Arbeistkampf der Gebäudereiniger: Putztruppe ohne Schlagkraft
Die Gebäudereiniger streiken für mehr Geld. Sie könnten viel Druck machen, denn ohne sie verdreckt die Stadt. Aber nur wenige trauen sich, in den Ausstand zu treten.
Von der Kuppel des Reichstags aus können Touristen kein Panorama mehr bestaunen, da die Glasscheiben total verdreckt sind. Im Tiergarten häufen sich Berge von Herbstlaub und Müll, und auf Krankenhausfluren und in Flughafenterminals wirbelt überall Staub auf. So verdrecken würde Berlin, wenn alle der rund 50.000 Gebäuderreinigungskräfte der Stadt ihre Arbeit niederlegten. Dazu hat die Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt (IG BAU) ab heute bundesweit aufgerufen. Doch in Berlin wollen nur 200 bis 300 Reinigungskräfte dem Aufruf zum unbefristeten Streik folgen.
So werden die meisten Büros, Krankenhäuser und Universitäten in den nächsten Tagen sauber bleiben. "Wir haben nicht die gleiche Streiktaktik wie bei großen Industrieunternehmen", erklärt Mikro Hawighorst, Streikleiter der IG BAU Berlin. Die Reinigungsfirmen und nicht die Kunden wie Schulen und Krankenhäuser solle der Streik treffen. "Wir können ja nicht die Patienten im Dreck sitzen lassen." Außerdem könne sich bei den Reinigungskräften nur schwer ein Gemeinschaftsgefühl einstellen, da sie zumeist allein arbeiten.
Im fehlenden Gemeinschaftsgefühl sieht auch der Gewerkschaftsexperte Josef Esser von der Uni Frankfurt/Main die geringe Streikbeteiligung begründet: "Durch Arbeitskräfte aus dem EU-Ausland und die hohe Fluktuation im Niedriglohnsektor fehlt ein solidarisches Gefühl. Deshalb entsteht auch keine kampfstarke Gruppe."
Hintergrund des Streiks ist ein Tarifstreit zwischen IG BAU und dem Bundesinnungsverband des Gebäudereiniger-Handwerks (BIV). Zum 30. September war der Mindestlohntarifvertrag für die rund 450.000 Beschäftigten der Branche ausgelaufen, die Verhandlung um einen neuen Tarifvertrag waren im August nach sechs Runden gescheitert. Neben der Verlängerung des Mindestlohns, der bislang bei 8,15 Euro brutto im Westen und 6,58 Euro im Osten lag, fordert die Gewerkschaft eine Erhöhung um 8,7 Prozent, eine zusätzliche Altersvorsorge und eine schrittweise Angleichung der Ost- an die Westlöhne. Die Arbeitgeber bieten 3 bis 3,6 Prozent mehr Lohn. Eine Mehrheit von 96,7 Prozent der Gewerkschaftsmitglieder hatte bei einer Urabstimmung am Freitag für den ersten Streik in der Geschichte der Branche abgestimmt.
Elke G. ist eine der wenigen Streikwilligen. Für ihren Arbeitgeber AGG Gebäudereinigung putzt sie morgens von 5 bis 8 Uhr in der Technischen Universität, nachmittags von 14 bis 17 Uhr im Schöneberger Rathaus. Warum sich so wenige ihrer KollegInnen an dem Streik beteiligen, kann Elke G. nur vermuten: "Ich glaube, die lassen sich einschüchtern, vor allem von den Vorarbeitern. Die sagen, dass sie weniger verdienen, wenn sie streiken." Außerdem hätten viele Angst, dass ihre befristeten Verträge nicht verlängert würden.
In der TU und im Rathaus Schöneberg ist man auf einen Ausfall von Reinigungsleuten nicht eingestellt. "Wir wissen nichts von einem Streik", sagt TU-Pressesprecherin Kristina Zerges. Die Gewerkschaft vermutet, dass die Reinigungsfirma Leiharbeiter als Streikbrecher einsetzen. "Es heißt, dass an der TU Russen eingesetzt werden. Da müssen wir dann mit Dolmetschern hin und die davon überzeugen, dass sie sich solidarisieren", erklärt Streikleiter Mirko Harwighorst.
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