Überraschender Gesundheitsbericht: Migranten sterben jung

Migrantenkinder sind kränker sind als deutsche, so der Berliner Gesundheitsbericht. Auch sterben Migranten überproportional oft vor Eintritt ins Rentenalter. Nur warum?

Türkinnen in Kreuzberg. Bild: Reuters

Wir wissen nun, dass wir nichts wissen - oder jedenfalls nicht sehr viel. So kann man den Gesundheitsbericht 2006/2007 zusammenfassen, den Berlins Gesundheitssenatorin Katrin Lompscher (Linke) am Mittwoch vorstellte. Allerdings lässt die Todesursachenstatistik vermuten, dass es um den gesundheitlichen Zustand Berliner MigrantInnen nicht zum Besten steht. Ein Beispiel: Während nur ein Fünftel der deutschen Verstorbenen 2006 jünger als 65 Jahre war, war es bei den Nichtdeutschen die Hälfte.

Der Gesundheitsbericht ist eine jährlich erscheinende Datenauswertung zum Berliner Gesundheits- und Sozialwesen, Schwerpunkt in diesem Jahr ist die Gesundheitssituation der Migranten. Und da ist die Faktenlage erstaunlich dünn. So weiß man nicht, warum es unter Migranten so viele "vermeidbare Todesfälle" gibt, die mit verbesserte Gesundheitsaufklärung und erhöhter Inanspruchnahme von Vorsorgemaßnahmen verringert werden könnten. Der hohe Anteil unter 65-jähriger Verstorbener bei Nichtdeutschen könnte Folge mangelnder Aufklärung und Vorsorge sein. Die Zunahme von Lungenkrebs als Todesursache bei ausländischen Männern ist ein Hinweis darauf. Ebenso könnte der Grund aber auch sein, dass über 65-jährige Migranten vermehrt in die alte Heimat zurückkehren und dort sterben.

Nichts Genaues weiß man nicht - das gilt auch für andere Bereiche: So legen zwar die Ergebnisse der Einschulungsuntersuchungen, bei denen nach deutscher und nichtdeutscher Herkunft differenziert wird, den Schluss nahe, dass Kinder aus Migrantenfamilien oft unter gesundheitsschädlichem Verhalten ihrer Eltern leiden: Sie stammen öfter aus Raucherhaushalten, leiden stärker unter Übergewicht und motorischen Problemen aufgrund fehlender Bewegung als deutsche Kinder. Ob aber der regelmäßige Besuch der kinderärztlichen Vorsorgeuntersuchungen diesen Problemen abhilft, weiß man nicht. Denn bei deren Auswertung wird nicht nach ethnischer Herkunft unterschieden.

472.000 AusländerInnen leben in Berlin, das sind 13,9 Prozent der Gesamtbevölkerung. Rechnet man knapp 800.000 Zuwanderer mit deutscher Staatsbürgerschaft dazu, hat beinahe ein Viertel der BerlinerInnen einen Migrationshintergrund. Die SeniorInnen mit Migrationshintergrund sind dagegen immer noch eine kleine Gruppe: So leben in Berlin nur dreiundsiebzig 97-jährige AusländerInnen. Die Todesursachenstatistik, aber auch die Ergebnisse der Einschulungsuntersuchungen, die nach ethnischer Herkunft differenzieren, lassen Schlüsse auf den schlechten Gesundheitszustand vieler MigrantInnen zu. Ob diese jedoch auf kulturelle Gewohnheiten oder auf die prekäre soziale Lage vieler Einwanderer zurückzuführen ist, lässt die Statistik im Dunkeln. AWI

Grund für diese dürftige Datenlage ist nicht die mangelnde Mühe der VerfasserInnen des Gesundheitsberichts. Das Werk umfasst mehr als 650 Seiten und bietet in vielen Bereichen einen detaillierten Einblick in die Berliner Gesundheitslage. Im Hinblick auf EinwanderInnen offenbart er jedoch vor allem Wissensdefizite - und das, obwohl einige Daten großen Informationsbedarf erkennen lassen.

So liegt die Säuglingssterblichkeit ausländischer Kinder in Berlin dreimal höher als bei deutschen, in Lichtenberg gar 20, in Marzahn-Hellersdorf 40 Prozent über Durchschnitt. Auch dafür, dass ältere MigrantInnen zwar durchschnittlich stärker von Erkrankungen belastet sind, aber dennoch erheblicher seltener als Deutsche Schwerbehindertenausweise besitzen, hat der Bericht keine Erklärung. Auch die hohe und wachsende Selbstmordrate zugewanderter BerlinerInnen ist Indiz für Probleme.

"Der Bericht bestätigt den engen Zusammenhang zwischen der prekären sozialen Lage und der schlechten Gesundheitssituation vieler MigrantInnen", sagt der Integrationsbeauftragte des Senats, Günter Piening. Berlin habe aber mit Maßnahmen wie etwa den Gemeindedolmetscherdiensten, die im Gesundheitswesen eingesetzt werden, begonnen, "die richtigen Weichen zu stellen". Und noch mehr soll besser werden. "Wir fangen jetzt an", sagt Sabine Hermann. Die Landesgesundheitskonferenz, deren Mitglied die Gesundheitsverwaltung ist, hat bereits 2007 beschlossen, die Datenquellen über BerlinerInnen mit Migrationshintergrund künftig zu verbessern.

Ansonsten fällt der diesjährige Gesundheitsbericht äußerst positiv aus. Die Lebenserwartung der BerlinerInnen ist im letzten Jahrzehnt um 4 Jahre bei Männern und 3 Jahre bei Frauen gestiegen. Sie liegt damit über dem Bundesdurchschnitt.

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