Wahlkreise vor der Bundestagswahl I: Stehaufmännchen Steffel ist wieder da

In Reinickendorf dominiert die CDU - bloß nicht bei Bundestagswahlen. Frank Steffel will das ändern und damit sein Comeback perfekt machen.

Wollen Reinickendorf zur Bundestagswahl erobern: Frank Steffel und seine CDU Bild: Reuters

Es gibt einige interessante Aspekte an diesem Abend in der Apostel-Petrus-Gemeinde in Reinickendorf. Etwa den Kandidaten der Linkspartei, der binnen fünf Minuten zweimal die Bibel zitiert. Die spannendste Erscheinung auf dem Podium aber ist der graumelierte Mann von der CDU. Denn Frank Steffel dürfte eigentlich nicht dort sitzen. Selten wurde ein Politiker so abgemeiert wie der frühere Fraktionschef. Dass er in die Politik zurückkommen konnte, sagt viel über die Entwicklung der CDU.

Steffel, das war der Watschenmann des Jahres 2001. Deutschland lachte über einen Berliner Spitzenkandidaten, der statt seiner Heimatstadt erst München, dann Rothenburg ob der Tauber zur schönsten Stadt Deutschlands erklärte. Auf Fotos sah es zudem so aus, als ob Steffel sich bei Eierwürfen bei einer Kundgebung hinter CSU-Chef Edmund Stoiber wegduckte. Bei der Abgeordnetenhauswahl rutschte die CDU von 40,8 auf 23,8 Prozent ab. Das hatte zwar viel mit dem Bankenskandal zu tun, dennoch blieben Niederlage und Wahlkampffehler an dem heute 43-Jährigen kleben. Knapp anderthalb Jahre hielt sich Steffel noch als Fraktionschef, dann trat er zurück.

Hier wäre seine Karriere eigentlich zu Ende gewesen. In einer normalen Partei etablieren sich Nachfolger, sichern sich ab. Die Union aber war in den vergangenen Jahren keine normale Partei. Seit der Wahlschlappe 2001 hat sie sich oft zu erneuern versucht, hat vier Landesvorsitzende und drei Fraktionschefs verschlissen.

Doch Steffel, von Gegnern trotz Wirtschaftsstudium und Doktortitel gern als tumber Teppichhändler abgetan, war nur auf der Landesebene abgemeldet. In Reinickendorf hatte er stets eine feste Basis, die ihn weiter als örtlichen CDU-Chef sehen wollte. Dort vergrößerte er seinen Familienbetrieb - Raumausstattung und Auslegeware - auf 700 Mitarbeiter. 2005 wurde er Präsident der Reinickendorfer Füchse. Auch die Wähler hielten an ihm fest: Bei der jüngsten Abgeordnetenhauswahl holte Steffel eines der besten Erststimmenergebnisse stadtweit.

Auf dieser Basis ließ sich in aller Ruhe am Comeback arbeiten. 2006 wurde Steffel stellvertretender Fraktionschef, in diesem Frühjahr Landesvize seiner Partei. Der Sprung in den Bundestag wäre vorläufiger Höhepunkt dieses Comebacks. Es ist auch kein Abschied von der Landespolitik: Als Parteivize ist Steffel weiter an allen Entscheidungen beteiligt - und mittendrin, falls die CDU irgendwann mal wieder einen Senatorenposten zu vergeben hat.

In der Apostel-Petrus-Gemeinde ist die Diskussion mit dem Publikum im Gange. Wie das gehen solle, fragt einer: ein Unternehmen leiten und zugleich gute Arbeit in Wahlkreis und Parlament machen. Steffel habe doch schon jetzt im Abgeordnetenhaus an etlichen Sitzungen des Wirtschaftsausschusses nicht teilgenommen, die er hätte leiten sollen. Das ist der Moment, in dem plötzlich wieder der polternde Steffel früherer Tage da ist, allen seriös grauen Schläfen zum Trotz. Er sei der Letzte, dem man Faulheit vorwerfen könne, erhitzt er sich, er arbeite 16 Stunden am Tag für seine Firma, Sport und Politik.

Aber die selbst gewählte Mehrfachbelastung ist ein wunder Punkt in Steffels Wahlkampf. In ihr rührt auch der Mann, der auf dem Podium neben ihm sitzt. Steffel, sagt SPD-Kandidat Jörg Stroedter später der taz, werde im Bundestag ganz schön Druck von seiner Fraktion kriegen, bei knappen Mehrheitsverhältnissen regelmäßig im Parlament zu sein. Wobei er bestreitet, dass es zu Schwarz-Gelb kommen wird.

Stroedter, das ist der Mann mit der undankbarsten Aufgabe in diesem Wahlkreis. Hält der 55-Jährige nicht das Bundestagsmandat für die SPD, dann kann die Union in Reinickendorf durchregieren. Nirgendwo sonst in Berlin dominiert eine Partei einen Bezirk so sehr wie hier die Union. In der Bezirksverordnetenversammlung fehlt ihr nur eine Stimme an der absoluten Mehrheit, bei der Abgeordnetenhauswahl 2006 holte sie fünf von sechs Direktmandaten. Nur das Bundestagsmandat behauptet seit 1998 die SPD.

Das aber, so kalkuliert die CDU, lag fast allein am nun in Polit-Rente gehenden bisherigen Abgeordneten Detlef Dzembritzki. Der war zum einen als früherer SPD-Landeschef berlinweit eine große Nummer, zum anderen nach über 20 Jahren als Bezirksbürgermeister und Stadtrat optimal vernetzt. Da kann Stroedter, Kreisvize der SPD und seit 2006 im Abgeordnetenhaus, nicht mithalten.

Der Diskussionsabend geht mit segnenden Worten des Pfarrers für alle Kandidaten zu Ende. Steffel und Stroedter, die bei aller Gegnerschaft gut miteinander auskommen, haben den gleichen Heimweg, in die Eigenheim-Idylle Frohnau. Dort ist auch der Liedermacher Reinhard Mey zuhause. Der hat in dem Lied "Wahlsonntag" ormuliert, was auch Steffel und Stroedter am 27. September sagen können: "Sehn Sie, unsere Verluste warn noch niemals so gut. Der Kurs stimmt, weiter so, dieses Ergebnis macht Mut."

Zumal in den Bundestag auch der Verlierer der Wahl kommen könnte: Steffel hat auf der Landesliste der CDU einen sicheren, Stroedter bei der SPD einen nicht ganz chancenlosen Platz. Für beide stimmt also, was Reinhard Mey singt: "Wir können mit dem Wahlausgang zufrieden sein."

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.