Erfolg durch Brandbriefe: So bessern Sie Ihren Lohn kräftig auf!

Dank eines simplen Protestbriefs bekommen Junglehrer in Berlin bis zu 50 Prozent mehr Gehalt vom Senat. Kann jeder mit Brandbriefen Erfolg haben? Eine Gebrauchsanweisung.

Klingende Münze dank brandheißer Briefe Bild: reuters

Die Entscheidung des Senats, angestellten Junglehrern monatlich bis zu 1.200 Euro brutto mehr zu zahlen, um Abwanderung zu stoppen, stößt auf Ablehnung. Einzig der Landeselternausschuss lobt die Erhöhung als "mutigen Schritt, der keinen Anlass für weitergehend Forderungen rechtfertigt". Beamtenbund und Bildungsgewerkschaft GEW sehen das anders. Die Beamten ärgert, dass nur Angestellte mehr bekommen. Das würde die Auseinandersetzung zwischen den Gruppen verschärfen, sagt Beamtenbund-Chef Joachim Jetschmann der taz. Der Ärger gehe weit über die Lehrerschaft hinaus: "Seit dem Beschluss fliegt mir der Laden um die Ohren." Vor allem untere Lohngruppen hätten kein Verständnis. Der GEW ist der Aufschlag zu mager, Landeschefin Rose-Marie Seggelke spricht von einer "Mogelpackung", weil nur seit Herbst 2008 Eingestellte 1.200 Euro mehr bekommen. Sie warnt vor Personalmangel auch in Kitas. Für den Soziologen Hans-Peter Müller läuft die Sache komplett an den Gewerkschaften vorbei: "Die traditionellen Interessenvertreter sind gar nicht im Spiel", der Senat reagiere auf die Drohung Einzelner. Ende Januar hatte die Initiative "Verbeamtung jetzt" mit dem Weggang von 126 Lehrern gedroht. Ihr reicht die Erhöhung nicht. STA

1. Sie verdienen zu wenig? Die Arbeitsbedingungen sind katastrophal? Ihre Arbeitsstätte steht kurz vor dem Zusammenbrechen? Dann schreiben Sie einen Brandbrief! Im Mittelalter war alles noch besser. Da bekamen im Wortsinn Abgebrannte einen "Brandbrief" vom Amt und durften damit um Almosen betteln. Heute müssen Sie schon selber zur Feder greifen. So wie 2006 das Lehrerkollegium der Rütli-Hauptschule in Neukölln, die mittlerweile zum Bildungsvorzeigecampus ausgebaut wird. So wie im Januar die Leiter der Schulen in Mitte, die prompt ins Kanzleramt eingeladen wurden. So wie nun die Junglehrer, die mit ihrem Weggang in andere Bundesländer gedroht und damit eine Gehaltserhöhung von bis zu 50 Prozent erreicht haben.

2. Pfeifen Sie auf die Gewerkschaften! Klar, die alten Schlachtschiffe der Arbeiterbewegung machen einen tollen Job. Monatelang stehen sie mit Trillerpfeifen im Regen vor dem Rathaus rum, um am Ende müde 65 Euro Aufschlag für jeden rauszuholen. Sie erreichen wenig, weil sie für eine große Masse kämpfen. Das ist aber nicht Ihr Ding.

3. Suchen Sie sich lieber ein paar Kumpel! Machen Sie aus Ihrem Einzelfall ein Initiative, die sich auf eine Sache konzentriert. Der Kreis sollte überschaubar bleiben, schon weil es am Ende um das Verteilen des Gewinns geht.

4. Seien Sie die Guten! Abzocke kommt schlecht an. Deshalb geht es Ihnen natürlich nie um Ihr persönliches Wohl, sondern um die Rettung der Gesellschaft. Oder der Jugend. Bessere Bildung, das kommt öffentlich besonders gut an. Wenn Sie am Ende doch persönlich profitieren, schadet das auch nichts.

5. Ziehen Sie drastische Vergleiche! Lernen Sie vom Finanzsenator und vergleichen Sie Ihre Lage mit der an völlig anderen Orten mit völlig anderen Umständen. Hauptsache, es springen drastische Zahlen dabei heraus: deutlich bessere Bildungsquote, wesentlich höherer Gehälter. Jeder muss sofort erkennen: Was hier läuft, ist total ungerecht.

6. Formulieren Sie eine handfeste Drohung! Eins muss klar sein: Wenn Ihre Forderung nicht erfüllt wird, wird jeder Neuköllner Jugendliche zum Messerstecher, jeder Schüler in Mitte von abstürzenden Turnhallendecken erschlagen, oder es bricht das ganze System zusammen - weil Sie, der Retter der Welt, mit Ihren einzigartigen Fähigkeiten in Baden-Württemberg mehr geschätzt werden. Merke: Das bloße Bestreiken von U-Bahnen juckt in einer Fahrradstadt längst niemanden mehr.

7. Seien Sie jung und flexibel! Wer schon Haus, Hypothek und Kind hat, dem nimmt keiner ab, dass er mal eben alles hinschmeißt und auswandert. Um solche Kandidaten soll sich doch die Gewerkschaft kümmern.

8. Vergessen Sie nicht das Wichtigste! Ihre Forderungen sollten irgendwie knackig klingen, vor allem muss darüber fett das Wort "Brandbrief" prangen. Das klingt schön bedrohlich. Sie machen klar: Hier packt jemand eine heißes Thema an.

9. Gehen Sie nicht den Dienstweg! Der direkte Vorgesetzte kennt Ihre Problem längst und wird sie weiter aussitzen. Gute Adressaten für Ihren Brief sind Bürgermeister, Senatoren - oder gleich der Bundespräsident. Aber sorgen Sie vor allem dafür, dass die Presse mindestens zeitgleich, besser noch als Erstes eine Kopie auf dem Tisch hat. Mails bitte an berlin@taz.de.

10. Arbeiten Sie im öffentlichen Sektor! Nur um das klarzustellen: Auch Angestellten der Privatwirtschaft geht es richtig dreckig. Doch wer hier einen Gehaltserhöhung will, sollte sich diskret an den Chef ranschleimen - oder den Mund halten. Auf einen frechen Brandbrief an die Konzernleitung folgt eher die Kündigung als ein Lohnaufschlag. Denn ein Konzernchef ist nicht auf Wählerstimmen angewiesen. Im Zweifelsfall: Betriebsrat fragen, oder - sorry - die zuständige Gewerkschaft.

11. Verschwenden Sie nicht Ihre Energie! Petitionen an den Fachsenator sind nett, aber genauso wirkungslos wie abendfüllende Diskussionen auf Fachpodien. Runde Tische mit der Verwaltungsebene können Sie sich komplett sparen. Denn Sie wollen nicht reden, sondern Geld.

12. Nutzen Sie die Amtsmüdigkeit des wirklich zuständigen Senators! Über Geld entscheidet der Finanzsenator. Gut, dass der noch bis Ende April mit Kofferpacken beschäftigt ist und nicht mehr jeden Euro dreimal in der Hand umdreht.

13. Legen Sie sofort los! Noch sind Brandbriefe Erfolg versprechend. Wer zu spät kommt, den bestraft die öffentliche Missachtung. Allerdings müssen Sie ein exklusives Thema besetzen. Neukölln geht schon jetzt nicht mehr. Oder erinnert sich jemand an die Neuköllner Sozialarbeiter, die auch mal einen Brandbrief geschrieben haben?

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