Gewerberaum für Kreative in Kreuzberg: Umzugshelfer für Künstler

Der Immobilienhändler und Kunstmäzen Nicolas Berggruen will einen Gewerbehof in Kreuzberg zum Kreativzentrum umbauen. Der erste Mieter dort könnte das Künstlerhaus Bethanien werden.

Der Auszug des Künstlerhauses Bethanien aus dem ehemaligen Diakonissenkrankenhaus am Mariannenplatz scheint beschlossene Sache. Künstlerhaus-Leiter Christoph Tannert möchte nach 34 Jahren ein neues Domizil in der Kohlfurter Straße in Kreuzberg beziehen. Dort will die Nicolas Berggruen Holdings GmbH einen Gewerbehof zum Zentrum für Kreativwirtschaft umbauen. Der Vertrag mit dem Künstlerhaus sei "unterschriftsreif", bestätigte eine Sprecherin Berggruens am Dienstag. Zudem sollen drei weitere Ateliernutzer in das 12.500 Quadratmeter große Gebäude am Fraenkelufer einziehen.

Dem Künstlerhaus, das das Bethanien verlassen will, will der als Kunstmäzen bekannte neue Vermieter mit einer Miete "deutlich unter 10 Euro pro Quadratmeter" und einer großen Ausstellungsfläche zur Kottbusser Straße entgegenkommen. Laut Tannert ist Berggruens Angebot günstiger als das, das ihm die neue Treuhänderin des Bethanien, die gemeinnützige Gesellschaft für Stadtentwicklung (GSE), für 2009 in Aussicht gestellt hat. Tannert will die per Bürgerbegehren beschlossene Umwidmung des Hauses in ein soziokulturelles Zentrum nicht mittragen. Das zunehmend "verkommene" Haus, so klagte er wiederholt, sei kein passendes Umfeld für sein international renommiertes Künstlerprogramm.

Bis vor einem Jahr war Nicolas Berggruen ein Phantom. Obwohl er mit Reisfarmen in Kambodscha, Windmühlen in der Türkei und allerlei Risikokapitalgeschäften bereits ein Milliardenvermögen verdiente, stand er nicht auf der Forbes-Liste der Reichsten der Reichen. Doch dann starb im März vergangenen Jahres sein Vater, der Kunstsammler Heinz Berggruen. Plötzlich tauchte Nicolas Berggruen aus dem Incognito auf - das Phantom bekam ein Gesicht.

55 Immobilien in Berlin hat der 46-Jährige in jüngster Zeit gekauft - im Schnitt zwei Häuser pro Monat. Und das soll auch so weitergehen, sagt seine persönliche Referentin im Berliner Sitz der Berggruen Holdings, Ute Kiehn. "Nicolas Berggruens Engagement gilt nicht nur dem Berliner Immobilienmarkt, sondern auch der Stadt seines Vaters." Dieses Engagement ist tatsächlich ohnegleichen. Neben der Sanierung des Gewerbehofs in der Kohlfurter Straße (Text oben) wird derzeit das Kommandantenhaus in Charlottenburg umgebaut, um die Ausstellungsfläche für die Berggruen-Sammlung zu erweitern. Nicolas Berggruen hat auch das legendäre Café Moskau an der Karl-Marx-Allee gekauft, das im April 2009 denkmalgerecht saniert wieder öffnen wird. Vor allem aber will Berggruen seine eigene Kunstsammlung in Berlin ausstellen. Derzeit laufen Verhandlungen mit dem Liegenschaftsfonds über ein Grundstück am Hamburger Bahnhof. Nicht nur mit seiner Sammlung zeitgenössischer Kunst, sondern auch mit der "aufregenden Architektur eines internationalen Stararchitekten", so seine Referentin, will er dort ein Zeichen setzen.

Nun ist das mit dem Zeichensetzen so eine Sache in Berlin. Was Berggruen von den meisten Investoren unterscheidet, ist sein langer Atem. "Keine der Immobilien wird mit einem Bankkredit finanziert", sagt Ute Kiehn. Soll heißen, Berggruen kauft sie aus seinem Privatvermögen. Und das beläuft sich inzwischen auf geschätzte 3 Milliarden US-Dollar, wie das Wall Street Journal kürzlich in einer Homestory über den "obdachlosen Milliardär" enthüllte.

Denn noch etwas ist besonders am Leben des neuen Berlin-Mäzens: Die Luxuswohnung in New York, den Landsitz in Florida, die Edelkarosse - all das hat er verscheuert. "Materielle Werte bedeuten mir nichts", bekannte er dem Wall Street Journal und verriet, dass er seitdem in Hotels lebe, manchmal an bis zu 80 Städten pro Jahr. Seinen Job erledigt er in Restaurants oder mit dem Blackberry beim Speed Walking im Central Park.

In gewisser Weise ist die Wandlung vom Spekulanten zum nachhaltigen Investor eine Art "back to the roots". In seiner Schulzeit war der in Paris geborene Nicolas Berggruen bekennender Anarchist. Mit 15 flog er vom Internat. Englisch hat er erst später gelernt, weil es die "Sprache der Imperialisten" war. Doch dann musste er mit 19 auf eigenen Füßen stehen, der Vater hat es so gewollt. Also hat er sich 2.000 Dollar geborgt und in eine kleine Immobilie in Brooklyn investiert. Die Tellerwäschergeschichten gibt es also immer noch, zumindest in den USA.

Und in Berlin? Hier heißt die Devise offenbar nicht schnelles Geld, sondern "Charakterimmobilien". Nicht nur in der Kohlfurter Straße will Berggruen einen Gewerbehof zusammen mit den Nutzern weiterentwickeln, sondern auch in den Sarotti-Höfen am Mehringdamm.

Ein Phantom ist er immer noch. Den nächsten offiziellen Termin in der Stadt hat Berggruen im Juni 2009. UWE RADA

In der Kohlfurter Straße dagegen dürfte sich das Künstlerhaus in bester Gesellschaft befinden: Berggruen ist auch im Gespräch mit dem Berufsverband Bildender Künstler (BBK) und dem Atelierbeauftragten des Landes, Florian Schöttle. Mit renommierten Künstlern und Kulturwirtschaftern soll das Haus, in dem noch Tischler und andere Gewerbebetreibende arbeiten, an kultureller Strahlkraft gewinnen. Berggruens Sprecherin Ute Kiehn spricht jetzt schon von einem "glänzenden Kunststandort an der Nahtstelle zwischen Toskana- und Adalbert-Kiez".

Eine mindestens 50-prozentige kulturelle Nutzung des Objekts und eine Bestandsgarantie für die Altmieter waren Bedingung für den Grundstücksdeal, den Berggruen im Februar mit dem Liegenschaftsfonds abwickelte. Berggruen will den 1910 gebauten Fünfgeschosser mit Wohn- und Geschäftshaus von einem modernen Architekten nach den Bedürfnissen der Mieter umbauen lassen. Mit Tannert ist man sich offenbar weitgehendst einig. Mit der systematischen Vermarktung der ab 100 Quadratmeter großen restlichen Gewerbeeinheiten soll im September begonnen werden, mit dem Umbau noch vor Jahresende.

Dass Tannert und sein Künstlerhaus im Bethanien bleiben, darauf hofft weiterhin der grüne Bürgermeister von Friedrichshain-Kreuzberg, Franz Schulz. Er will den Bethanien-Hauptmieter Tannert doch noch zum Bleiben bewegen: "Das letzte Wort ist noch nicht gesprochen. Wir werden weiter verhandeln."

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