Senat und Kinderschutz: "Viel Wille und wenig praktische Umsetzung"

Von den Kinderschutzplänen des Senats ist bislang nicht viel umgesetzt, kritisiert Sabine Walther, Geschäftsführerin des Kinderschutzbundes.

Wer schützt die Kinder vor der Glotze? Bild: DPA

taz: Frau Walther, das Netzwerk Kinderschutz wurde vom Senat vor einem Jahr verabschiedet. Sind Berliner Kinder seitdem besser geschützt?

Nach dem Senatskonzept "Netzwerk Kinderschutz", das am 20. Februar 2007 beschlossen worden war, sollen unter anderem Kinderärzte, Jugendämter, Kindertageseinrichtungen, Schulen und Polizei nach einheitlichen Standards vorgehen. Teil des Konzepts war auch ein Nottelefon Kinderschutz, das im Mai eingerichtet wurde. Anlass waren bundesweite Fälle von Kinderverwahrlosung, die die Öffentlichkeit aufgeschreckt hatten. DDP

Sabine Walther: Erst mal ist dieses Netzwerk Kinderschutz ein Verwaltungsakt gewesen, und Papier ist sehr geduldig. Ein Teil davon, die Kinderschutz-Hotline, wurde im Mai letzten Jahres endlich installiert und funktioniert gut. Das heißt, ein kleiner Teil des Papiers wurde umgesetzt, der Großteil noch nicht. Hausbesuche bei Neugeborenen gibt es noch nicht flächendeckend.

Die Wiedereinführung dieser Hausbesuche scheint aber sehr sinnvoll zu sein.

Das ist aus der Sicht des Kinderschutzbundes eine ganze tolle Sache. Wenn diese Erstbesuche gut umgesetzt werden, können die Mitarbeiter des Jugendamts dort viel mitbekommen. Auch Unterstützung anbieten und junge Eltern informieren. Auf diese Weise kann man präventiv viel Gutes tun und Fälle von Kindesmisshandlung verhindern.

Dann dürften Fälle von Kindesmisshandlung in Berlin bald der Vergangenheit angehören?

Ganz so rosig ist die Situation leider nicht. Eines der Hauptprobleme ist, dass die Bezirke unterschiedlich ausgestattet sind. Die Gesundheitsdienste schlagen Alarm. In Problembezirken wie Neukölln konnten beispielsweise im vergangenen Jahr von 3.000 Neugeborenen nur 1.000 besucht werden. Von diesen 1.000 Babys hat letztes Jahr ein Drittel tatsächlich weitergehende Familienhilfe benötigt. Man kann sich also ausrechnen, wie viele Hilfsbedürftige unter denen sind, die nicht besucht wurden.

Was halten Sie von dem Plan der Gesundheitssenatorin, Eltern zu Früherkennungsuntersuchungen ihrer Babys beim Arzt zu verpflichten?

Das sogenannte verbindliche Einladewesen ist sehr umstritten. Die Vorsorgeuntersuchungen sind auch nicht so ausgelegt, dass sie Kindesmisshandlungen wirklich aufdecken können. Eltern müssen angemahnt werden, wenn sie diese Untersuchung verpasst haben. Die Krankenkassen werden den Nachuntersuchungstermin nicht bezahlen. Das ist alles in allem ein riesiger Verwaltungsakt, der nur Sicherheit vorgaukelt. Deshalb ist das ein sehr schlechtes Instrument.

Finden Sie ein Bonusheft für Vorsorgeuntersuchungen sinnvoll?

Tatsache ist, dass gerade sozial benachteiligte Familien Vorsorgeuntersuchungen auch gerne mal ausfallen lassen. Ein Bonusheft, in dem man für jede Untersuchung einen Stempel bekommt und am Ende eine Prämie von 50 Euro, wäre da sicherlich ein guter Anreiz. Mit Bonus und Anreizen zu arbeiten ist nach unserer Erfahrung immer besser als mit Sanktionen.

Dann ist der Senat mit seinen Plänen auf einem guten Weg?

Da ist viel Wille und wenig praktische Umsetzung. Andere präventive Angebote stehen lediglich als Willenserklärung in dem Papier. Alle Präventivmaßnahmen, wie zum Beispiel Besuche vor der Geburt des Kindes und das Indikatorenmodell, das Hebammen, Gynäkologen und Entbindungskliniken in die Früherkennung von Gefährdungen des Kindes einbeziehen soll, sind bis jetzt noch nicht umgesetzt worden.

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