Bahn in der Kritik: Wenn der Schaffner plötzlich ausrastet

Nach dem jüngsten Hinauswurf einer Minderjährigen klagen Gewerkschafter über den Druck auf viele Kollegen.

Ginge es nach der Bahn, hätte es das Problem gar nicht geben dürfen. Die Konzernrichtlinie 601/40 der allgemeinen Bahn-Beförderungsvorschrift regelt den "Fahrtausschluss" - und sagt aus, dass dieser bei "hilflosen Personen und Jugendlichen bis 16 Jahren" verboten ist.

Geschehen ist es trotzdem. Gleich drei Mal seit Mitte Oktober mussten Minderjährige ohne gültiges Ticket den Zug verlassen, anstatt die Fahrt mit einem Bußgeld fortsetzen zu dürfen. 750 Mitarbeiter der Bahntochter DB-Regio mussten daraufhin die Dienstanweisung mit ihrer Unterschrift bestätigen, obwohl die Bahn die Vorfälle als Überreaktion Einzelner abgetan hatte. Doch woher kommen gleich drei Einzelfälle in einem Monat?

"Die Kollegen stehen unter einer ungeheuren Belastung. Der Frust über die schlechten Arbeitsbedingungen ist hoch", versucht sich Uwe Reitz, Sprecher der Bahngewerkschaft GDBA, an einer Erklärung. Die Schaffner fühlten sich mit Problemen wie pöbelnden und mitunter gefährlichen Reisenden allein gelassen. "Die bekommen von ihren Vorgesetzten oft nur zu hören: Wenn du damit nicht klarkommst, dann such dir einen anderen Job."

Vielen Zugbegleitern macht auch der zunehmende Wettbewerb auf der Schiene Angst, meint Hans-Gerd Öfinger von der Initiative "Deine Bahn": "Die Angst um Arbeitsplätze geht um. Wegen den Ausschreibungen haben alle Angst vor Dumpinglöhnen." Der Hintergrund: Immer mehr Regionalstrecken werden von den Bundesländern ausgeschrieben. Im Wettbewerb mit privaten Anbietern hat die DB-Regio angekündigt, selbst Tochtergesellschaften zu gründen. In diesen würden niedrigere Löhne als bisher üblich gezahlt werden. Schon jetzt sind in den Regionalzügen sogenannte Revisoren unterwegs - intern "Mystery-Customer" gennant. Deren Job ist es, im Auftrag der Bahn die Arbeit der Schaffner zu kontrollieren. Dabei gehe es nicht nur um den korrekten Umgang mit den Fahrgästen, sondern auch "um eine anständige Rasur oder den Körpergeruch der Kollegen", weiß Joseph-Karl Hazod, Sprecher des Bundesarbeitskreises Zugbegleiter der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL).

Wenn die Revisoren etwas zu beanstanden hätten, würden die Schaffner zum Personalgespräch vorgeladen. Zuerst folge eine Belehrung, dann eine Abmahnung, schließlich die Entlassung - die allerdings sei sehr selten. "Dennoch hat jeder die Bespitzelung satt", meint Hazod.

Doch auch das alleine erklärt noch nicht die drei Verstöße gegen die Konzernrichtlinie 601/40 - zumal es sich nach den ersten beiden Vorfällen herumgesprochen haben dürfte, dass die Bahn die Zugbegleiter suspendiert hatte. Für GDL-Mann Hazod liegt das Problem auch bei den jugendlichen Fahrgästen. "Die werden immer schwieriger", klagt er.

Tatsächlich berichten Zugbegleiter davon, immer häufiger bespuckt und beschimpft zu werden. "Viele Kollegen stumpfen einfach ab", sagt Hazod. "Irgendwann trifft es dann auch mal den Falschen, wie eben das Mädchen am Montag."

Für die GDL liegt die einzige Lösung daran, das bereits bestehende Deeskalationstraining für Zugbegleiter flächendeckend einzuführen. Gewerkschafter Joseph-Karl Hazod: "Das ist eine unabdingbare Voraussetzung für die Arbeit."

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