Engagement: Neue soziale Bündnisse in Berlin

Die einen gründen engagierte Firmen, die andern machen Community Organizing: Beim Netzwerken für eine schlagkräftige Zivilgesellschaft schauen immer mehr Akteure ins Ausland. Zwei Beispiele

Füreinander da sein - auch in kalten Zeiten. Bild: geeknerd99/CreativeCommons BY 2.0 US

Schon die Überschrift macht neugierig. "Was Obama kann, kann Berlin auch", lautet der Titel der Presseeinladung, die die Organisatoren der Bürgerplattform Wedding/Moabit verschickten. Was sie am Freitag dann vorstellten, blieb nicht hinter den Erwartungen zurück: In beiden Stadtteilen haben sich über 40 Gruppen, darunter Moschee- und Kiezvereine, Kirchengemeinden und Kitas, zusammengeschlossen. Gemeinsam wollen sie die Politik im Kiez verändern. Damit entsteht "die bislang größte Bürgerplattform in Deutschland", sagt Leo Penta, Professor an der Katholischen Fachhochschule für Sozialwesen Berlin.

Vorbild für das neue soziale Bündnis ist das "Community Organizing", das in den USA schon lange praktiziert wird. Auch Barack Obama hat vor seiner politischen Karriere als Community Organizer in Chicago gearbeitet. Diese Rolle nimmt in Wedding und Moabit die Politologin Susanne Sander ein: Sie koordinierte in den vergangenen zwei Jahren den Aufbau des Netzwerks.

"Mich hat die Benachteiligung von Migranten in der Bildung sehr geprägt", berichtet zum Beispiel der türkischstämmige Suat Özkan. Idongesit Akpan von der Jesus Miracle Harvest Church, der nigerianischer Herkunft ist, erzählt von alltäglicher Diskriminierung: "Bei der Polizei wollte mir niemand die Hand schütteln." Kennenlernen und sich austauschen - das war der Anfang beim Community Organizing in Moabit und Wedding.

Erst im Gespräch haben die Vertreter der Plattform festgestellt, dass ihre Probleme oft die gleichen seien. Vor allem bei der Bildung und im öffentlichen Raum könnte viel verbessert werden, glauben sie. Was genau sie sich vorstellen, wollen sie aber erst bei der offiziellen Gründung der Plattform am 25. November bekanntgeben.

Unterdessen beraten Susanne Sander und Leo Penta die Bürger. Der Professor betont, dass sie sich nicht mit schönen Worten und ein paar sozialen Veranstaltungen zufrieden geben werden. "Uns geht es um harte politische Forderungen."

Er selbst stammt aus den USA und hat Erfahrung im Geschäft. Schon vor 30 Jahren arbeitete er als Community Organizer in New York. "Wir haben in Brooklyn dafür gesorgt, dass 5.000 Häuser gebaut wurden, die auch für Ärmere erschwinglich waren." Um so etwas durchzusetzen, sei es wichtig, für die Politik ein Gegenüber darzustellen. "Die Bürgerplattform gibt Wedding und Moabit eine Stimme."

Keine Frage: Um der Verwaltung auf Augenhöhe begegnen zu können, müssen sich die Gruppen und Vereine mit Argumenten wappnen. Sander und Penta helfen ihnen, an die notwendigen Informationen zu kommen, beispielsweise über die Strukturen und Finanzen im Bezirk. Die Plattform selbst trägt sich durch Spenden aus der Wirtschaft, von Stiftungen und über Mitgliedsbeiträge. Der Jahresetat liegt bei knapp 100.000 Euro.

Wie heterogen die Bürgerplattform tatsächlich ist, wird deutlich, wenn die einzelnen Mitglieder über ihr Anliegen sprechen. Rentner Manfred Kunth von der Weddinger Stadtmission packte beim Pressetermin plötzlich einen Bohrer aus. "Wir bohren etwas auf", verkündete er stolz.

Die türkischstämmige Azize Karagülle mag es lieber ein bisschen blumig: " Wir arbeiten zusammen wie die Ameisen. Und wie die Bienen versüßen wir das bittere Leben."

Gipfel sozialer Unternehmen

Berlin soll zum Zentrum eines neuen Unternehmergeistes werden. So wollen es zumindest die Veranstalter des zweiten "Vision Summit", dem "Gipfel der sozialen Unternehmer", der heute und morgen an der Freien Universität stattfindet. Manager, Geschäftsführer und Projektleiter aus aller Welt werden dabei über "Firmen der neuen Art" nach dem Modell des Friedensnobelpreisträgers Mohamad Yunus aus Bangladesch diskutieren.

Yunus ist mit der Idee der Mikrokredite für Ärmste in der Landwirtschaft berühmt geworden. Im vergangenen Jahr hat er das Prinzip des "Social Business" ins Leben gerufen. Demnach sollen weltweit Unternehmen gegründet werden, die nicht nach Rendite streben, sondern gesellschaftliche Probleme lösen und sozialen Nutzen erwirtschaften.

Der Veranstalter Peter Spiegel, Leiter des Genesis-Instituts, will mit der Konferenz mittelständische Unternehmen und Konzerne dazu anregen, "statt Charity ihr eigenes Social Business zu gründen". Gleichzeitig verspricht er, "klassischen Hilfsprojekten zu helfen, wirtschaftlich zu arbeiten und sich unabhängig von Staat und Spenden zu machen". Auf der Konferenz wird Yunus sein Konzept des Social Business vorstellen. Zudem sind Workshops mit erfolgreichen Sozialunternehmen aus Deutschland, Indien, Brasilien und dem afrikanischen Kontinent geplant.

Friedrich Kiesinger, Geschäftsführer der Pegasus GmbH, ist einer der Unternehmer, der seine Firma auf der Konferenz vorstellen wird. Kiesinger arbeitet als Psychotherapeut mit behinderten und psychisch kranken Menschen in Berlin und verfolgt unter anderem das Ziel, diese in den ersten Arbeitsmarkt zu integrieren. Seine Firma beschäftigt inzwischen mehr als 100 Angestellte. "Wir versuchen, nicht nur gemeinnützig, sondern auch wirtschaftlich erfolgreich zu arbeiten." Vereine dürften sich seiner Ansicht nach nicht in ihrem geschützten und subventionierten Biotop ausruhen, sondern müssten den Schritt in die Gesellschaft und Wirtschaftlichkeit gehen.

Berlin und die FU sollen auch nach dem "Vision Summit" das Zentrum der wissenschaftlichen Begleitung dieser sogenannten Entrepreneure und Sozialunternehmen werden. Yunus hat Spiegel zufolge Berlin zum "Hauptort seiner Aktivitäten" erkoren.

"Das ist eine riesige Chance für die FU in ihrer Rolle als Gründeruniversität", sagt Günter Faltin von der Stiftung Entrepreneurship an der FU. Angebote aus den USA habe Yunus abgelehnt, erzählt Faltin, vielmehr habe er sich für Berlin entschieden. Schließlich stehe die Stadt mit dem Mauerfall für einen friedlichen Übergang von einem System in ein neues.

In einer Art Kreativlabor sollen Gründer künftig in Berlin gemeinsam mit Yunus ihre Unternehmen planen und aufbauen können. "Wir haben hier in Berlin die Gelegenheit, sein spezielles Knowhow zu nutzen", sagt Spiegel. Außerdem versucht das "Grameen Creative lab", das Modell der Kleinkredite auf Deutschland zu übertragen.

Die Konferenz scheint einen Nerv zu treffen. Von mehr als 1.000 Anmeldungen spricht Spiegel. "Wir sind total überbucht." Auch stünden "namhafte DAX-Unternehmen an der Startlinie" für Gemeinschaftsunternehmen mit Yunus.

Spiegel erklärt das große Interesse mit der wachsenden Erkenntnis, dass es bisher keine Märkte für die Ärmsten der Welt gibt, obwohl diese zwei Drittel der Menschheit ausmachten. "Es ist klar, dass sich diese Märkte entwickeln werden und Konzerne wissen müssen, wie diese Märkte funktionieren."

Die derzeitige Finanzkrise tut ihr Übriges: Immer mehr Geldgeber wollten "in etwas Sinnvolles investieren, wo sie sich wenigstens darauf verlassen können, dass ihr Geld nicht verloren geht", sagt Spiegel.

Der 2. Vision Summit findet am 1. und 2. November im Henry-Ford-Bau (Garystraße 35-37) der FU statt.

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