Sanierungsgebiet Berlin-Mitte: Operation gelungen, Patient bebt

Nach 15 Jahren ist die Spandauer Vorstadt in Mitte kein Sanierungsgebiet mehr. Die Bilanz fällt gemischt aus. Doch ohne öffentliche Gelder hätte es mehr Verdrängung gegeben.

Erfolg: Das Viertel rund um die Neue Synagoge ist erhalten geblieben Bild: AP

Weder wollte Stadtentwicklungssenatorin Ingeborg Junge-Reyer (SPD) eine lange geplante Ausstellung noch eine bereits in Druck befindliche Ausgabe der Sanierungszeitung abwarten. Wenn es um Publicity geht, muss man manchmal schnell sein - vor allem, wenn es gute Nachrichten zu vermelden gibt.

Die Bilanz des Sanierungsgebiets Spandauer Vorstadt in Mitte ist für die Senatorin eine solche Nachricht. "Die Spandauer Vorstadt ist ein Erfolgsmodell", gerät Junge-Reyer ins Schwärmen. "International bekannt und von den Berlinerinnen und Berlinern hoch geschätzt, lockt sie gleichermaßen Investoren, Gewerbetreibende, Bewohner und Touristen an." Pünktlich zum Ende des Sanierungsgebiets am 15. Januar ließ sich Junge-Reyer am Donnerstag bei einem Kiezrundgang von den Sanierungsexperten aus Bezirk und Senat die Highlights dieses Erfolgsmodells zeigen.

Die gibt es tatsächlich. Zwischen Oranienburger Straße und Krausnickstraße ist mit dem Krausnickpark eine kleine grüne Oase im dicht besiedelten Kiez entstanden. In der Oranienburger Straße 27 gelang es, einen spätklassizistischen Innenhof denkmalgerecht zu sanieren. Auch der Schendelpark, der Vorplatz zum S-Bahnhof Hackescher Markt oder die Grünfläche auf dem "Gipsdreieck" zählen zu den Habenseiten der Sanierung.

Weitaus schwieriger verhält es sich dagegen beim Thema Bevölkerung. Beim Start des Sanierungsgebiets 1993 war es ausgemacht, die vorhandene Wohnbevölkerung vor Verdrängung schützen zu wollen. Wer heute durch die Neue Schönhauser Straße, die August- oder die Tucholskystraße geht, weiß, dass oft das Gegenteil der Fall war. Statt behutsam, also mit den Bewohnern, verlief die Sanierung nicht selten gegen sie.

Gleichwohl will der Sanierungsbeauftragte des Senats, Hartwig Dieser, von einer flächendeckenden Vertreibung nichts wissen. "Von der Bevölkerung zur Wende lebt noch ein Drittel im Gebiet", sagt er. Von denen, die seit Beginn der Festlegung als Sanierungsgebiet 1993 da waren, seien es sogar 42 Prozent. Es hätte schlimmer kommen, lautet die unausgesprochene Botschaft Diesers.

Aber vielleicht steht das dem einzigen "Altbauviertel" Berlins zwischen Hackeschem Markt und Linienstraße ja noch bevor. Schon ist von einem neuen Kneipensterben die Rede, wohlwissend, dass es nicht selten Kneipen waren, die Lebensmittelgeschäfte, Bäckereien oder Blumengeschäfte verdrängten. Nun aber drängen Geschäfte in den Kiez, die die Bewohner noch weniger brauchen, die Touristen dagegen umso mehr: Flagshipstores von großen Modelabeln und Saufkneipen, in denen sich britische Junggesellen verlustieren. Die Revolution frisst ihre Kinder - in der Spandauer Vorstadt gilt dies offenbar für alle Stadien der Aufwertung und Schickimickisierung, die in den vergangenen 18 Jahren durchlaufen wurden.

Immerhin: Inzwischen zieht es auch wieder Familien in den Kiez, freut sich Senatorin Junge-Reyer. Tatsächlich haben auch einige Baugruppen in der Spandauer Vorstadt gebaut, und der Bezirk hat mit dem Erhalt vieler Grünflächen das Seine getan. Blöd nur, wenn man zum nächsten Bäcker dann ins Auto steigen oder zu Fuß in Richtung Alexanderplatz eilen muss.

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