Neue Protestform: Verbraucher nutzen ihre Macht

Der erste "Carrotmob" Deutschlands hat zugeschlagen: 400 Verbraucher shoppen für einen grünen Zweck und kaufen einen Kreuzberger Spätkauf fast leer.

Wenn das Geld, das den Besitzer wechselt, einem grünen Zweck zu Gute kommt, war es ein Carrotmob. Bild: AP, Daniel Roland

Einkaufen als Polit-Happening: Rund 400 Konsumenten versammeln sich zum Massenshopping vor dem Spätkauf "Multikulti" in der Wiener Straße. Sie sind der "Carrotmob", der am Samstag seine Deutschlandpremiere in Kreuzberg feiert. Auch wenn das Ziel von Mitinitiator Kai Schulze verfehlte wurde und der Laden nach drei Stunden Daueransturm nicht leer gekauft war, kommen 2.000 Euro zusammen. So viel Umsatz macht der Laden sonst an drei Tagen. Am Abend steht Ladenbesitzer Cengiz Kimyeci zwar die Erschöpfung ins Gesicht geschrieben: "Aber ich würde jederzeit wieder mitmachen".

Den ersten Carrotmob gab es im vergangenen Jahr in San Francisco. Dahinter steckt die Idee, die Stärke der Konsumenten in den Dienst der Umwelt zu stellen: Gekauft wird in Geschäften, die versprechen, einen Teil des Umsatzes in Energiesparmaßnahmen zu investieren. Aus dieser Aktionsform hat sich eine internationale Bewegung entwickelt, die nach Kanada, Frankreich und Finnland jetzt in Deutschland angekommen ist. In Berlin kommt die Karottenmeute an diesem Tag zu Cengiz Kimyeci, weil er in einem Bieterwettstreit zuvor die höchsten Umweltinvestitionen versprochen hat. 35 Prozent seiner Einnahmen während des 3-Stunden-Powershoppings will er für neue Wärmedämmung und Glühbirnen verwenden.

Vor dem Spätkauf reißt der Ansturm nicht ab. Mit dabei ist Manuela Schikor. Wie die meisten ist sie mit dem Fahrrad gekommen und hat sich geduldig in die Warteschlange gestellt. Am Carrotmob gefällt der 36-Jährigen schon der Grundgedanke. Denn anders als bei vielen Boykottaufrufen gehe es um etwas Positives. "Hier wird endlich eine Lösung aufgezeigt, das liegt mir viel mehr."

Auch Gunnar Luderer unterstützt den Protest. Zwar macht sich der 31-jährige Wissenschaftler keine Illusion über die begrenzte Wirkung der Einzelaktion. Dennoch betrachtet er das Gemeinschaftsprojekt in der unmittelbaren Nachbarschaft durchaus optimistisch: "Das ist keine Weltretteraktion, aber um einen Wandel im Bewußtsein zu wecken, muss man klein anfangen." Und es darf gerne größer werden. Kai Schulze ist einer der sieben Berliner Aktivisten. Er hofft, mit dem Carrotmob, "eine gewisse demokratische Kontrolle durch die Konsumenten auf die Wirtschaft auszuüben".

Dafür brauchen die Umweltaktivisten Unterstützung - und haben sie mit dem Internet offenbar längst erreicht. Über Netzwerke wie Facebook hat die Berliner Gruppe auf ihr Vorhaben aufmerksam gemacht, ihre Botschaften getwittert und viele Anhänger gewonnen. Dabei ist Carrotmob nicht unumstritten. In Internetforen beschimpfen Kritiker die Protestform als "Gesinnungsterror" und "Spektakel".

Gegen 18 Uhr macht eine Gruppe Fahrradfahrer Halt. Ihre 70-Kilometer Rundfahrt quer durch Berlin hat sie durch Kreuzberg geführt und neugierig anhalten lassen. Mit dabei ist Peter Will aus Baden-Württemberg. Der 60-Jährige ist von der Aktion begeistert und davon überzeugt, mittel- und langfristig sei das eine wesentlich wichtigere Maßnahme als Abwrackprämien zu zahlen. Er kauft für 8,95 Euro Eis, Schokoladenriegel und Getränke.

Während sich das Shoppen für die Umwelt immer mehr zu einem kleinen Straßenfest entspannt, bei dem kleine Kinder fröhlich zu Musik tanzen und die Menschen ins Gespräch kommen, sitzt Falk Grässel auf der anderen Straßenseite. Der 41-jährige Stammkunde beobachtet das bunte Treiben und trinkt dabei sein Bier. Er wundert sich darüber, was heute in seinem Späti los ist und hofft, dass "ordentlich was in die Kasse kommt". Ein Wunsch, der sich am Ende erfüllt und an dem auch er sich mit seinem Bierbedarf beteiligt hat.

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