Migranten büffeln für Unternehmensgründung: Raus aus der Nischenökonomie

Landesregierung und Banken fördern nichtdeutsche Existenzgründer mit Kursen und Krediten. Sie haben sich inzwischen zu einem wichtigen Wirtschaftsfaktor in der Hauptstadt entwickelt - und längst nicht mehr nur Landsleute als Kunden.

Elisabeth Sanchez träumt von einem eigenen Tabakladen. Die Peruanerin zog vor einem Jahrzehnt zu ihrem Mann nach Berlin. Auf dem Arbeitsmarkt hat die selbstbewusste Frau, die ihr hervorragendes Deutsch "von meinem Mann und den Nachbarn" gelernt hat, nie Fuß fassen können. Der Babypause folgte ein Job in einer Reinigungsfirma und schließlich die Arbeitslosigkeit. Sanchez ist gelernte Hebamme, doch der in Peru erworbene Abschluss zählt hier nicht. "Ich habe in Peru schon selbstständig gearbeitet. Doch hier habe ich mir das bisher nicht zugetraut, weil ich die Gesetze nicht kenne", sagt sie.

Das ist nun anders. Die Enddreißigerin gehört zu den rund 100 Gründungswilligen, die gerade einen vom Land geförderten Kurs für nichtdeutsche Existenzgründer absolviert haben. Sie hat gelernt, ein Unternehmenskonzept zu schreiben, mit dem sie eine Chance auf einen Bankkredit oder auf öffentliche Förderung hat. Sie bekam Material in die Hand, das künftige Unternehmer von der Firmenidee bis zu den ersten wirtschaftlichen Erfolgen begleiten soll. Und fast noch wichtiger: Sie lernte Menschen kennen, die genau wie sie in der unternehmerischen Startphase stecken. Kollegen, die sie in den nächsten Monaten anrufen oder treffen wird, damit man sich gegenseitig Mut machen kann.

Nicht in irgendeinem Hinterhof, sondern im Saal der Investitionsbank Berlin bekamen die Gründungswilligen am Montagabend ihr Zertifikat überreicht. Ein leibhaftiger Staatssekretär, Volkmar Strauch, ließ sich mit den Männern und Frauen, von denen viele nur fünf Jahre die Schulbank gedrückt hatten, beim Gruppenfoto ablichten. "Ohne Sie", erklärte Strauch, "wäre Berlin eine schrumpfende Stadt."

Und Heinz-Joachim Moppe von der Investitionsbank des Landes Berlin schob nach: Kredite und kostenlose Seminare seiner Bank, teilweise abgestützt durch eine Bürgschaft des Landes, stünden den Kursteilnehmern offen. "Kredite vielleicht nicht ab 1 Euro. Aber ab 1.000 Euro reichen wir Kredite raus", so Moppe.

Noch vor fünf Jahren hatte die Türkisch-Deutsche Unternehmervereinigung Berlin-Brandenburg über die geringe Neigung von Banken geklagt, nichtdeutschen Unternehmern Geld zu leihen. Die haben selten etwas, das traditionell als Sicherheit gilt, Grundstücke etwa. Doch die Erfolgsgeschichte vieler Unternehmer mit Migrationshintergrund hat sich inzwischen bis zu den Banken herumgesprochen.

Bundesweit gibt es 257.000 nichtdeutsche Unternehmer, die sich stark auf die Bereiche Handel (33 Prozent) und Gastgewerbe (29 Prozent) konzentrieren. 13,5 Prozent aller erwerbstätigen Berliner sind selbstständig. Dabei haben Migranten eindeutig die Nase vorn: Sie vereinen 16 Prozent aller Neugründungen auf sich. Am gründungswilligsten sind Russen, dicht gefolgt von Türken.

Wichtigster Grund für Zuwanderer, in die Selbständigkeit zu gehen, ist die Arbeitsmarktsituation. Wer keine deutsche Schulbildung und keinen in Deutschland anerkannten Berufsabschluss hat, ist zu Putzjobs oder einfachen Tätigkeiten verdammt, falls er überhaupt eine angestellte Tätigkeit bekommt. In der Selbstständigkeit können Migranten ihre Kreativität besser ausleben.

Zum Beispiel der Türke Hulusi Sariyildiz. Er kam als 17-Jähriger nach Deutschland und hatte hier keinen Anspruch mehr auf eine Schul- oder Berufsbildung. Als selbstständiger Außendienstmitarbeiter einer Küchenfirma vertreibt er seit Jahren unter seinen Landsleuten Kochtöpfe. Jetzt will er sich ein zweites berufliches Standbein aufbauen und zusätzlich Veranstaltungen und Konzerte für Türken organisieren. "In dem Seminar habe ich gelernt, dass ich ein Unternehmenskonzept nicht allein, sondern gemeinsam mit Wirtschaftsberatern schreiben muss, wenn ich Kredite oder Fördermittel bekommen will", sagt der 40-Jährige.

Sariyildiz Unternehmen ist typisch für das eines Migranten der ersten Generation: Er ist in der "Nischenökonomie" zu Hause. Das heißt, er orientiert sich hauptsächlich an den Kundenwünschen seiner Landsleute. Der Wandel "von der Nische zum Markt", wie es die Türkisch-Deutsche Unternehmervereinigung formuliert, finde oft erst bei Zuwanderern der zweiten oder dritten Generation statt, sei aber bereits im vollen Gange.

Dafür steht beispielsweise die Kursteilnehmerin Tugba Uzak, eine türkische Wirtschaftsstudentin. Sie hat das Seminar nicht besucht, weil sie Nachhilfe in Unternehmenskonzepten braucht. Für die angehende Unternehmensberaterin war es vielmehr eine Art Praktikum. Denn sie könnte sich vorstellen, einmal auf der anderen Seite des Katheder zu stehen.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.