Industriestandort Berlin: Proletarier sind wieder gefragt

Das heutige 1. Industrieforum markiert eine Trendwende: Der Senat will die Industrie stärker fördern. Denn, so das neue Credo, nur dann könnten sich auch Dienstleister ansiedeln und neue Jobs schaffen.

Es wird Zeit für mehr Industrie in der Hauptstadt Bild: DPA

Der Industriestandort Berlin lebt: Diese Botschaft verkünden Unternehmer, Politiker und Banker auf dem heutigen 1. Berliner Industrieforum. Gegenwärtig arbeiten rund 100.000 Beschäftigte in 800 Industriebetrieben in der Stadt; Anfang der 1990er-Jahre waren es mehr als doppelt so viele. Industriebetriebe erwirtschaften 12,1 Prozent des heimischen Gesamtvermögens, im Bundesdurchschnitt liegt die industrielle Wertschöpfung bei 23,6 Prozent. Berliner Traditionsbranchen sind unter anderem Elektroindustrie, Maschinenbau und Chemie.

Achtung, Werbung! Diese Botschaft transportiert das 1. Berliner Industrieforum an diesem Donnerstag. Und das soll so sein. Der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) höchstselbst promotet die Veranstaltung und holt alle dazu, die in der heimischen Industrie noch Rang und Namen haben: Vertreter von Siemens, Bayer Schering und Daimler. Die Kleinmesse im Roten Rathaus soll einen Imagewechsel einläuten. "Industrie in Berlin hat Zukunft", so Wowereit. Vor einigen Jahren hat er noch genau das Gegenteil suggeriert.

Der Deutsche Gewerkschaftsbund fühlt sich bestätigt. Man habe seit Jahren eine Industriepolitik gefordert, so Vorsitzender Dieter Scholz. "Die Euphorie über erste Erfolge einer Dienstleistungsmetropole hat offensichtlich den Blick verstellt." Die Industriebetriebe sind sowieso erfreut. Selbst die CDU lobt zurückhaltend: "Es ist vernünftig, dass sich der Senat nach langem Dornröschenschlaf endlich mit dem Thema Industrie beschäftigt", sagt der wirtschaftspolitische Sprecher Michael Dietmann.

Das neu erwachte Interesse am sekundären Sektor kommt nicht von ungefähr. "Nur wo Industrie gedeiht, siedeln sich auch Dienstleister in gewünschtem Maße an und schaffen die dringend benötigten Jobs", begründet Scholz den Schulterschluss mit Unternehmern und Politik. Die Dienstleistungsmetropole Berlin entpuppt sich bei genauerem Hinsehen nämlich als Hauptstadt der Leiharbeiter: Im letzten Jahr kamen 12.500 "unternehmerische Dienstleister" hinzu. Die Anzahl der klassischen Stellen im industriellen Sektor ist dagegen seit den späten 80er-Jahren um 150.000 geschrumpft.

Die übrig gebliebenen "hidden Champions", so die Industrie- und Handelskammer (IHK), sind die bekannten deutschen DAX-Unternehmen, die ihre Geschäftszentrale nicht, nicht mehr oder nur zum Teil in Berlin haben: Siemens, Daimler, BMW. Einige Überraschungen bietet die Top-Ten-Liste dennoch: Die Bundesdruckerei steht an 7. Stelle. 1.300 Mitarbeiter stellen hier Geld her. Doch meist sind hiesige Industriebetriebe jung, klein und kapitalschwach, konstatiert Matthias von Bismarck-Osten, der im Auftrag der Landesinvestitionsbank auch Kleinkredite an Start-ups vergibt.

Davon gibt es nach Ansicht der IHK noch zu wenig. Ein weiterer Grund für das zögerliche Wachstum sei der spärliche Wissenstransfer aus Uni und Forschungslaboren in die Wirtschaft, meint IHK-Hauptgeschäftsführer Jan Eder. So sei Berlin zwar Innovationsstandort Nummer 2 in Deutschland. Doch die Erfindungen kämen zu selten und zu spät auf den Markt. Dies soll sich beschleunigen: So will Wirtschaftssenator Harald Wolf (Linke) zum Januar ein virtuelles Transfercafé eröffnen. 50 Professoren sollen Unternehmern im Chat ihre Fragen beantworten.

Die vielversprechendsten Branchen hatte der Senat in den vergangenen Jahren zusammen mit Wirtschaftsvertretern schon zu Gruppen geordnet, "Cluster" genannt: Medizintechnik und Optik etwa werden gezielt gefördert und sollen durch ihre Strahlkraft in einigen Jahren auch andere Zweige beleben. Auch die Solarenergie soll laut Wolf auf das Plateau besonders förderungswürdiger Industriezweige gehoben werden - im Cluster "Alternative Energien".

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