Berliner Motorradrocker-Krieg: Rocker schrauben an Friedensvertrag

Nur durch Zufall kam es im Bandenkrieg zwischen den Motorradclubs Bandidos und Hells Angels noch nicht zu Todesopfern. Jetzt sollen beide Gruppen einen Waffenstillstand vereinbart haben.

Bald Geschichte? In Berlin und Brandenburg gab es einige der heftigsten Auseinandersetzungen zwischen Bandidos und Hells Angels Bild: DPA

Es ist ein beinah für unmöglich gehaltener Schritt: Die innig verfeindeten Rocker-Motorradclubs der Bandidos und Hells Angels sollen einen deutschlandweiten Waffenstillstand vereinbart haben. Sowohl das Berliner als auch das Brandenburger Landeskriminalamt (LKA) bestätigen die Friedensgespräche. "Verhandlungen zwischen Bandidos und Hells Angels hat es bereits früher gegeben", so ein Berliner Ermittler. "Aber nie waren sie so weit fortgeschritten wie heute."

In Berlin und Brandenburg haben sich alle namhaften Motorrad-Clubs (MCs) niedergelassen. Während viele Biker ihre Gruppen als Freizeitvergnügen betrachten, rechnet das Berliner LKA einzelne MCs der organisierten Kriminalität zu. Sie werden mit Drogen- und Waffenhandel, Schutzgelderpressung und Zuhälterei in Verbindung gebracht. Die Hells Angels besitzen in Berlin zwei Gruppen, sogenannte Charter. In Brandenburg gibt es neben dem im Dezember neu gegründeten Charter in Potsdam eine zweite Hells-Angels-Gruppe in Cottbus.

Zu den Bandidos gehören in Berlin drei Gruppen. In Brandenburg sind die Bandidos in Cottbus, Lauchhammer, Hohen Neuendorf und Perleberg vertreten. Als dritter großer Motorradclub ist der Gremium MC mit jeweils drei Abteilungen in Berlin und Brandenburg vertreten. In Potsdam galt der Gremium MC bisher als vorherrschend. Mit der dortigen Gründung der Hells Angels werden die Karten nun neu gemischt. LIT

Für die hiesige Region ist der Rockerpakt besonders folgenreich: In Berlin und Brandenburg gab es in den vergangenen Jahren einige der heftigsten Auseinandersetzungen zwischen Bandidos und Hells Angels. Gegenseitige Angriffe, Messerstechereien und Schusswechsel brachten die beiden "Outlaw-Motorradclubs" an den Rand eines Rockerkriegs. Es geht um Gebietsansprüche - und um die Vorherrschaft im Türsteher- und Drogenmilieu.

Bereits im vergangenen Herbst sollen sich bundesweit führende Mitglieder der Hells Angels und Bandidos getroffen und den Friedensschluss vereinbart haben. Die Polizei sieht dies vor allem ihrem Vorfolgungsdruck und den vermehrten Festnahmen von Rockern geschuldet. "Das hat die legalen und kriminellen Aktivitäten der Clubs zunehmend beeinträchtigt", so Toralf Reinhardt, Sprecher des Brandenburger LKA. "Sie wollen aus dem polizeilichen Dauerfokus raus", bestätigt auch der stellvertretende Dezernatsleiter für Organisierte Kriminalität beim Berliner LKA, der namentlich nicht genannt werden will.

Bis zum vergangenen Sommer war die Gewalt zwischen beiden Gruppen immer weiter eskaliert. Im Juli 2008 schossen zwei Mitglieder des Red Devils MC, einer Unterstützergruppe der Hells Angels, im Brandenburgischen Hennigsdorf auf ein Auto, in dem ein ehemaliger Bandido saß. Ein Mitfahrer kam mit einem Streifschuss ins Krankenhaus. Wenige Monate zuvor wurde in der Cottbuser Innenstadt ein Hells Angel von einem Bandido lebensgefährlich niedergeschossen. Der Hells Angel hatte mit einer Gruppe Gleichgesinnter zuvor den Bandido und dessen Frau und Kind bedrängt.

Auch in Berlin nahm die Gewalt zu. Kaum eine Clubhausdurchsuchung, bei der die Polizei keine Waffen beschlagnahmte. Im Frühjahr 2008 griffen Bandidos zwei Hells Angels vor deren Domizil am Spandauer Damm mit Macheten und Baseballschlägern an. Auseinandersetzungen vor den Clubhäusern galten bis dahin als tabu. "Bei mehreren Angriffen sind wir an Todesopfern nur knapp vorbeigeschrammt", sagt ein Berliner Ermittler. Als besonders prekär bezeichnet er, dass die Rocker zunehmend hinnahmen, auch unbeteiligte Passanten zu gefährden.

Seit Beginn der Friedensgespräche herrschte in den vergangenen Monaten tatsächlich Ruhe zwischen Bandidos und Hells Angels in der Region. Dafür laufen Gerichtsverhandlungen zu den früheren Auseinandersetzungen. Am heutigen Dienstag soll in Neuruppin das Urteil zu den Schüssen in Hennigsdorf gefällt werden. Bereits im November war ein Cottbuser Bandido zu einer Haftstrafe von dreieinhalb Jahren wegen gefährlicher Körperverletzung und Drogenhandels verurteilt worden. Seine Schüsse auf die Hells Angels blieben dagegen ungesühnt: Der Mann habe in Notwehr gehandelt, so das Cottbuser Landgericht.

Doch so richtig getraut wird dem Frieden zwischen den beiden Rockergruppen nicht: Alle Verfahren vor Gericht werden durch eine massive Polizeipräsenz geschützt, um mögliche Vergeltungsaktionen zu verhindern. "Und die Verteilungskämpfe werden weitergehen", so der Vizedezernatsleiter beim Berliner LKA. "Schließlich wollen beide Gruppen auf dem gleichen Terrain ihr Geld verdienen." Er meint: Drogen, Waffen, Schutzgeld. "Den Waffenstillstand würde ich eher niedrighängen", beurteilt das auch Dirk Wilking, Rocker- und Rechtsextremismus-Experte. "Letztlich geht das Geschäft vor - und dann ist so eine Vereinbarung schnell wieder vergessen."

Besonders in Brandenburg ringen die Motorradclubs noch um Einflussgebiete. Als "ernstes Problem" hatte Brandenburgs Innenminister Jörg Schönbohm die Rockerkriminalität im vergangenen Jahr bezeichnet. Das Land werde mit konsequenten Maßnahmen dagegen vorgehen, warnte er. Vor allem Cottbus gilt als umkämpft. Nun drohen Konflikte auch in der Landeshauptstadt. Im Dezember gründeten die Hells Angels in Potsdam ein Charter, wie die höchste lokale Organisationsstufe der Rocker heißt. Noch treffen sich die Hells Angels in einem Tattoostudio in der Potsdamer Innenstadt, ein eigenes Clubhaus soll folgen.

Eine Provokation - denn bisher schrieb sich Potsdam der Gremium MC zu. Gremium ist der mitgliederstärkste MC in Deutschland und wurde mehrfach selbst durch Gewalttätigkeiten und Drogengeschäfte auffällig. Die neue Potsdamer Dependance der Hells Angels ist aber auch ein Fingerzeig in Richtung Bandidos. "Offenbar war für die Hells Angels angesichts von vier Bandidos-Gruppen in Brandenburg eine stärkere Präsenz überfällig", so Toralf Reinhardt. Er sehe die Clubgründung daher auch als potenziell "problematisch" für die Friedensgespräche. "Szenetypische Straftaten und Auseinandersetzungen können nicht gänzlich ausgeschlossen werden." Die Polizei werde die Lageentwicklung in Potsdam intensiv beobachten, versichert Reinhardt.

Auch in Berlin will die Polizei ihre Nulltoleranz-Strategie gegenüber den Rockern weiter durchziehen. "Wir werden keine rechtsfreien Räume dulden", heißt es aus der Polizeiführung. Unterstützung für diesen Kurs äußert Bodo Pfalzgraf, Berliner Landeschef der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG). Er spricht sich zusätzlich für unkonventionelle Methoden gegen kriminelle Biker aus: "Überlegenswert wäre ein Führerscheinentzug bei Straftaten. Man muss sie dort treffen, wo es am meisten wehtut." Rockerexperte Dirk Wilking fordert darüber hinaus, ein Verbot zu prüfen. "In ihrer Gesamterscheinung sind die MC-Gruppen kriminelle Vereinigungen."

Sorge bereiten auch die weiterhin steigenden Mitgliederzahlen in den kriminellen Rockerclubs. Zählte die Polizei 2005 noch rund 400 Rocker in Berlin und Brandenburg, sind es heute bereits 1.000 Mitglieder. Dies sei unter anderem der Öffnung einzelner Gruppen für arabische und türkische Biker zu verdanken. "Manche Gruppen sind inzwischen komplett migrantisch", so ein Berliner Ermittler. Um die eigene Gruppenstärke auszubauen, würden auch die Mitgliedskriterien weiter aufgeweicht. "Teilweise ist heute nicht einmal mehr der Besitz eines Motorrads Pflicht", sagt der Beamte kopfschüttelnd.

Dass mit dem Waffenstillstand zwischen Hells Angels und Bandidos längst nicht alle Probleme in der Rockerszene beseitigt sind, zeigte sich vor vier Wochen: Knapp 15 Mitglieder des nicht in die Friedensgespräche eingebundenen Gremium MC überfielen ein Fest in einem Clubhaus in Seddin (Potsdam-Mittelmark). Mit Baseballschlägern und Schlagringen verprügelten die Rocker die Feiergäste und zerschlugen Autoscheiben. Der Angriff dauerte nur wenige Minuten, am Ende blieben elf Verletzte zurück. Die Gremium-Mitglieder sollen davon ausgegangen sein, dass sich ein neuer Rockerclub in Seddin gründen wollte.

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