erklären lässt. Gelernt werden konnte dabei auch, dass es unter dem Vorzeichen von Widerspruch immer schwieriger ist, einen Konsens zu finden.

Das dritte Szenario zum Lernen aber war im Grunde das simpelste: Man setzt Menschen zusammen an einen Tisch und lässt sie einfach miteinander reden.

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